Wie Rosa Luxemburg war Nguyen Thi Minh Khai Parteikader erster Generation. Sie war Stadtsekretärin von Saigon und somit eine der ersten weiblichen Führungspersonen der Partei. Mit Luxemburg teilt sie das Schicksal, von der Reaktion ermordet zu werden. Mit nur 31 Jahren fiel sie vor einem französischen Erschießungskommando. Zurück ließ sie ihren Ehemann, Genossen Le Hong Phong, und ihre Tochter Le Nguyen Hong Minh, damals noch ein kleines Baby. Dank ihres unbeugsamen Willens im Widerstand und ihrer Vorbildfunktion in der Kommunistischen Partei Indochinas (heute KP Vietnams) wird sie bis heute verehrt und ist eine Inspiration für die junge Generation. Schulen und Straßen tragen ihren Namen, und in Nghe An sowie in Ho-Chí-Minh-Stadt sind ihr Tempel geweiht.
Herkunft
Nguyen Thi Minh Khai wurde 1910 als Nguyen Thi Vinh in der Stadt Vinh in der Provinz Nghe An an der nördlichen Küste Vietnams geboren. Ihr Vater war ein kleiner Beamter bei der Eisenbahn und ihre Mutter führte einen Laden, doch die Familie gehörte nicht zur Oberschicht.

In der vom Konfuzianismus geprägten Kultur hatten Disziplin und Bildung einen hohen Stellenwert, so auch in ihrem Elternhaus. 1919 wurde sie in die Nguyen-Truong-To-Mädchenschule geschickt, wo sie als wissbegierige Schülerin auffiel, die bereits als Kind dafür einstand, dass Mädchen all das können, was auch Jungen tun. In der Oberstufe wurde sie unter anderem von Tran Phu unterrichtet, dem späteren ersten Generalsekretär der Kommunistischen Partei Indochinas. Dieser hatte einen großen Einfluss auf die Schülerproteste von 1925/1926, bei denen Nguyen Thi Minh Khai durch ihre aktive Rolle in diesen Massenprotesten zu revolutionärer Praxis kam. Für sie war dies der Beweis, dass Mädchen nicht nur Verantwortung tragen können, sondern dies für das Wohl der Gesellschaft auch müssen. In dieser Zeit entwickelte sie innerhalb der konfuzianistischen Kolonialgesellschaft ein eigenes feministisches Selbstverständnis. Die Schülerproteste selbst blieben zwar ein spontanes Phänomen, doch während der Proteste festigten sich Strukturen, Netzwerke und Erfahrungen. Für die vietnamesische Revolution waren es diese frühen Kämpfe, die die Grundsteine für die spätere Partei und ihren revolutionären Kampf gegen das koloniale Joch legten.
Erster Aktivismus
Mit der Entwicklung der revolutionären Bewegung in der Stadt wurde 1925 die Revolutionäre Partei des Neuen Vietnam gegründet, aus der viele Kader der späteren Kommunistische Partei hervorgingen. Auf Empfehlung des Genossen Phan Kiem Huy, eines Lehrers, der Nguyen Thi Minh Khai aus den Schülerprotesten kannte, trat sie 1927 mit nur 17 Jahren in die Partei ein. Zur Wahrung der Geheimhaltung nahm sie den Decknamen Nguyen Thi Minh Khai an. Als erste Frau wurde sie in das städtische Leitungskomitee von Vinh-Ben Thuy gewählt, was in der stark von Männern geprägten konfuzianischen Kultur Vietnams eine wahrlich außergewöhnliche Leistung war. Nguyen Thi Minh Khai war für die Bildung von Arbeiterinnen zuständig. Sie brachte werktätigen Frauen in Untergrundklassen Lesen und Schreiben bei, verteilte Flugblätter und regte in Betrieben Diskussionen über die Löhne an. Mit ihrer Agitation bewegte sie viele Frauen zum revolutionären Kampf und zum Beitritt in die Partei. Aufgrund des repressiven Vorgehens der Kolonialbehörden musste sie ab 1929 vollständig in den Untergrund gehen und sich vollständig von ihrem Elternhaus lösen. Fest entschlossen, das Land von den Kolonialherren zu befreien, trat sie noch im Gründungsjahr 1930 in die Kommunistische Partei Vietnams ein. Aufgrund ihrer bisherigen Erfahrung in der Bildung der Arbeiterinnen wurde sie mit der Kaderbildung betraut. In den Aufständen und in der Rätebewegung von Nghe An und Hà Tinh (Nghe-Tinh-Sowjets) in den Jahren 1930 – 1931, als die Roten Garden zeitweise die Macht erkämpften, waren neue Kader, die Nguyen Thi Minh Khai eben herangebildet hatte, von großer Bedeutung.
