Ausstellung zu John Rabe in Berlin

Erinnerung und Mahnung

In Chinas Kulturzentrum in Berlin wird momentan mit beachtlichem Aufwand an ein Ereignis und eine Person erinnert. Beide sind in der Volksrepublik unvergessen und in Deutschland kaum bekannt. Ende 1937 fielen die japanischen Faschisten in Nanjing ein, der seinerzeitigen Hauptstadt der 1912 gegründeten Republik China. Binnen sechs Wochen massakrierten sie dort etwa 300.000 Chinesen und rund 20.000 Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt. Vergleichbare Verbrechen der faschistischen Okkupanten erfolgten auch an vielen anderen Orten, doch dieses in Nanjing war eines der barbarischsten. Einige Fachleute meinen sogar, es könnte das größte Blutbad der Menschheitsgeschichte gewesen sein. In Nanjing erinnert Chinas Volk mit einer beeindruckenden Gedenkstätte an diesen schmerzlichen Teil seiner Geschichte.

In Nanjing lebten beim Überfall der japanischen Faschisten viele Ausländer. Einer von ihnen war John Rabe, ein Berliner, der die Vertretung des Siemens-Konzerns in China leitete. Auf das Anwesen in der Straße Xiaofenqiao, keine fünfhundert Quadratmeter groß, retteten sich etwa sechshundert Chinesen vor den Barbaren. Und gemeinsam mit anderen ausländischen Geschäftsleuten initiierte John Rabe ein Internationales Komitee, das in Nanjing eine neutrale Sicherheitszone von etwa vier Quadratkilometern einrichtete, in die sich viele tausend Menschen flüchteten und dadurch überlebten.

John Rabe wird ob seiner mutigen, zutiefst menschlichen Tat in China sehr verehrt und als Oskar Schindler Asiens gerühmt; sein Haus ist ein Gedenkort und im Museum des gewaltigen Gedenkorts für die 300.000 Opfer steht Rabes Grabstein aus Berlin. 1996 war das Familiengrab in Berlin-Charlottenburg „abgelaufen“ – just in jenem Jahr, als Rabes Enkelin Ursula Reinhardt auf einer Pressekonferenz in New York seine Tagebücher vorstellte, um ihren im Westen unbekannten Großvater publik zu machen.

Mit Hilfe der chinesischen Botschaft in Berlin wurde der Stein gerettet und nach Fernost verschifft. Am Ort des Rabe-Grabes auf dem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchhof am Fürstenbrunner Weg steht seit 2016 ein würdiges Denkmal mit Rabes Relief. Ebenfalls von der Volksrepublik China errichtet. Jedes Mal, wenn ich die gepflegte Gedenkstätte besuche, sehe ich dort frische Blumen. Ich nehme nicht an, dass dafür meine Landsleute verantwortlich sind.

Im August vor 80 Jahren wurde – wie schon drei Monate zuvor Nazideutschland – das faschistische Japan durch die alliierten Antifaschisten bezwungen. China hatte am längsten in dieser Antifa-Front gekämpft, seit 1931, als Japan in den Nordosten des Landes einfiel und seinen Satellitenstaat Mandschukuo bildete, um die Reichtümer des Landes zu plündern und sich eine Aufmarschbasis gegen die Sowjetunion zu schaffen.

Chinas Botschaft würdigte seit dem Sommer in unterschiedlicher Weise Rabes humanistisches Wirken in China. Nun also diese umfangreiche Ausstellung, die an John Rabe, seine Tagebücher und an das Massaker von Nanjing erinnert. Es ist einerseits dankens- und bewundernswert, dass die Volksrepublik China einem Deutschen ein Denkmal setzt, und andererseits beschämend, dass es nicht dessen Mutter- und Vaterland tut. Bekanntlich ist anderes dringlicher.

Für den Besuch der Ausstellung sollte man viel Zeit mitbringen: Es gibt viel zu lesen, denn das Unwissen ist groß über die Verbrechen der japanischen Faschisten, den vierzehn Jahre währenden antifaschistischen Abwehrkampf der Chinesen und das zutiefst menschliche Engagement eines Berliners in Nanjing. Die Kommunistische Partei Chinas rekurriert gegenwärtig besonders auf das antifaschistische Erbe der Weltgemeinschaft – nicht nur, um die Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten und den chinesischen Part im globalen Widerstand gegen den Faschismus zu zeigen. Es geschieht auch aus Sorge, dass sich alles wiederholen könnte. Überall auf der Welt nehmen Nationalismus, Rassismus, Extremismus und Terror zu. Der Faschismus ist nicht tot, er endete nicht 1945. Und Faschismus, das wissen auch die Chinesen, bedeutet Krieg.

„Weltgedächtnis und Friedensvision – Das Nanjing-Massaker in den Augen von John Rabe und anderen deutschen Zeitzeugen“
Ausstellung im Chinesischen Kulturzentrum Berlin, Klingelhöfer Straße 21
17. November bis 19. Dezember 2025, Mo-Fr von 9-17 Uhr

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"Erinnerung und Mahnung", UZ vom 14. November 2025



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