Der deutsche Bauernkrieg – Teil 8 und Schluss: Die Kämpfe in Thüringen und die Folgen der Frühbürgerlichen Revolution

Großartiger Revolutionsversuch

Vor 500 Jahren erhoben sich die Bauern in Deutschland. Aus diesem Anlass drucken wir in UZ Friedrich Engels’ Werk „Der deutsche Bauernkrieg“ in Auszügen ab. Die Serie endet mit diesem Teil 8. Engels analysierte den Bauernkrieg nicht nur aus historischen Motiven. Die Lehren aus dem Bauernkrieg, gezogen mit Hilfe des historischen Materialismus, sollten Orientierung liefern für die Klassenkämpfe seiner Zeit. Der Bauernkrieg, eine frühbürgerliche Revolution, musste in Deutschland scheitern. Die Produktivkräfte waren noch nicht reif für kapitalistische Verhältnisse. Die Bourgeoisie, wo sie sich schon entwickelt hatte, zauderte. Die Bauern und Plebejer, am meisten bedrückt durch Adel und Kirche, waren Vorboten des Proletariats. Mehr als 300 Jahre dauerte es, bis 1848 die deutsche Bourgeoisie einen neuen Anlauf startete. Wieder zauderte sie, brachte die Revolution nicht zu Ende. Auch aus Angst vor der sich formierenden Arbeiterklasse. Vor allem diese erkämpfte dann 1918 die Republik, die Bourgeoisie musste den Aufstand niederschlagen. Dennoch gelang es, zwischen Befreiung und Konterrevolution in der DDR den Versuch zu unternehmen, den Sozialismus aufzubauen. Es gibt also eine revolutionäre deutsche Tradition, auf die wir zu Recht stolz sein können und aus der sich für den nächsten Anlauf viel lernen lässt.

Gleich beim Ausbruch der ersten Bewegungen in Schwaben war Thomas Müntzer wieder nach Thüringen geeilt und hatte seit Ende Februar oder Anfang März seinen Wohnsitz in der freien Reichsstadt Mühlhausen genommen, wo seine Partei am stärksten war. Er hatte die Fäden der ganzen Bewegung in der Hand; er wusste, welch allgemeiner Sturm in Süddeutschland auszubrechen im Begriff war und hatte es übernommen, Thüringen in das Zentrum der Bewegung für Norddeutschland zu verwandeln. Er fand einen höchst fruchtbaren Boden. Thüringen selbst, der Hauptsitz der Reformationsbewegung, war im höchsten Grade aufgeregt; und die materielle Not der unterdrückten Bauern nicht minder als die kursierenden revolutionären, religiösen und politischen Doktrinen hatten auch die benachbarten Länder, Hessen, Sachsen und die Harzgegend, für einen allgemeinen Aufstand vorbereitet. In Mühlhausen namentlich war die ganze Masse der Kleinbürgerschaft für die extreme, Müntzersche Richtung gewonnen und konnte kaum den Moment erwarten, in dem sie ihre Überzahl gegen die hochmütige Ehrbarkeit geltend machen sollte. Müntzer selbst musste, um dem richtigen Moment nicht vorzugreifen, besänftigend auftreten; doch sein Schüler Pfeifer, der hier die Bewegung dirigierte, hatte sich schon so kompromittiert, dass er den Ausbruch nicht zurückhalten konnte, und schon am 17. März 1525, noch vor dem allgemeinen Aufstand in Süddeutschland, machte Mühlhausen seine Revolution. Der alte patrizische Rat wurde gestürzt und die Regierung in die Hände des neugewählten „ewigen Rats“ gelegt, dessen Präsident Müntzer war.

