Da hätte das ZDF doch um ein Haar mal Rückgrat bewiesen. Aber auch nur um ein Haar.
Am 19. Oktober brach Israel zum wiederholten Mal die Waffenruhe in Gaza. Ziel an diesem Tag: Der Standort der „Palestine Media Production“. Durch den israelischen Angriff starb ein 37-jähriger Mann, der laut ZDF als Techniker für die Medienproduktionsfirma tätig war – und der achtjährige Sohn eines weiteren Mitarbeiters. Die „Begründung“ der israelischen Armee war dieselbe, die bei jedem Mord an Journalisten in Gaza geliefert und von deutschen Medien jederzeit dankbar aufgenommen wurde: Der Mann war Mitglied der Hamas, so Israel.
Doch dieses eine Mal besann man sich beim ZDF darauf, dass man dort journalistisch tätig ist, es so etwas wie journalistische Sorgfaltspflicht gibt und man es vielleicht nicht widerspruchslos akzeptieren sollte, wenn Kolleginnen und Kollegen in Kriegsgebieten gezielt getötet werden. Und so tat das ZDF Ungeheuerliches: Man fragte nach bei der israelischen Armee, wie man denn dazu komme, den Mitarbeiter als Hamas-Mitglied zu bezeichnen und zu töten.
Doch der Anfall von echtem Journalismus und Rückgratbesitz hielt nicht lange an. Schnell verkündete das ZDF: „Nachdem die israelische Armee (IDF) den Angriff auf die Produktionsfirma mit einer Hamas-Mitgliedschaft des getöteten Technikers begründet hat, hat das ZDF die Streitkräfte um Aufklärung gebeten. Während eigene Recherchen des Studios Tel Aviv keine Anhaltspunkte ergaben, haben die IDF dem ZDF gestern Unterlagen vorgelegt, nach denen davon auszugehen ist, dass der Ingenieur Mitglied der Qassam-Brigaden war.“ Das ZDF nehme diese Vorwürfe „sehr ernst“ und habe „die Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma PMP umgehend bis auf Weiteres eingestellt“.
Duckmäuserisches Verbreiten von israelischer Propaganda statt journalistische Arbeit – beim ZDF ist man wieder zur Tagesordnung übergegangen. Es hätte auch berichten können. Und zwar darüber, dass der „getötete Mitarbeiter“ Ahmad Abu Mutier hieß und seit zwölf Jahren journalistisch tätig war. Und dass die reine Mitgliedschaft bei der Hamas keinen gezielten Mord rechtfertigt. Wenn Mutier nicht in Kampfhandlungen verstrickt war, war er als Journalist laut Genfer Konvention Zivilist und als solcher geschützt. Zudem hätte das ZDF klarstellen müssen, dass Israel die Waffenruhe gebrochen hat. Wenn sie im Moment des Angriffs nicht von Mutier angegriffen wurden – und dafür gibt es keinerlei Anzeichen, selbst die israelische Armee behauptete das nicht –, ist ein Angriff auf ihn ein Bruch der Waffenruhe. Genau das unterscheidet eine Waffenruhe vom laufenden Gefecht. Und verdammt nochmal hätte das ZDF weiter darüber berichten müssen, dass die israelische Armee bei der gezielten Tötung von Ahmad Abu Mutier ein achtjähriges Kind ermordet hat. Das Schweigen dazu ist Komplizenschaft. Zur gezielten Tötung von Journalisten in Kriegsgebieten, zum Mord an Kindern, der zu „Kollateralschaden“ heruntergespielt wird, gibt es nur eine korrekte Haltung. Das ZDF hat die falsche.
Und wenn man meint, es könnte nicht schlimmer kommen, kommt die CDU um die Ecke. Die nutzt die Geschehnisse und das kurze Aufbäumen eines Restgewissens beim ZDF sofort dafür, kritischen Journalismus und Berichterstattung, die nur einen Hauch von Ablehnung gegenüber dem israelischen Völkermord an den Palästinensern erkennen lässt, zu verunglimpfen. So drohte der nordrhein-westfälische Medienminister Nathanael Liminski mit dem schlimmen Instrument „ZDF-Fernsehrat“, weil die „Beitragszahler nachvollziehbar verunsichert“ seien. Und die Medienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Ottilie Klein, sieht das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erschüttert. „Dass ein Hamas-Terrorist für das ZDF gearbeitet hat, ist ein ungeheuerlicher Vorgang“, empört sich CSU-Generalsekretär Martin Huber in der „Bild-Zeitung“ und macht aus dem Journalisten mal eben einen Terroristen. Und Armin Laschet, der gerne mal Kanzler geworden wäre und jetzt als Trostpflaster Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag ist, wiederholt schnell nochmal die israelische Propaganda, mit der der Mord an Journalisten in Gaza gerechtfertigt und der Völkermord vertuscht werden soll: „Die Tarnung als angebliche Journalisten und Techniker ist eine der perfidesten Methoden der Islamisten. Leider sind allzu viele Medien weltweit auch bei ihrer Berichterstattung darauf reingefallen.“
Nach dem Namen des achtjährigen Jungen, den die israelische Armee beim Angriff auf „Palestine Media Production“ ermordet hat, hat niemand gefragt. Weder das ZDF noch die Politik.



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