Der „neue Wehrdienst“ soll junge Menschen kriegstüchtig machen. SDAJ startet Kampagne

Für das Führen eines großen Krieges

Vor wenigen Wochen hat Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) den Gesetzentwurf für einen neuen Wehrdienst vorgelegt. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) geht mit einer Kampagne gegen den Plan vor, die Jugend in den Kriegsdienst zu ziehen. Im UZ-Interview spricht Sophia von der Bundesgeschäftsführung der SDAJ über die Auswirkungen des Gesetzes und Möglichkeiten zum Widerstand.

UZ: Was bedeutet es für Jugendliche und junge Erwachsene, wenn der „neue Wehrdienst“ beschlossen wird?

Sophia: Pistorius’ Pläne für den neuen Wehrdienst sehen vor, dass zunächst an alle jungen Männer und Frauen ein Fragebogen versandt wird. Männer müssen ihn ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig. Dabei soll das Interesse am Dienst in der Bundeswehr abgefragt werden. Geeignete Kandidatinnen und Kandidaten werden dann zur Musterung eingeladen.

Für junge Menschen bedeutet das erst mal, dass sie sich stärker mit dem Thema Militär auseinandersetzen müssen und überlegen, ob der Wehrdienst eine Option für sie ist. Die Bundeswehr wirbt um sie, sie sind verstärkt Argumenten ausgesetzt, laut denen der Dienst an der Waffe gut und notwendig sei. Das soll auf ideologischer Ebene die Kriegstüchtigkeit unter den jungen Menschen fördern – erst mal unabhängig davon, ob sie dann real auch zum Bund gehen. Wenn die richtige Wehrpflicht in einem nächsten Schritt kommt, würde das jungen Menschen die Selbstbestimmung über mindestens ein halbes Jahr des Lebens nehmen – sofern man bei den ökonomischen Zwängen, denen wir in diesem System tagtäglich ausgesetzt sind, überhaupt von Selbstbestimmung sprechen kann. Drill, Gehorsam, Mobbing, sexistische Übergriffe und militaristische Indoktrination stehen dann für mindestens sechs Monate neben Schießübungen auf der Tagesordnung.

UZ: Gerade die SPD hatte auf Bundesebene immer Wert daraufgelegt, dass der Wehrdienst „zunächst freiwillig“ sein soll. Was ist davon zu halten?

Sophia: Der „neue Wehrdienst“ soll zunächst auf Freiwilligkeit beruhen. Dabei enthält er jedoch in Form der Bereitschaftserklärung und der Musterung auch schon von Anfang an verpflichtende Elemente. Das Bundeskabinett soll aber dann mit Zustimmung des Bundestages auch die verpflichtende Heranziehung von Wehrpflichtigen anordnen können, „wenn die verteidigungspolitische Lage dies erfordert“ und das Freiwilligenmodell von Pistorius nicht genügend Rekruten für den Wehrdienst generiert. Hierbei handelt es sich um eine Änderung, die durch das neue Gesetz kommt. Ziel ist es, bis 2030 460.000 Soldaten zur Verfügung zu haben, darunter 200.000 Reservisten. Damit werden die Voraussetzungen für das Führen eines großen Krieges geschaffen.

3105Logo stat portraet - Für das Führen eines großen Krieges - Boris Pistorius, Kampagne Nein zur Wehrpflicht, SDAJ, Wehrdienst - Politik

Wer genau darüber entscheidet, ob die verteidigungspolitische Lage sich ausreichend für die Verpflichtung zugespitzt hat, ist unklar. Die Regierung verschafft sich damit also ausreichend Spielraum, die weitere Ausgestaltung an die militärischen Ziele der Herrschenden anzupassen.

Es ist davon auszugehen, dass die vorübergehende Freiwilligkeit nicht aus Freundlichkeit den jungen Menschen gegenüber besteht. Vermutlich soll durch diese schrittweise Einführung der Widerstand zunächst klein gehalten werden. Eine direkte Wiedereinsetzung der Wehrpflicht würde sicher auf mehr Empörung und Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Außerdem werden so die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine künftige Wehrpflicht geschaffen, da so alle potentiell künftigen Wehrpflichtigen bereits erfasst und teilweise gemustert werden.

UZ: Wie viel „Freiwilligkeit“ kann es überhaupt geben, wenn Perspektiven jenseits des Militärs fehlen?

Sophia: Die Bezahlung für die Wehrdienstleistenden soll mehr als 2.000 Euro netto betragen. Die durchschnittliche Ausbildungsvergütung lag 2023 bei 965 Euro pro Monat. Der durchschnittliche BAföG-Satz lag im selben Jahr bei 640 Euro. Gleichzeitig bilden immer weniger Betriebe aus, die unbefristete Übernahme nach der Ausbildung bleibt für viele ein unerfüllter Wunsch. Angesichts der steigenden Miet- und Lebensmittelkosten erscheint die Bundeswehr zunächst als vielversprechender Arbeitgeber.