Unlösbares Dilemma

Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, in einer Epoche die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt, und für die Durchführung der Maßregeln, die die Herrschaft dieser Klasse erfordert. Was er tun kann, hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von der Höhe, auf die der Gegensatz der verschiedenen Klassen getrieben ist, und von dem Entwicklungsgrad der materiellen Existenzbedingungen, der Produktions- und Verkehrsverhältnisse, auf dem der jedesmalige Entwicklungsgrad der Klassengegensätze beruht. Was er tun soll, was seine eigene Partei von ihm verlangt, hängt wieder nicht von ihm ab, aber auch nicht von dem Entwicklungsgrad des Klassenkampfs und seiner Bedingungen; er ist gebunden an seine bisherigen Doktrinen und Forderungen, die wieder nicht aus der momentanen Stellung der gesellschaftlichen Klassen gegeneinander und aus dem momentanen, mehr oder weniger zufälligen Stande der Produktions- und Verkehrsverhältnisse hervorgehen, sondern aus seiner größeren oder geringeren Einsicht in die allgemeinen Resultate der gesellschaftlichen und politischen Bewegung. Er findet sich so notwendigerweise in einem unlösbaren Dilemma: Was er tun kann, widerspricht seinem ganzen bisherigen Auftreten, seinen Prinzipien und den unmittelbaren Inte­ressen seiner Partei; und was er tun soll, ist nicht durchzuführen. Er ist, mit einem Wort, gezwungen, nicht seine Partei, seine Klasse, sondern die Klasse zu vertreten, für deren Herrschaft die Bewegung gerade reif ist. Er muss im Inte­resse der Bewegung selbst die Inte­ressen einer ihm fremden Klasse durchführen und seine eigene Klasse mit Phrasen und Versprechungen, mit der Beteuerung abfertigen, dass die Inte­ressen jener fremden Klasse ihre eigenen Inte­ressen sind. Wer in diese schiefe Stellung gerät, ist unrettbar verloren.

Die Stellung Müntzers an der Spitze des ewigen Rats von Mühlhausen war indes noch viel gewagter als die irgendeines modernen revolutionären Regenten. Nicht nur die damalige Bewegung, auch sein ganzes Jahrhundert war nicht reif für die Durchführung der Ideen, die er selbst erst dunkel zu ahnen begonnen hatte. Die Klasse, die er repräsentierte, weit entfernt, vollständig entwickelt und fähig zur Unterjochung und Umbildung der ganzen Gesellschaft zu sein, war eben erst im Entstehen begriffen. Der gesellschaftliche Umschwung, der seiner Phantasie vorschwebte, war noch so wenig in den vorliegenden materiellen Verhältnissen begründet, dass diese sogar eine Gesellschaftsordnung vorbereiteten, die das gerade Gegenteil seiner geträumten Gesellschaftsordnung war. Dabei aber blieb er an seine bisherigen Predigten von der christlichen Gleichheit und der evangelischen Gütergemeinschaft gebunden; er musste wenigstens den Versuch ihrer Durchführung machen. Die Gemeinschaft aller Güter, die gleiche Verpflichtung aller zur Arbeit und die Abschaffung aller Obrigkeit wurde proklamiert. Aber in der Wirklichkeit blieb Mühlhausen eine republikanische Reichsstadt mit etwas demokratisierter Verfassung, mit einem aus allgemeiner Wahl hervorgegangenen Senat, der unter der Kontrolle des Forums stand, und mit einer eilig improvisierten Naturalverpflegung der Armen. Der Gesellschaftsumsturz, der den protestantischen bürgerlichen Zeitgenossen so entsetzlich vorkam, ging in der Tat nie hinaus über einen schwachen und unbewussten Versuch zur übereilten Herstellung der späteren bürgerlichen Gesellschaft.

