In Berlin soll das frühere Sport- und Erholungszentrum abgerissen werden. Bezirk stoppt Abbrucharbeiten vorerst

Fortschritt ausradieren

Am 26. November begann die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) mit Abrissarbeiten am früheren Sport- und Erholungszentrum (SEZ) im Stadtteil Friedrichshain. Einen Tag später stoppte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg die Arbeiten. Eine Abrissanzeige der WBM beziehungsweise eine Abrissgenehmigung lägen der Bauaufsicht nicht vor.

Das ist der vorläufige Stand des antikommunistischen Bildersturms, der seit dem Anschluss der DDR 1990 immer wieder zur Vernichtung moderner, vor allem aber auch wichtiger sozialer und kultureller Bauten geführt hat. Die Passage im Einigungsvertrag, dass „die kulturelle Substanz“ der DDR erhalten bleiben solle, war das Papier nicht wert, auf dem sie stand. Herkunft aus der DDR reicht noch heute als Begründung fürs Ausradieren. Das bekannteste Beispiel war der Palast der Republik, der durch eine monströse Konstruktion ersetzt wurde: Drei Seiten Kopie des Hohenzollernschlosses, eine Betonfassade Richtung Osten wie aus faschistischen Bauzeiten, an der Kuppel ein biblisches Drohzitat gegen Nichtchristen, im Innern vor allem Raubkunst aus deutschen Kolonien – ein zur neuen Kriegstüchtigkeit passender Klotz.

Vom SEZ soll so gut wie nichts übrigbleiben. Die Berliner Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB) fasste in einer Petition gegen den Abriss, die im Internet unterschrieben werden kann, dessen Geschichte nach 1990 so zusammen: „Hunderttausende haben Erinnerungen an schöne Zeiten im Sport- und Erholungszentrum (SEZ). Das 1981 in Berlin-Friedrichshain errichtete Gebäude war für sie ein Ort für Erholung, Sport und Spaß in lichtdurchfluteten hohen Räumen. Nach der Wende ließen die Berliner Bürgermeister Walter Momper und Eberhard Diepgen das SEZ verfallen, und der Finanzsenator Thilo Sarrazin verschenkte es schließlich für einen Euro.“

So etwas, wenn auch gewöhnlich nicht so dreist, ist im Kapitalismus ein Existenzzweck kommunaler Räte und Verwaltungen. In Berlin sind seit Frontstadtzeiten CDU und SPD gemeinsam der politische Arm der Westberliner Baumafia. Der mit dem SEZ beschenkte „Investor“ hatte weder Kapital noch Inte­resse. Erst im Jahr 2023 konnte der Senat die „Privatisierung“ beim Bundesgerichtshof rückgängig machen – wollte das SEZ aber nicht.

Der Witz dabei: Das von der DDR-Führung am 20. März 1981 eröffnete Multifunktionsgebäude mit mehreren Hallenbädern und großem Außenbecken, mit Eisbahn, Sporthallen, Gymnastik- und Ballettsälen, drei Saunen, Veranstaltungsräumen, Kindersportgarten, Bowlinganlage mit 16 Bahnen, zehn gastrono07schen Einrichtungen mit etwa 600 Plätzen und vielem mehr entstand nach Entwürfen von Architekten der Westberliner Niederlassung des Baukonzerns Hochtief. Er war von der DDR zur Teilnahme am Wettbewerb aufgefordert worden und gewann. Nicht wenige Westberliner tummelten sich in den 80er Jahren regelmäßig im SEZ. Planungs- und Bauzeit, erläuterte der damals beteiligte Architekt Günter Reiß am 21. November auf einer Veranstaltung der 2024 gegründeten Initiative „SEZ für alle“ im Berliner Café Sibylle, umfassten etwa drei Jahre. Die Anregung zu dem damals weltweit einzigartigen Komplex sei von Manfred Ewald gekommen, dem Präsidenten des Turn- und Sportbundes der DDR. Reiß erläuterte, die SEZ-Konstruktion sei so robust, dass sie 100 Jahre halte. Die jetzt vom Senat vorgesehene Blockbebauung mit Wohnungen bis an den Rand einer großen Kreuzung mit hoher Lärm- und Schadstoffbelastung nannte er „absurd“.

Der soziale Aspekt: Friedrichshain hat von allen Berliner Stadtteilen mit 14.000 Einwohnern pro Quadratkilometer die höchste Bevölkerungsdichte. Dennoch wurde in den vergangenen Jahren weiter gebaut – es ist ja Ostberlin. Zugleich wurden soziale und kulturelle Einrichtungen beseitigt, also kann zum Beispiel ein Drittel aller Kinder in Berlin nicht schwimmen.

„SEZ für alle“ erhielt am 1. Dezember Unterstützung durch einen offenen Brief von rund 150 Wissenschaftlern aus 60 Universitäten und Architekten, die fordern, der Abriss müsse „unbedingt verhindert werden“. Die Berliner SPD und CDU wollen zehn Monate vor der Abgeordnetenhauswahl nun angeblich den Abriss überdenken. Sie wissen: Nach Wahlen an Wahlversprechen zu erinnern „ist unfair“ (Franz Müntefering, SPD).

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"Fortschritt ausradieren", UZ vom 12. Dezember 2025



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