Weihnachten steht vor der Tür und damit (wie in jedem Jahr) zwei drängende Fragen: Was soll ich verschenken? Und (fast noch schlimmer, weil man das Geschmackserlebnis nicht heimlich umtauschen kann): Was soll ich kochen?
Im Avant-Verlag ist ein Sachcomic erschienen, der die erste Frage gut beantwortet (für zu Beschenkende, die gern kochen, aber auch für andere) und der den Blick auf die zweite Frage ändert. In „Die kochenden Affen“ geht Tine Steen der Frage nach, wie die Menschen entstanden sind. Alter Hut, gähnen die Leser von Charles Darwin und Friedrich Engels: Evolution! Arbeitsteilung! Aber was hat die Manipulation von Nahrung (also das Kochen) damit zu tun?
In vier Kapiteln (und 25 Rezepten) geht Tine Steen genau dieser Frage nach. Sie stellt Untersuchungen von Primatenforschern vor, die das Essverhalten unserer nächsten Verwandten untersuchen – dabei kommt unter anderem heraus, dass (Überraschung!) die uns genetisch am nächsten stehenden (Schimpansen und Bonobos) auch die meisten Vorlieben mit uns teilen – zumindest, was das Essen angeht.
In den weiteren Kapiteln schaut „Die kochenden Affen“ auf die verschiedenen Möglichkeiten und Theorien zur Manipulation von Nahrungsmitteln. Dabei ist der Comic kein Schulbuch im Bildformat mit trockener Faktenübermittlung, sondern ist genauso witzig wie kenntnisreich – mit unverhohlenen Seitenhieben auf die Forschung, die aus offensichtlichen Gründen eine gefühlte Ewigkeit darauf bestanden hat, unsere Vorfahrinnen aus der Urzeit als Heimchen an der Feuerstelle darzustellen.
Und so stolpert man beschwingt durch 8 Millionen Jahre, immer der Frage nach, was zuerst kam, der Mensch oder das Kochen. Dabei erfahren wir allerlei über Zubereitungsarten vom Aufklopfen von Knochen mit Steinen, dem Vergraben, dem Fermentieren und vielem mehr und zum Beispiel darüber, dass 30 Minuten kauen besser ist als drei Stunden. Nährstoffe schnell zu erhalten ist Trumpf in der Evolution.
Die Berliner Künstlerin Tine Steen, die erst relativ spät in ihrer Karriere zum Genre Comic gefunden hat, legt dabei einen wilden Zeichenstil an den Tag. Sie vermengt die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Entstehung des Menschen mit politischen Fragen nach der Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung, geht dem Veganismus nach und beantwortet die Frage, ob das evolutionär eine sinnvolle Ernährung ist. Spoiler: Ist es nicht.
Besonders interessant wird der Comic, wenn er die europäisch dominierte Forschung der letzten Jahrhunderte berührt: Was hier mit Ekel besetzt ist (wie zum Beispiel der Verzehr von Insekten), konnte und durfte nicht sein – also wurde gedichtet, statt die Faktenlage zu analysieren.
„Die kochenden Affen“ ist ein Lesegenuss für alle, die sich für die Zubereitung von Nahrung und/oder die Entstehung des Menschen interessieren. Die „besten Rezepte“ aus den letzten drei Millionen Jahren, die das Buch uns liefert, sind allerdings weniger zum Nachmachen geeignet – oder höchstens für die hartgesottenen Experimentierfreunde unter uns.
Diejenigen, die den Band gelesen haben, können dann, wenn alle vollgegessen mit Verdauungsgetränk unter dem Baum sitzen und sich nicht mehr bewegen können, auch die Frage beantworten, warum wir fettig und süß so großartig finden: Alles, was schnell Nährstoffe liefert, schmeckt uns halt besonders gut. Das liegt nicht an der Gewöhnung im Kapitalismus, sondern daran, dass der Mensch sich sein großes Gehirn eben nur leisten kann, wenn er diesen Energiefresser auch anständig versorgt. Also her mit den Kalorien! Und evolutionär gesehen hat ein bisschen Speck auch noch keinem geschadet.
Tine Steen
Die kochenden Affen
Avant-Verlag, 293 Seiten, 29 Euro
Erhältlich unter uzshop.de



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