Revolutionsprophet

Müntzer selbst scheint die weite Kluft zwischen seinen Theorien und der unmittelbar vorliegenden Wirklichkeit gefühlt zu haben, eine Kluft, die ihm um so weniger verborgen bleiben konnte, je verzerrter seine genialen Anschauungen sich in den rohen Köpfen der Masse seiner Anhänger widerspiegeln mussten. Er warf sich mit einem selbst bei ihm unerhörten Eifer auf die Ausbreitung und Organisation der Bewegung; er schrieb Briefe und sandte Boten und Emissäre nach allen Seiten aus. Seine Schreiben und Predigten atmen einen revolutionären Fanatismus, der selbst nach seinen früheren Schriften in Erstaunen setzt. Der naive jugendliche Humor der revolutionären Müntzerschen Pamphlete ist ganz verschwunden; die ruhige, entwickelnde Sprache des Denkers, die ihm früher nicht fremd war, kommt nicht mehr vor. Müntzer ist jetzt ganz Revolutionsprophet; er schürt unaufhörlich den Hass gegen die herrschenden Klassen, er stachelt die wildesten Leidenschaften auf und spricht nur noch in den gewaltsamen Wendungen, die das religiöse und nationale Delirium den alttestamentarischen Propheten in den Mund legte. Man sieht aus dem Stil, in den er sich jetzt hineinarbeiten musste, auf welcher Bildungsstufe das Publikum stand, auf das er zu wirken hatte.

Entscheidung

Das Beispiel Mühlhausens und die Agitation Müntzers wirkten rasch in die Ferne. In Thüringen, im Eichsfeld, im Harz, in den sächsischen Herzogtümern, in Hessen und Fulda, in Oberfranken und im Vogtland standen überall Bauern auf, zogen sich in Haufen zusammen und verbrannten Schlösser und Klöster. Müntzer war mehr oder weniger als Führer der ganzen Bewegung anerkannt, und Mühlhausen blieb Zentralpunkt, während in Erfurt eine rein bürgerliche Bewegung siegte und die dort herrschende Partei fortwährend eine zweideutige Stellung gegen die Bauern beobachtete.

Die Fürsten waren in Thüringen anfangs geradeso ratlos und ohnmächtig gegenüber den Bauern wie in Franken und Schwaben. Erst in den letzten Tagen des April gelang es dem Landgrafen von Hessen, ein Korps zusammenzuziehen – demselben Landgrafen Philipp, von dessen Frömmigkeit die protestantischen und bürgerlichen Reformationsgeschichten so viel zu rühmen wissen und von dessen Infamien gegen die Bauern wir sogleich ein geringes Wörtlein vernehmen werden. Der Landgraf Philipp unterwarf durch ein paar rasche Züge und durch bestimmtes Auftreten bald den größten Teil seines Landes. Dann nahm er Eisenach und Langensalza und zog, mit den herzoglich-sächsischen Truppen vereinigt, gegen den Hauptsitz der Rebellion, gegen Mühlhausen. Müntzer zog seine Streitkräfte, an 8.000 Mann mit einigem Geschütz, bei Frankenhausen zusammen. Der thüringische Haufen war weit entfernt davon, die Schlagfähigkeit zu besitzen, die ein Teil der oberschwäbischen und fränkischen Haufen dem Truchsess gegenüber entwickelte; er war schlecht bewaffnet und schlecht diszipliniert, er zählte wenig gediente Soldaten und ermangelte aller Führer. Müntzer selbst besaß offenbar nicht die geringsten militärischen Kenntnisse. Dennoch fanden es die Fürsten angemessen, auch hier die Taktik anzuwenden, die dem Truchsess so oft zum Sieg verholfen hatte: die Wortbrüchigkeit. Am 16. Mai leiteten sie Unterhandlungen ein, schlossen einen Waffenstillstand und überfielen dann plötzlich die Bauern, noch ehe der Stillstand abgelaufen war.
Müntzer stand mit den Seinen auf dem noch jetzt so genannten Schlachtberg, verschanzt hinter einer Wagenburg. Die Entmutigung unter dem Haufen war schon sehr im Zunehmen. Die Fürsten versprachen Amnestie, wenn der Haufen ihnen Müntzer lebendig ausliefern wolle. Müntzer ließ einen Kreis bilden und die Anträge der Fürsten debattieren. Ein Ritter und ein Pfaff sprachen sich für die Kapitulation aus; Müntzer ließ sie beide sofort in den Kreis führen und enthaupten. Dieser von den entschlossenen Revolutionären mit Jubel aufgenommene Akt terroristischer Energie brachte wieder einigen Halt in den Haufen; aber schließlich wäre er doch zum größten Teil ohne Widerstand auseinandergegangen, wenn man nicht bemerkt hätte, dass die fürstlichen Landsknechte, nachdem sie den ganzen Berg umstellt, trotz des Stillstands in geschlossenen Kolonnen heranrückten. Schnell wurde die Front hinter den Wagen formiert, aber schon schlugen die Geschütz- und Büchsenkugeln in die halb wehrlosen, kampfungewohnten Bauern, schon waren die Landsknechte bei der Wagenburg angelangt. Nach kurzem Widerstand war die Wagenlinie durchbrochen, die Kanonen der Bauern waren erobert und sie selbst versprengt. Sie flohen in wilder Unordnung, um den Umgehungskolonnen und der Reiterei um so sicherer in die Hände zu fallen, die ein unerhörtes Blutbad unter ihnen anrichteten. Von 8.000 Bauern wurden über 5.000 erschlagen; der Rest kam nach Frankenhausen hinein und gleichzeitig mit ihm die fürstlichen Reiter. Die Stadt war genommen. Müntzer, am Kopf verwundet, wurde in einem Hause entdeckt und gefangen genommen. Am 25. Mai ergab sich auch Mühlhausen; Pfeifer, der dort geblieben war, entkam, wurde aber im Eisenachschen verhaftet.

