Versuche einer Aufarbeitung der Geschichte durch Armin Stolper

Heitere Narrensicht

Von Rüdiger Bernhardt

Armin Stolper

Kaschpars Puppenkiste

GNN Verlagsgesellschaft

Schkeuditz 2018

281 S., 14,- Euro

Der erste Band von Armin Stolpers Reihe „Kaschpar Theater“ ist 2011 erschienen, die inzwischen sechs „Kaschpar“-Bücher sind Ausdruck der Leidenschaft des Autors für Theater und Dramatik, denn obwohl es Erzählbände sind, bieten sie dramatisch strukturierte Ereignisse. Von Beginn an war Kaschpar die Hauptfigur, ein Alter Ego des Autors, Dramatikers und Dramaturgen Armin Stolper, verfremdet in die fiktive Welt einer sich als „Genossen“ verstehenden „Hochhauszelle“, auch als „Truppe närrischer Idioten“ bezeichnet: Mit einer solchen Verzerrung lässt sich mehr in Zuspitzungen mitteilen als üblich.

Kaschpar legt Wert auf seine schlesische Herkunft: Das wird in der Sprache deutlich, die dem Leser Ausdauer abverlangt, das wird in seiner Erzählwut erkennbar, im Begriff des „Laberarschs“ angedeutet. Der Titel ist immer auch ein Hinweis auf die Methode. Die Wirklichkeit eines Kaschpars wird lebendig: Sie wird einerseits nachvollziehbar, andererseits ist sie phantastisch, ebenso scharfsinnig wie einfältig, immer wieder in verblüffenden Alternativen sinnfällig werdend. So sieht sich Kaschpar als „parteilichen Menschen“, der auch „manchmal religiös“ ist, „wenn es sich handelt um Verbindung zwischen Jesus und Marx“. Nach dem dritten Band wurde der Abschluss der Kaspar-Trilogie begrüßt, mit dem fünften Band gab Armin Stolper den Abschluss der Serie kund; nun ist der sechste Band „Kaschpars Puppenkiste“ erschienen, anspielend auf die und einen Gegensatz bildend zur „Augsburger Puppenkiste“.

Ein Gesamtwerk in zwei Trilogien liegt vor. Beeindruckend, bedenkt man, dass Stolper auch andere Bücher nebenher geschrieben hat und zu einem wesentlichen Chronisten der brachialen Veränderungen von 1989/90 geworden ist. Auch seine „Kaschpar“-Bücher sind Chroniken, die in der Übertreibung, Zuspitzung, Vereinfachung und Rücksichtslosigkeit Grundsätzliches suchen und finden. In einer Eigenwerbung erklärt Kaschpar, seine Bücher seien voll „von Wissen über Klassenkampf und Weisheit von Leben“. Das ist ernst zu nehmen, aber wie der Einsatz des anklingenden schlesischen Idioms mitteilt, immer mit den nötigen Einschränkungen: Kaschpar gibt sich als Alleswisser, will aber gar keiner sein. Er fand einen Partner in Hobbelewitje, einer Narrengestalt aus der Erzählung „Das Jesuskind in Flandern“ des Flamen Felix Timmermans, danach einen „Genossen“ in dem antiken Fabeldichter Äsop.

Dass als neue Figur das Hohnsteiner Kasperle, aus der berühmten Puppenbühne stammend – das ist wieder eine andere Geschichte – hinzukommt, hat Gründe: Da ist einmal die Neigung des Dramaturgen Stolper zu überraschenden theatralischen Ereignissen, da ist ferner die Neigung des Schlesiers Stolper zu seinem großen, von ihm immer wieder gerühmten Vorbild Gerhart Hauptmann – Kaschpar zitiert ihn –, für den der Hans Wurst eine Lieblingsgestalt war, und da ist schließlich die durch Kasper größtmögliche Vereinfachung von komplizierten Gegensätzen.

Eine Handlung ist kaum zu erzählen. Ereignisse und Pläne der Zelle wechseln rasant, oft geht es um Kaspertheater, zumal „Puppenspiele sind auch wichtig fier (so im Original) Klassenkampf“. Die immer regsame Parteizelle der drei Narren und einer Närrin, Kaschpars Frau Guste, reagiert auf die Nachricht, dass die 1981 gegründete Theatergruppe „Hans Wursts Nachfahren“ 2018 ihre letzte Spielzeit hat, weil es danach nicht mehr die Spielstätte am Winterfeldtplatz in Schöneberg für sie gibt, doch kann sie schließlich weiterspielen. Einfall reiht sich an Einfall, durchzogen von Erinnerungen an das Leben Armin Stolpers, an Begegnungen und sein literarisches Schaffen, an die Bedeutung des GNN-Verlages für ihn. Breiten Raum nehmen Komödien wie „Amphitryon“ (1967) oder „Klara und der Gänserich“ (1973) ein. Stolpers Schauspiele werden im Schnelldurchlauf geboten, angetrieben von entsprechendem Rotwein-Genuss. Aber man entwirft auch nach einem Beispiel des Schriftstellers Ulrich Becher eine neue US-Regierung – eine witzige Zusammenstellung von Sitting Bull bis E. A. Poe – und immer wieder wird der Philosoph Hans Heinz Holz beschworen, „der marxistische Haupttheologe“. Das thematische Zentrum des Buches wird in einem der Gespräche über Holz benannt: „Produktivkraft Poesie“, also welche Rolle Kunst und Literatur im Leben der Menschen gespielt haben.

Vom Leser werden historisches Detailwissen, Kenntnisse Dresdens (Café Toscana, Blaues Wunder) und anderer Orte, Belesenheit (James Krüss: „Timm Thaler“, aber auch Romane von Rudolf Scholz und anderen) und tagespolitisches Interesse verlangt, wenn er Anspielungen und Bonmots, aber auch scharfe Kritik (am Nobelpreis für „Antikommunistin aus Rumänen oder andere obskure Personen“) verstehen will. Manches, wie die Auslassungen über Gustav Erdmann, einen Hauptmann-Forscher, wird den meisten fremd bleiben. Grenzen werden erreicht: Was unter Kasperle-Bedingungen vertreten werden kann, erweist sich als leseproblematisch. Doch erfüllen diese Bände über die unterhaltende Funktion hinaus die einer heiter-satirischen Zeitchronik. Es wimmelt auch von aktuellen Anspielungen auf bekannte Personen, von bissigen Kommentaren zu Pegida und AfD. Es ist ein unterhaltsames Ende, das Stolper uns mit seinem, wiederum zum letzten Band erklärten Buch gibt.

Warten wir deshalb voller Hoffnung auf den siebten Band.

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"Heitere Narrensicht", UZ vom 21. Juni 2019



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