Internationale Jahre
Nguyen Thi Minh Khai stieg in den Rängen der Partei rasch auf und wurde 1930 nach Hongkong geschickt, um sich dort dem Komintern-Büro anzuschließen. Dort war sie im Untergrund unter der direkten Führung von Nguyen Ái Quoc tätig, „Nguyen, dem Patrioten“, der damals Komintern-Repräsentant für Südostasien war und später als Ho Chí Minh bekannt wurde.
Nguyen Thi Minh Khai übernahm verschiedene Aufgaben, darunter die Koordination zwischen der Kommunistischen Partei Vietnams, chinesischen Revolutionären und der Komintern in Moskau. Der Kampf gegen die koloniale Unterdrückung war dabei alles andere als ungefährlich. Sowohl die Briten als auch die Franzosen versuchten, den Widerstand mit Hilfe von Geheimpolizei und Spitzeln zu zerschlagen. Auch Nguyen Thi Minh Khai geriet 1931 zusammen mit zwanzig Genossinnen und Genossen in ihre Fänge, wurde dem Guomindang-Regime in Südchina übergeben und musste drei Jahre Folterhaft in Guangzhou ertragen. Trotz aller Widrigkeiten hielt sie stand und verriet keine Namen. Schließlich gelang es der Roten Hilfe im Jahr 1933, ihre Freilassung zu erwirken.
Nachdem sie wieder auf freien Fuß gesetzt worden war, lernte sie den Genossen Le Hong Phong kennen, der Gründungsmitglied der Partei war und später Generalsekretär wurde. Noch im Jahr 1934 heirateten die beiden im Exil. Anschließend wurde sie dem Auslandskomitee der Partei zugeteilt und reiste 1935 als Delegierte zum VII. Kongress der Komintern in die Sowjetunion. Sie war die erste Vietnamesin, die auf internationaler Bühne für ihr unterjochtes Land sprach. In ihren Reden prangerte sie den Kolonialismus an und betonte die revolutionäre Rolle der Frauen Indochinas.
Die Sowjetunion ermöglichte ihr ein Studium an der Kommunistischen Universität der Werktätigen des Ostens. Sie belegte die Fächer Marxismus-Leninismus, Organisationslehre und Pädagogik. Das Studium und die Erfahrung in der revolutionären Praxis waren das Fundament für ihre Rückkehr nach Vietnam.
Rückkehr
Nach langjähriger politischer Arbeit und Kerker reiste Nguyen Thi Minh Khai 1936 in ihre Heimat zurück und wurde in Südvietnam aktiv. In einer Vorreiterrolle übernahm sie dort die Funktion der Parteisekretärin der Stadt Saigon. Bis heute ist sie die einzige Frau, die je diesen Posten innehatte.

Sie leitete den Aufbau von Parteizellen in den Betrieben, unter anderem bei der kampfbereiten Belegschaft der Ba-Son-Werft, die bereits mehrmals gegen das Kolonialregime in den Streik getreten war, den Eisenbahnern von Saigon und unter den Arbeiterinnen und Arbeitern in mehreren Textilfabriken. Für Nguyen Thi Minh Khai war dabei stets zentral, dass die Klassenfrage mit der Befreiung der Frauen verbunden werden muss. Diese Haltung kam auch in der Parteizeitung „Dan chung“ („Die Volksmassen“) zum Ausdruck, die unter ihrer Führung erschien. „Dan chung“ war eine Kombination aus Bildungszeitschrift und Theorieorgan, die sich das Ziel setzte, sowohl die Werktätigen zu bilden als auch die Emanzipation der Frau zu propagieren.
Nguyen Thi Minh Khai war der festen Überzeugung, dass eine Revolution nur mit Disziplin, internationaler Vernetzung und Orientierung an den realen Begebenheiten möglich sei.
Im Frühjahr 1940 gebar sie ihre Tochter Le Nguyen Hong Minh, doch dieser weiteren Verantwortung neben der revolutionären Tätigkeit sollte sie sich nicht mehr lange widmen können.