Müntzer wurde in Gegenwart der Fürsten auf die Folter gespannt und dann enthauptet. Er ging mit demselben Mut auf den Richtplatz, mit dem er gelebt hatte. Er war höchstens 28 Jahre alt, als er hingerichtet wurde. Auch Pfeifer wurde enthauptet; außer diesen beiden aber noch zahllose andere.

Aufstand im Elsass

Im Elsass war der Aufstand später losgebrochen als auf der rechten Rheinseite. Erst gegen die Mitte des April erhoben sich die Bauern im Bistum Straßburg, und bald nach ihnen die Oberelsässer und Sundgauer. Am 18. April plünderte ein niederelsässischer Bauernhaufen das Kloster Altdorf; andere Haufen bildeten sich bei Ebersheim und Barr sowie im Willertal und Urbistal. Sie konzentrierten sich bald zum großen Niederelsässer Haufen und organisierten die Einnahme der Städte und Flecken sowie die Zerstörung der Klöster. Überall wurde der dritte Mann zum Heer eingefordert. Die Zwölf Artikel dieses Haufens sind bedeutend radikaler als die schwäbisch-fränkischen.

Diese, seit dem 20. April in Bewegung, hatten am 10. Mai Sulz, am 12. Gebweiler, am 15. Sennheim und Umgegend in die Bauernverbrüderung gezwungen. Die österreichische Regierung und die umliegenden Reichsstädte verbanden sich zwar sogleich gegen sie, waren aber zu schwach, ihnen ernsthaften Widerstand zu leisten, geschweige sie anzugreifen. So war, mit Ausnahme weniger Städte, bis Mitte Mai das ganze Elsass in den Händen der Inurgenten.

Die folgenden Religionskriege und endlich der ­Dreißigjährige Krieg mit seinen stets wiederholten, massenhaften Verwüstungen und Entvölkerungen haben die Bauern weit schwerer getroffen als der Bauernkrieg; namentlich der Dreißigjährige Krieg vernichtete den bedeutendsten Teil der im Ackerbau angewandten Produktivkräfte.

