Seit Montag der vergangenen Woche ist der von CDU, CSU und SPD erarbeitete „Entwurf eines Gesetzes zur Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten durch Rechtsverordnung und Abschaffung des anwaltlichen Vertreters bei Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam“ öffentlich bekannt. Das Gesetz kommt ohne die zu Ampel-Zeiten üblichen verbalen Verharmlosungsgirlanden daher.
Die Ampel-Koalition hatte mit dem sogenannten „Rückführungsverbesserungsgesetz“ (in Wahrheit: „Abschiebebeschleunigungsgesetz“), das am 27. Februar des vergangenen Jahres in Kraft trat, bereits Hand an das grundgesetzlich garantierte Asylrecht und den Schutzstatus Verfolgter gelegt. Im Fokus standen damals die Verlängerung der Ausreisehaft von 10 auf 28 Tage, erweiterte Maßnahmen zur Durchsuchung und Identitätsklärung und die auf drei Jahre hochgeschraubte Verlängerung der Bezugsdauer der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die mit 441 Euro pro Monat noch unter dem Bürgergeldniveau liegen. Als rechtsstaatliches Feigenblatt gewährte das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) im neugeschaffenen Paragraf 62b immerhin für die nun lange Inhaftierten das Recht auf einen aus der Staatskasse bezahlten Rechtsbeistand. Der bekommt gegenwärtig eine Pauschale von 245 Euro vor Steuern (aber inklusive aller Besuche, Besprechungen, Schriftsätze, Rechtsmittel) – ein klitzekleines Feigenblatt also.
Die Anwälte machten ihre Arbeit. Zum Schrecken der im November 2024 abgehaltenen Justizministerkonferenz (JuMiKo) blieb nicht nur der erhoffte Beschleunigungseffekt aus, schlimmer noch, es war eine „Mehrbelastung der Justiz“ zu beklagen. Kurzerhand forderte die JuMiKo den Bundesjustizminister auf, „sich für eine zeitnahe Aufhebung von Paragraf 62d AufenthG einzusetzen“. In den Wirren der untergehenden Ampel gelang das nicht mehr, aber die Idee fand in der schwarz-roten Koalition einen willfährigen Vollstrecker. Ohne überhaupt jemals eine Evaluation der Verfahrensdauer (mit und ohne Rechtsbeistand) durchgeführt zu haben, wird das Recht auf Beiordnung eines Anwalts im neuen Gesetzentwurf ersatzlos gestrichen. Im Koalitionsvertrag war das schon angekündigt worden. Warum sollte sich ein Staat, der es eilig hat, schutzsuchende Menschen außer Landes zu schaffen, noch mit Grund- und Verfahrensrechten der Inhaftierten herumschlagen?
Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam sind Freiheitsentziehung und damit ein staatlicher Eingriff in höchstpersönliche Rechte, gegen den sich die sprach- und rechtsunkundigen Betroffenen qualifiziert verteidigen können müssen – so sieht es zumindest das Grundgesetz vor. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) zeigt sich entsetzt. Die Sichtweise der Bundesregierung sei „mit dem Rechtsstaatsgebot nicht vereinbar“. Tritt das neue Gesetz in Kraft, werden Tausende hinter Gittern rechtlos gestellt. Befanden sich im Jahr 2016 noch 2.821 Menschen in Abschiebehaft, waren es 2019 bereits knapp 10.800 und im vergangenen Jahr 20.084. Wie von Schwarz-Rot beabsichtigt, wird die Zahl der Verhafteten im laufenden Jahr weiter ansteigen. Allein im ersten Quartal dieses Jahres wurden bereits 6.151 Personen aus Deutschland abgeschoben. Hinzu kommen die unmittelbar nach dem Grenzübertritt Festgenommenen, im Amtsdeutsch: „Zurückweisungsfälle“, die sodann in „sichere Drittstaaten zurückgeschoben“ werden. Im vergangenen Jahr waren das 2.150 Menschen.
Für Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ist das nicht genug. Wo Verfahrensrechte sowieso schon fallen, geht noch mehr. Ein Exemplar des Grundgesetzes war wohl gerade nicht zur Hand, als man sich im Innenministerium an die schönen Zeiten des Durchregierens während der Corona-Pandemie erinnerte und beschloss, in Zukunft doch einfach per Rechtsverordnung zu bestimmen, was ein „sicherer Herkunftsstaat“ ist. Kommt die asyl- oder schutzsuchende Person aus einem solchen, besteht die automatische gesetzliche Vermutung, dass es im betreffenden Herkunftsland keine schutzauslösende Verfolgung gibt. Und da die Antragsteller selten mit einem Koffer voller Beweismittel die deutsche Grenze überschreiten, ziehen sie beweistechnisch regelmäßig den Kürzeren. Die Verfahrensdauer ist deswegen kurz. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer bis zu einer unanfechtbaren Entscheidung betrug im Jahr 2024 bei Nigerianern 36,1 Monate und bei Irakern 28,6 Monate. Aber bei Antragstellern aus „sicheren Herkunftsländern“ sah das anders aus: Serbien (7,7 Monate), Nordmazedonien (9 Monate), Albanien (8,6 Monate).
Die Rechtsverordnungen, mit denen die Frage nach den „sicheren Herkunftsländern“ künftig geregelt werden soll, sind ebenso wie Gesetze verbindliche Rechtsvorschriften. Im Unterschied zu Gesetzen werden Rechtsverordnungen aber nicht vom Parlament, sondern direkt von der Exekutive erlassen, ohne nervige Diskussion, ohne lästige Mehrheitsbeschaffung, ohne Bundestag und Bundesrat. Mit einem Schlag per Dekret festlegen, in welchen Staaten keine Verfolgungsgefahr besteht, so steht‘s im Entwurf des geplanten Paragrafen 29b Asylgesetz.
Wie schon bei der „Zeitenwende“, so nun auch bei der „Asylwende“: Grundgesetz war gestern. Man darf höchstens noch gespannt sein, mit welcher Begründung die gegenläufige Regelung in Artikel 16a Absatz 3 Grundgesetz ausgehebelt werden soll. Die lautet nämlich: „Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.“