UZ: Häufig wird so getan, als ginge es bei der Wehrpflicht darum, dass junge Menschen etwas für das „Gemeinwesen“ oder die Demokratie tun. Worum geht es wirklich?

Sophia: Welches Gemeinwesen soll das sein? Das, das Armut und Perspektivlosigkeit für sie bereithält? Welche Demokratie sollen sie damit stärken? Die, die mit Repressionen auf sie wartet, wenn sie gegen den Völkermord an den Palästinensern auf die Straße gehen?

Die Debatte um die Wehrpflicht geht einher mit der Debatte um die Einführung eines sozialen Pflichtjahres. Erst mal erscheint es vielleicht auch sinnvoll, den Personalmangel in sozialen Bereichen durch den Einsatz junger Menschen abzufedern. Doch zum einen ist dies mittels ungelernter Arbeitskräfte kaum möglich und zum anderen ist der sogenannte Fachkräftemangel durch die schlechten Arbeitsbedingungen hausgemacht. Pflichtjahrabsolventen drücken die Löhne noch weiter. Von einer wirklichen Entlastung kann nicht die Rede sein, das geht nur durch eine reale Verbesserung der Arbeitsbedingungen in diesen Bereichen.

Der Dienst für die Gesellschaft ist also nur vorgeschoben. Worum es wirklich geht, ist, dass Deutschland imperialistische Großmachtansprüche verfolgt und Rohstoffquellen wie Absatzmärkte und Einflussgebiete verteidigen und ausbauen will. Wenn das auf ökonomischem und politischem Weg nicht mehr ausreicht, muss diese Politik auf militärischem Weg fortgesetzt werden. Das sind die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium. Den jungen Menschen kommt dabei die Rolle zu, für die Vormachtstellung der NATO und Deutschlands Aufstieg zur Weltmacht an der Front zu stehen und im Zweifel auch für diese zu sterben. In der kurzen Zeit ist dabei keine umfassende Ausbildung möglich – die Wehrpflichtigen und Reservisten sollen im Kriegsfall vor allem einfache Front- und Logistikaufgaben übernehmen und als „Kanonenfutter“ dienen oder im Heimatschutz zur Absicherung von NATO-Transporten und zur Unterdrückung möglicher Proteste eingesetzt werden. Darauf soll der freiwillige wie verpflichtende Wehrdienst sie vorbereiten – ideologisch und handfest.

UZ: Die SDAJ leistet mit einer politischen Kampagne Widerstand gegen die Einführung der Wehrpflicht. Was ist geplant, was hat schon stattgefunden?

Sophia: Wir haben bereits einige Aktionen durchgeführt, wie in Neumarkt die symbolische Beerdigung eines Wehrpflichtigen und die Erstellung einer fiktiven Lokalzeitung aus dem Jahr 2030, die vor allem aus Kriegsberichterstattung besteht.

Vor zwei Wochen haben wir offiziell mit unserer Kampagne „Nein zur Wehrpflicht“ gestartet. Mit ihr wollen wir den Zusammenhang zwischen Aufrüstung, Krieg, Wehrpflicht und dem Kapitalismus deutlich machen und vorhandenen Unmut gegen die Wehrpflicht aufgreifen, allen Gegnerinnen und Gegnern Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und Widerstand organisieren. Dazu wollen wir weiterhin Bundeswehrstöraktionen durchführen, SchülerInnenbefragungen gegen die Wehrpflicht durchführen und offene Diskussions- und Aktionsangebote machen. Im September wollen wir im Zeitraum der Gesetzesdiskussion eine Aktionswoche veranstalten, um unseren Protest gebündelt auf die Straße zu tragen. Außerdem wollen wir am 1. September und 3. Oktober mit der Friedensbewegung auf die Straße gehen. Wir sind außerdem Teil des bundesweiten Bündnisses „Nein zur Wehrpflicht“ und arbeiten auch an vielen Orten in lokalen Ablegern mit. Die Petition gegen die Wehrpflicht hat bereits über 15.000 Unterschriften und wir konnten darüber mit vielen verschiedenen Menschen ins Gespräch kommen. Wir wollen außerdem möglichst viele lokale Jugendbündnisse gegen die Wehrpflicht gründen und mit der DKP gemeinsame Aktionen machen.

Gewerkschaftsjugenden, SV-Strukturen und alle ehrlichen Kriegsgegnerinnen und -gegner sind herzlich eingeladen, mit uns gemeinsam gegen die Kriegstüchtigmachung der Jugend zu kämpfen.

Aktuelle Infos gibt es auf der Instagram-Seite des Bündnisses.

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"Für das Führen eines großen Krieges", UZ vom 1. August 2025



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