Aber schon nahte das Heer, das den Frevelmut der Elsässer Bauern brechen sollte. Es waren Franzosen, die hier die Restauration der Adelsherrschaft vollzogen. Der Herzog Anton von Lothringen setzte sich bereits am 6. Mai mit einer Armee von 30.000 Mann in Bewegung, darunter die Blüte des französischen Adels und spanische, piemontesische, lombardische, griechische und albanische Hilfstruppen. Am 16. Mai stieß er bei Lützelstein auf 4.000 Bauern, die er ohne Mühe schlug, und am 17. schon zwang er das von den Bauern besetzte Zabern zur Kapitulation. Aber noch während des Einzugs der Lothringer in die Stadt und der Entwaffnung der Bauern wurde die Kapitulation gebrochen; die wehrlosen Bauern wurden von den Landsknechten überfallen und größtenteils niedergemacht. Der Herzog pazifizierte nun das ganze Elsass mit üblicher Grausamkeit. Nur der Sundgau blieb von seiner Anwesenheit verschont. Die österreichische Regierung brachte hier durch die Drohung, ihn ins Land zu rufen, ihre Bauern Anfang Juni zum Abschluss des Vertrags von Ensisheim. Sie selbst aber brach diesen Vertrag sogleich wieder und ließ die Prediger und Führer der Bewegung massenweise hängen. Die Bauern machten hierauf einen neuen Aufstand, der endlich damit endigte, dass die Sundgauer Bauern in den Vertrag zu Offenburg eingeschlossen wurden.

Revolution in ­Österreich

Es bleibt uns jetzt noch vom Bauernkrieg in den österreichischen Alpenländern zu berichten. Diese Gegenden sowie das anstoßende Erzbistum Salzburg waren seit der stara prawa in fortwährender Opposition gegen Regierung und Adel, und die reformierten Lehren hatten auch hier einen günstigen Boden gefunden. Religiöse Verfolgungen und willkürliche Steuerbedrückungen brachten den Aufstand zum Losbruch.

Die Stadt Salzburg, unterstützt von den Bauern und Bergknappen, hatte schon seit 1522 mit dem Erzbischof wegen ihrer städtischen Privilegien und wegen der Religionsübung im Streit gelegen. Ende 1524 überfiel der Erzbischof die Stadt mit angeworbenen Landsknechten, terrorisierte sie durch die Kanonen des Schlosses und verfolgte die ketzerischen Prediger. Zugleich schrieb er neue, drückende Steuern aus und reizte die ganze Bevölkerung dadurch aufs Äußerste. Im Frühjahr 1525, gleichzeitig mit der schwäbisch-fränkischen und thüringischen Insurrektion, erhoben sich plötzlich die Bauern und Bergleute des ganzen Landes, organisierten sich in Haufen unter den Hauptleuten Praßler und Weitmoser, befreiten die Stadt und belagerten das Schloss Salzburg. Sie schlossen, wie die westdeutschen Bauern, einen christlichen Bund und fassten ihre Forderungen in Artikeln zusammen, deren hier 14 waren.

Auch in der Steiermark, in Oberösterreich, Kärnten und Krain, wo neue ungesetzliche Steuern, Zölle und Verordnungen das Volk in seinen nächsten Inte­ressen verletzt hatten, standen die Bauern im Frühjahr 1525 auf.

In Tirol hatten ebenfalls die reformierten Lehren großen Anhang gefunden; hier waren sogar, noch mehr als in den übrigen österreichischen Alpenländern, Müntzersche Emissäre mit Erfolg tätig gewesen. Der Erzherzog Ferdinand verfolgte die Prediger der neuen Lehre auch hier und griff ebenfalls durch neue willkürliche Finanzregulationen in die Vorrechte der Bevölkerung ein. Die Folge war, wie überall, der Aufstand im Frühling desselben Jahres 1525. Die Insurgenten, deren oberster Hauptmann ein Müntzerscher war, Geismaier, das einzige bedeutende militärische Talent unter sämtlichen Bauernchefs, nahmen eine Menge Schlösser und verfuhren namentlich im Süden, im Etschgebiet, sehr energisch gegen die Pfaffen. Auch die Vorarlberger standen auf und schlossen sich den Allgäuern an.

Der Erzherzog, von allen Seiten bedrängt, machte den Rebellen, die er noch kurz vorher mit Sengen und Brennen, Plündern und Morden hatte ausrotten wollen, Konzession über Konzession. Er berief die Landtage der Erblande ein und schloss bis zu ihrem Zusammentritt Waffenstillstand mit den Bauern. Inzwischen rüstete er nach Kräften, um möglichst bald eine andere Sprache mit den Frevlern führen zu können.

