Fürchten lernen

Nach dem Treffen zwischen Wladimir Putin und Donald Trump in Alaska hatte es eine EU-Charmeoffensive im Weißen Haus gegeben: Jeder fuhr mal schnell hin, um freundlich darum zu bitten, doch irgendwie noch eine Rolle spielen zu dürfen, wenn der Krieg in der Ukraine ein Ende findet.

Jetzt, so sah es für die Spitzenkräfte des Werte-Westens aus, konnte aber nichts mehr schief gehen. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenski war wieder nach Washington eingeladen und Schelte war diesmal nicht zu befürchten. Stattdessen sollte dem Russen endlich das Fürchten gelehrt werden. Im Vorfeld des Treffens hatte Trump angekündigt, der Ukraine über den Umweg NATO Tomahawks liefern zu wollen – Marschflugkörper, die mit konventionellen oder atomaren Sprengköpfen bestückt Moskau erreichen können. Eine klassische Enthauptungswaffe. Glückliche Mienen in Berlin, Brüssel und London.

Doch dann – oh Schreck – schon wieder Kehrtwende beim US-Präsidenten. Beim Gespräch mit Selenski war von der Lieferung von Tomahawks so recht keine Rede mehr. Stattdessen schon wieder das Bild des ukrainischen Präsidenten als unglücklicher Schuljunge im Oval Office. Die Presse überschlug sich, und hatte Kriegsminister Hegseth etwa auch noch mit einer russlandfarbenen Krawatte provoziert?

Krawattenfarbe hin, Schuljunge her – der EU wird langsam klar, dass sie im Ukraine-Krieg auf verlorenem Posten steht. Denn statt die bereits im Vorfeld gefeierte Tomahawk-Zusage zu geben, verabredete Trump sich lieber mit dem russischen Präsidenten zu einem Treffen in Budapest und schlug einen Waffenstillstand mit der aktuellen Frontlinie vor.

Und siehe da, nur einen Tag später finden von Merz über Starmer und Macron bis von der Leyen alle, dass „die derzeitige Kontaktlinie der Ausgangspunkt für Verhandlungen sein sollte“. Vor wenigen Wochen faselten sie bei solchen Vorschlägen noch von Diktatfrieden. Russland wird sich aus guten Gründen nicht auf ein solches Einfrieren des Konflikts einlassen. Der NATO schwimmen die Felle davon.

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"Fürchten lernen", UZ vom 24. Oktober 2025



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