Über Altersarmut und Möglichkeiten, dazuzuverdienen

„Geht doch ins Ehrenamt“

Kolumne

Die Zahl der Menschen in Altersarmut wächst weiter. Inzwischen ist jeder Fünfte über 75 Jahren von Armut betroffen. Die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter steigt. Waren es 2021 noch eine halbe Million, so sind es inzwischen über 740.000 Menschen, vor allem Frauen. Der Sozialverband VdK schätzte Ende 2024, dass eigentlich viel mehr Menschen Anspruch auf diese Sozialleistung hätten. 70 Prozent der Berechtigten stellten keinen Antrag, aus Angst, als Bittsteller dazustehen, oder weil sie mit den riesigen Papierbergen überfordert sind.

Um Grundsicherung zu erhalten, reicht es leider nicht, einen einmaligen Antrag zu stellen. Das Amt unterstellt den armen Alten grundsätzlich, dass sie jederzeit zu Wohlstand kommen könnten und somit aus der Grundsicherung herausfallen würden. Darum muss der Antrag Jahr für Jahr neu gestellt werden, Einreichung von Kontobelegen inklusive.

Dieses Verfahren ist vom Bürgergeld bekannt. Den Empfängerinnen und Empfängern wird unter anderem unterstellt, dass sie schwarzarbeiten könnten. Nach offizieller Lesart sollen sie wieder in den Arbeitsmarkt inte­griert werden. Dabei wird bewusst übersehen, dass die meisten von ihnen bereits arbeiten und aufstocken, dass sie krank oder beeinträchtigt oder durch Pflege von Kranken oder Kleinkindern gebunden sind.

Aber was ist mit den Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherung im Alter? Sollen auch die auf den Arbeitsmarkt gedrängt werden?

Bundeskanzler Friedrich Merz will, dass alle länger arbeiten. Wer das Rentenalter dann noch erreicht, soll ebenfalls weiter arbeiten und bis zu 2.000 Euro steuerfrei „dazuverdienen“ können. Es stellt sich die Frage, wer dazu noch in der Lage ist.

Für die von Altersarmut betroffenen Menschen wirkt diese Debatte jedenfalls wie blanker Hohn. Wer ganz unten angekommen ist, bei Grundsicherung im Alter, darf null Euro anrechnungsfrei dazuverdienen. Ab dem ersten Euro werden 70 Prozent des Einkommens angerechnet. Damit sind alte Arme sogar noch schlechter gestellt als Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger. Bei diesen bleiben immerhin die ersten 100 Euro vom Zuverdienst anrechnungsfrei.

Es gibt jedoch eine Ausnahme: „Sie dürfen doch ehrenamtlich arbeiten“, sagen die Beratungsstellen. Tatsächlich gilt die Abzugsregel ab dem ersten Euro nur für angestellte oder freiberufliche Arbeit und nicht fürs Ehrenamt. Bis zu 3.000 Euro jährlich „Aufwandsentschädigung“ dürfen auch Grundsicherungsempfängerinnen und -empfänger erhalten, ohne dass diese angerechnet wird.

Das ist eine Pervertierung des Ehrenamtes. Während sich reguläre Arbeit nicht rechnet, wird das Ehrenamt als Schlupfloch empfohlen, wenn 563 Euro Grundsicherung im Alter nicht ausreichen. Dieser Regelbedarf muss alles decken, von der Ernährung, über Strom, Kleidung, Mobilität, Gesundheit. Für die Bildung sind übrigens gerade einmal 2,03 Euro vorgesehen – das reicht vielleicht für einen Bleistift und oder einen Kugelschreiber. Wer arm ist, braucht offenbar keine Bildung.

Nun gab es einmal einen SPD-Arbeitsminister namens Hubertus Heil. Der sagte, er finde es auch bedenklich, wenn Frauen in die Altersarmut fallen, nachdem sie jahrzehntelang in die Rentenversicherung eingezahlt und Kinder erzogen haben. Und wie ein guter Minister in einem guten Märchen führte er 2020 die Grundrente ein, als Zusatzrente für langjährig versicherte Mini-Rentner. Das Märchen platzte.

Zwar bekommen heute 1,1 Millionen Alte, vorwiegend Frauen und Mütter, diesen Zuschlag, doch dieser beläuft sich durchschnittlich gerade mal auf 86 Euro im Monat. Und viele alte Frauen, für die er einst gedacht war, gehen leer aus, weil diesen hochkompliziert zu berechnenden Zuschlag nur bekommt, wer mindestens 33 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Nun klagt der Sozialverband VdK für einen gerechteren Grundrentenzuschlag, nachdem sich gezeigt hat, dass er bei der Verhinderung von Altersarmut versagt hat.

Die Bundesregierung tut weiter nichts, um der beschämenden Altersarmut entgegenzuwirken. Stattdessen wird die Märchenstunde fortgeschrieben von der CSU mit ihrer Mütterrente, die nun ab 2028 kommen soll (UZ vom 11. Juli). Während Frauen, die nicht auf Grundsicherung angewiesen sind, für jedes vor 1990 geborene Kind 20 Euro zusätzlich erhalten, wird dieser Betrag den Müttern mit Grundsicherung gleich wieder vom Regelbedarf abgezogen. Fazit: Wer arm ist, soll arm bleiben.

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"„Geht doch ins Ehrenamt“", UZ vom 1. August 2025



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