Der Waffenstillstand wurde natürlich nicht lange gehalten. In den Herzogtümern fing Dietrichstein, dem das Geld ausging, an zu brandschatzen. Seine slawischen und magyarischen Truppen erlaubten sich zudem die schamlosesten Grausamkeiten gegen die Bevölkerung. Die Steirer standen also wieder auf, überfielen in der Nacht vom 2. zum 3. Juli den Feldhauptmann Dietrichstein in Schladming und machten alles nieder, was nicht Deutsch sprach. Dietrichstein selbst wurde gefangen; am Morgen des 3. wurde von den Bauern ein Geschworenengericht eingesetzt und 40 tschechische und kroatische Adlige aus den Gefangenen zum Tode verurteilt. Sie wurden sofort enthauptet. Das wirkte; der Erzherzog genehmigte sofort alle Forderungen der Stände der fünf Herzogtümer (Ober- und Niederöstreich, Steiermark, Kärnten und Krain).

Auch in Tirol wurden die Forderungen des Landtags bewilligt und dadurch der Norden pazifiziert. Der Süden jedoch, auf seinen ursprünglichen Forderungen gegenüber den abgeschwächten Landtagsbeschlüssen beharrend, blieb unter den Waffen. Erst im Dezember konnte der Erzherzog hier die Ordnung durch Gewalt wiederherstellen. Er unterließ nicht, eine große Anzahl der in seine Hände gefallenen Anstifter und Führer des Aufruhrs hinrichten zu lassen.

Gegen Salzburg zogen nun im August 10.000 Bayern unter Georg von Frundsberg. Diese imposante Truppenmacht sowie Zwistigkeiten, die unter den Bauern ausgebrochen waren, bewogen die Salzburger zum Abschluss eines Vertrags mit dem Erzbischof, der am 1. September zustande kam und den auch der Erzherzog annahm. Die beiden Fürsten, die inzwischen ihre Truppen genügend verstärkt hatten, brachen diesen Vertrag jedoch sehr bald und trieben dadurch die Salzburger Bauern zu einem erneuerten Aufstand. Die Insurgenten hielten sich den Winter über; im Frühjahr kam Geismaier zu ihnen und eröffnete eine glänzende Kampagne gegen die von allen Seiten heranrückenden Truppen. In einer Reihe brillanter Gefechte schlug er – im Mai und Juni 1526 – nacheinander Bayern, Österreicher, schwäbische Bundestruppen und erzbischöflich-salzburgische Landsknechte und hinderte lange die verschiedenen Korps an ihrer Vereinigung. Dazwischen fand er noch Zeit, Radstadt zu belagern. Von der Übermacht endlich auf allen Seiten umzingelt, musste er abziehen, schlug sich durch und führte die Truppen seines Korps mitten durch die österreichischen Alpen auf venetianisches Gebiet. Die Republik Venedig und die Schweiz boten dem unermüdlichen Bauernchef Anhaltspunkte zu neuen Intrigen; er versuchte noch ein Jahr lang, sie in einen Krieg gegen Österreich zu verwickeln, der ihm zu einem wiederholten Bauernaufstand Gelegenheit bieten sollte. Aber während dieser Unterhandlungen erreichte ihn die Hand eines Mörders; der Erzherzog Ferdinand und der salzburgische Erzbischof waren nicht ruhig, solange Geismaier am Leben war: Sie bezahlten einen Banditen, und diesem gelang es, den gefährlichen Rebellen 1527 aus der Welt zu schaffen.