Gefangenschaft
Noch im Juli desselben Jahres wurde Nguyen Thi Minh Khai auf dem Nachhauseweg von einer Sitzung für die Planung eines Aufstandes des Regionalkomitees für Cochinchina, wie Südvietnam von den Kolonialherren bezeichnet wurde, verhaftet. Da die Franzosen sie als hochrangigen Parteikader einstuften, wurde Nguyen Thi Minh Khai in das Gefängnis Bot Catinat gebracht, das unter der Bevölkerung als „die Hölle auf Erden“ bekannt war.
Mit Folter versuchten die Franzosen, an Informationen über Strukturen und Mitglieder der Partei zu kommen; sie quälten die Gefangene mit Schlafentzug, Schlägen und Elektroschocks. Nguyen Thi Minh Khai aber blieb trotz aller Schmerzen standhaft und verweigerte jegliche Aussage. Also wechselten sie ihre Strategie und sperrten sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Le Hong Phong, der wenige Monate vor ihr verhaftet worden war, in eine Zelle. Die Kolonialherren hofften, abgehörte Gespräche der beiden als Beweise und Informationen verwenden zu können. Beide leugneten aber, sich überhaupt zu kennen und sprachen kein Wort miteinander. Was für seelischen Schmerz das auslösen musste, ist kaum vorstellbar. Trost fand Nguyen Thi Minh Khai im Schreiben von Gedichten auf die Kerkerwände, darunter die bekannte „Proklamation“, die sie mit ihrem eigenen Blut festhielt:
Ob sie schlagen, ob sie hängen – umso fester mein Wille. Ob sie mit Zangen quetschen – kein Wort gebrochen.
Für die Pflicht gebe ich im Kampf mein Leben. Ich handle konsequent bis in den Tod.
Hinrichtung
Im Januar 1941 wurde ihr schließlich wegen Anstiftung zum Aufstand der Prozess gemacht. Geschickt nutzte sie den Gerichtssaal als politische Bühne und verkündete, dass jemand, der sich für eine freie Heimat einsetze, kein Verbrechen begangen habe. Im Gegenteil, die wahren Verbrecher seien diejenigen, die die Völker am anderen Ende der Erde versklaven. Doch schon im März wurde sie zum Tode durch Erschießung verurteilt. Für die Hinrichtung wurde sie nach Hoc Mon verlegt. Von anderen revolutionären Gefangenen ist überliefert, dass sie ihren Genossinnen bis zum Schluss eine Stütze war. Das letzte erhaltene Dokument von ihr ist ein Brief an ihren Ehemann, der in einer Zigarette versteckt in seine Gefängniszelle geschmuggelt wurde. Darin schrieb sie: „Selbst wenn ich sterbe, verspreche ich dir, der Revolution und der Partei treu zu bleiben. Ich verspreche, für immer eine standhafte Kommunistin zu sein. Ich hoffe, du auch.“
Am Morgen des 28. August 1941 wurde sie vor das Erschießungskommando gebracht. Sie verweigerte die Augenbinde und rief ihre letzten Worte: „Es lebe die Kommunistische Partei Indochinas! Es lebe der Sieg der Revolution Indochinas!“ Mit gerade einmal 31 Jahren schied sie aus dem Leben – nur vier Jahre vor dem Fall des Kolonialregimes und der Gründung der Demokratischen Republik Vietnam.
Nachwirkung
Nguyen Thi Minh Khai konnte den Tag der Befreiung selbst nicht mehr erleben, doch ihre Tochter Le Nguyen Hong Minh wuchs in einem freien Land auf – in jenem Vietnam, das seit 1945 den sozialistischen Weg beschreitet. Die Republik begann früh, ihrer Gefallenen zu gedenken. Nguyen Thi Minh Khai blieb als vorbildhafte Genossin mit hoher Moral und großer Opferbereitschaft für die Sache in Erinnerung.
Zu ihren Ehren wurden Tempel errichtet, wie es in der vietnamesischen Tradition der Ahnenverehrung für Heldinnen und Helden üblich ist. Schulen und Straßen tragen ihren Namen, damit sich kommende Generationen ihrer erinnern. Mit der Zeit hat sich das Bild jedoch erweitert. Neben der standhaften Revolutionärin wird heute auch die Pädagogin und Denkerin gewürdigt, die schon früh Bildung, Klassenbewusstsein und die Frauenfrage miteinander verband. Der Vietnamesische Frauenverband ehrt sie seitdem jedes Jahr an ihrem Todestag als Symbol für junge Frauen und Mädchen im Kampf für Freiheit, Sozialismus und die Gleichberechtigung der Geschlechter.



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