Folgen des Bauernkriegs

Mit dem Rückzuge Geismaiers auf venetianisches Gebiet hatte das letzte Nachspiel des Bauernkriegs sein Ende erreicht. Die Bauern waren überall wieder unter die Botmäßigkeit ihrer geistlichen, adligen oder patrizischen Herren gebracht; die Verträge, die hie und da mit ihnen abgeschlossen waren, wurden gebrochen, die bisherigen Lasten wurden vermehrt durch die enormen Brandschatzungen, die die Sieger den Besiegten auferlegten. Der großartigste Revolutionsversuch des deutschen Volks endigte mit schmählicher Niederlage und momentan verdoppeltem Druck. Auf die Dauer jedoch verschlimmerte sich die Lage der Bauernklasse nicht durch die Unterdrückung des Aufstandes. Was Adel, Fürsten und Pfaffen aus ihnen jahraus, jahrein herausschlagen konnten, das wurde schon vor dem Krieg sicher herausgeschlagen; der deutsche Bauer von damals hatte dies mit dem modernen Proletarier gemein, dass sein Anteil an den Produkten seiner Arbeit sich auf das Minimum von Subsistenzmitteln beschränkte, das zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung der Bauernklasse erforderlich war. Im Durchschnitt war also hier nichts mehr zu nehmen. Manche wohlhabenderen Mittelbauern sind freilich ruiniert, eine Menge von Hörigen in die Leibeigenschaft hineingezwungen, ganze Striche Gemeindeländereien konfisziert, eine große Anzahl Bauern durch die Zerstörung ihrer Wohnungen und die Verwüstung ihrer Felder sowie durch die allgemeine Unordnung in die Vagabondage oder unter die Plebejer der Städte geworfen worden. Aber Kriege und Verwüstungen gehörten zu den alltäglichen Erscheinungen jener Zeit, und im Allgemeinen stand die Bauernklasse eben zu tief für eine dauernde Verschlechterung ihrer Lage durch erhöhte Steuern. Die folgenden Religionskriege und endlich der Dreißigjährige Krieg mit seinen stets wiederholten, massenhaften Verwüstungen und Entvölkerungen haben die Bauern weit schwerer getroffen als der Bauernkrieg; namentlich der Dreißigjährige Krieg vernichtete den bedeutendsten Teil der im Ackerbau angewandten Produktivkräfte und brachte dadurch und durch die gleichzeitige Zerstörung vieler Städte die Bauern, Plebejer und ruinierten Bürger auf lange Zeit bis zum irischen Elend in seiner schlimmsten Form herab.

Wer an den Folgen des Bauernkriegs am meisten litt, war die Geistlichkeit. Ihre Klöster und Stifte waren verbrannt, ihre Kostbarkeiten geplündert, ins Ausland verkauft oder eingeschmolzen, ihre Vorräte waren verzehrt worden. Sie hatte überall am wenigsten Widerstand leisten können, und zu gleicher Zeit war die ganze Wucht des Volks­hasses am schwersten auf sie gefallen. Die anderen Stände, Fürsten, Adel und Bürgerschaft, hatten sogar eine geheime Freude an der Not der verhassten Prälaten. Der Bauernkrieg hatte die Säkularisation der geistlichen Güter zugunsten der Bauern populär gemacht, die weltlichen Fürsten und zum Teil die Städte gaben sich daran, diese Säkularisation zu ihrem Besten durchzuführen, und bald waren in protestantischen Ländern die Besitzungen der Prälaten in den Händen der Fürsten oder der Ehrbarkeit. Aber auch die Herrschaft der geistlichen Fürsten war angetastet worden, und die weltlichen Fürsten verstanden es, den Volkshass nach dieser Seite hin zu exploitieren.

Der Adel hatte ebenfalls bedeutend gelitten. Die meisten seiner Schlösser waren vernichtet, eine Anzahl der angesehensten Geschlechter war ruiniert und konnte nur im Fürstendienst eine Existenz finden. Seine Ohnmacht gegenüber den Bauern war konstatiert; er war überall geschlagen und zur Kapitulation gezwungen worden; nur die Heere der Fürsten hatten ihn gerettet. Er musste mehr und mehr seine Bedeutung als reichsunmittelbarer Stand verlieren und unter die Botmäßigkeit der Fürsten geraten.

Die Städte hatten im Ganzen auch keinen Vorteil vom Bauernkrieg. Die Herrschaft der Ehrbarkeit wurde fast überall wieder befestigt; die Opposition der Bürgerschaft blieb für lange Zeit gebrochen. Der alte patrizische Schlendrian schleppte sich so, Handel und Industrie nach allen Seiten hin fesselnd, bis in die Französische Revolution fort.

Wer unter diesen Umständen vom Ausgang des Bauernkriegs allein Vorteil zog, waren die Fürsten. Wir sahen schon gleich im Anfang unserer Darstellung, wie die mangelhafte industrielle, kommerzielle und agrikole Entwicklung Deutschlands alle Zentralisation der Deutschen zur Nation unmöglich machte, wie sie nur eine lokale und provinzielle Zentralisation zuließ und wie daher die Repräsentanten dieser Zentralisation innerhalb der Zersplitterung, die Fürsten, den einzigen Stand bildeten, dem jede Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zugutekommen musste. Der Entwicklungsgrad des damaligen Deutschlands war so niedrig und zu gleicher Zeit so ungleichförmig in den verschiedenen Provinzen, dass neben den weltlichen Fürstentümern noch geistliche Souveränitäten, städtische Republiken und souveräne Grafen und Barone bestehen konnten; aber sie drängte zu gleicher Zeit, wenn auch sehr langsam und matt, doch immer auf die provinzielle Zentralisation, das heißt auf die Unterordnung der übrigen Reichsstände unter die Fürsten hin. Daher konnten am Ende des Bauernkriegs nur die Fürsten gewonnen haben. So war es auch in der Tat. Sie gewannen nicht nur relativ, dadurch dass ihre Konkurrenten, die Geistlichkeit, der Adel, die Städte, geschwächt wurden; sie gewannen auch absolut, indem sie die spolia opima (Hauptbeute) von allen übrigen Ständen davontrugen. Die geistlichen Güter wurden zu ihrem Besten säkularisiert; ein Teil des Adels, halb oder ganz ruiniert, musste sich nach und nach unter ihre Oberhoheit geben; die Brandschatzungsgelder der Städte und Bauernschaften flossen in ihren Fiskus, der obendrein durch die Beseitigung so vieler städtischer Privilegien weit freieren Spielraum für seine beliebten Finanzoperationen gewann.

Worterklärungen
Ehrbarkeit: städtische Oberschicht
Emissär: Bote mit geheimem Auftrag
Säkularisierung: Trennung von Staat und Kirche, hier im Sinne der Übertragung kirchlichen Eigentums in staatliches
Truchsess von Waldburg: Heerführer. Seit 1525 Statthalter des Kaisers im Herzogtum Württemberg
Zwölf Artikel: Forderungen an die Herrschenden, auch im Sinne eines politischen Programms, auf das die Bauernhaufen schworen
Insurrektion: Aufstand
stara prawa: „Der Alten Rechte“ Losung von Bauernaufständen, die sich ab 1513 vor allem in Österreich gegen Verschlechterung ihre Lage stellten
Bergknappen: einfache Bergleute
Erzherzog Ferdinand: Erzherzog von Österreich und Bruder des Kaisers Karl V.
Siegmund von Dietrichstein: Österreichischer Adliger. Günstling von Kaiser Maximilian I. und Vetrauter von Erzherzog Ferdinand
Patrizier: städtische Oberschicht
Plebejer: städtische Unterschichten
Dreißigjähriger Krieg: Krieg von 1618 bis 1648 zwischen europäischen Großmächten. Verwüstete und entvölkerte weite Teile vor allem Deutschlands.
Irisches Elend: Hungersnot, die zwischen 1845 und 1849 im von Britannien besetzten Irland wütete. Durch Tod und Auswanderung verlor das Land mehr als ein Drittel seiner Bevölkerung.
Prälat: Inhaber eines hohen Kirchenamts
exploitieren: ausbeuten
konstatieren: feststellen
Agrikol: landwirtschaftlich

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"Großartiger Revolutionsversuch", UZ vom 1. August 2025



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