SPD-Basis: Das Manifest der Friedenskreise könnte die unterdrückte Friedensdebatte beleben. Ein Gespräch mit Heinz Schneider

„Hoffnung auf ­wachsenden Widerstand“

Heinz Schneider ist 1995 in die SPD eingetreten. Er ist Kommunalpolitiker und unter anderem im „Forum Demokratische Linke“ (DL21) und in der Marx-Engels-Stiftung engagiert. UZ sprach mit ihm über das „Friedensmanifest“ aus Sicht der SPD-Basis, die Diskussionskultur in der Partei und den Kampf gegen die Aufrüstungs-Politik der eigenen Regierung.

UZ: Als das sogenannte Manifest der SPD-Friedenskreise an die Öffentlichkeit gelangte, waren viele Beobachter überrascht. Wie ging es dir als SPD-Mitglied damit?

Heinz Schneider: Für mich war das Manifest in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt genauso eine Überraschung wie für viele andere auch. Die Bemühungen der verschiedenen Friedenskreise in der SPD habe ich natürlich verfolgt. Aber mit so einem Papier hatte ich nicht gerechnet.

UZ: Wie war es denn zuvor um die innerparteiliche Debatte zur Friedensfrage bestellt?

Heinz Schneider: Ich habe ab 2022 überwiegend eine Art Friedhofsruhe wahrgenommen, das Thema wurde eher vermieden, um die Einigkeit nicht zu gefährden oder Konfrontationen zu vermeiden. Offenen Widerspruch gegen die Protagonisten des „Zeitenwende“-Kurses gab es kaum, aktive Befürwortung war aber auch selten.

Wer schweigt, stimmt aber noch lange nicht zu. Widerstand gab es in der SPD immer dort, wo ernsthafte politische Debatten zu Grundsatzfragen geführt wurden und der jeweilige Kurs der Parteiführung nicht unantastbar war, aber nicht in der Breite der Partei. Die Positionen, die jetzt im Manifest zum Ausdruck kommen, waren in der SPD nicht verschwunden, sondern zurückgedrängt. Dass der Erhard-Eppler-Kreis gerade die zehntausendste Unterschrift unter das Manifest gemeldet hat, macht mir Hoffnung auf wachsenden Widerstand innerhalb und außerhalb der SPD.

UZ: Direkt nach der Veröffentlichung des Manifests wurde eine Medienkampagne entfesselt. Auch aus der SPD gab es scharfe Angriffe, etwa von Boris Pistorius, der von „Realitätsverweigerung“ sprach. Glaubst du, dass es trotz dieser massiven Abwehrreaktionen gelingt, eine breitere Diskussion in der Partei anzustoßen?

Heinz Schneider: Getroffene Hunde bellen umso lauter, je mehr es ihnen an Argumenten fehlt. Weil es zu einer Politik der gemeinsamen Sicherheit keine verantwortungsbewusste Alternative gibt, sich Sicherheitspolitik nicht am Prinzip der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, sondern an einer wirksamen Verteidigungsfähigkeit orientieren muss und eine sich am Bruttoinlandsprodukt orientierende Prozentzahl für Rüstungsausgaben irrational ist, wie das Manifest formuliert, können sie auch keine haben. Ich finde diese Reaktionen dennoch erschreckend, zeigen sie doch ein fragwürdiges Demokratieverständnis und die völlige Abwesenheit von Solidarität und Respekt. Dem Manifest dagegen ist ein solcher Ton fremd. Es wird vernünftig im Geist des Berliner Programms, Willy Brandts und des Grundgesetzes argumentiert.

250501 Interview Schneider - „Hoffnung auf ­wachsenden Widerstand“ - Entspannungspolitik, Friedensfrage, Manifest für den Frieden, Medienkampagne, Multipolare Weltordnung, SPD, US-Rakteten, Zeit für Widerstand! - Politik

Weil das Manifest eine breite Öffentlichkeitswirkung hat, kann man die Diskussion auf dem anstehenden Parteitag nicht wie im Dezember 2023 einfach abwürgen. Damals wurde der Kurswechsel beschlossen, der jetzt auch die Regierungslinie trägt. Der Gegenantrag, der für die Beibehaltung der bisherigen sozialdemokratischen Positionen stand, wurde zuvor einfach für erledigt erklärt. Eine parteiweite Diskussion dazu hat schon seit 2022 nicht mehr stattgefunden. Ich hoffe, dass das Manifest eine Rückbesinnung auf die sozialdemokratische Entspannungspolitik seit den 70er Jahren anstoßen und der SPD wieder Leben einhauchen kann.

UZ: Schon in der Zeit der Ampel-Regierung spielten die sozialdemokratischen Positionen, die du ansprichst, kaum eine Rolle. Mit dem Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD wurde klar, dass sich sozialer Kahlschlag und Hochrüstung verschärfen würden. Kannst du dir erklären, warum so viele Mitglieder dennoch zustimmten?

Heinz Schneider: Das kann ich kaum nachvollziehen. Sicher hat die Rede von der staatspolitischen Verantwortung verfangen, und das Versprechen, den Sozialstaat trotz Aufrüstung weiter auszubauen, wurde von vielen geglaubt. Kanonen und Butter also. Langsam wird aber offensichtlich, dass das eine gegen das andere steht.

UZ: „In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen“, heißt es im Manifest. Diese zurückhaltende Formulierung gibt Rätsel auf. Schließlich gehört auch die Führung der SPD zu diesen „Kräften“. Ein übersehener Widerspruch oder ein verklausulierter Angriff auf die Regierung?

Heinz Schneider: Ich vermute, dass diese Formulierung genau so gemeint war. Denn der unsägliche Satz, dass Frieden und Sicherheit nicht mehr mit Russland zu erreichen sei, sondern gegen Russland erzwungen werden müsse, findet sich in den Parteitagsbeschlüssen der SPD ebenso wie im Bundestagsantrag der Ampel-Regierung zur Lieferung weitreichender Waffensysteme. Er ist das irrationale Mantra aller Kriegstauglichkeitsanhänger.

UZ: Ziemlich klar ist das Manifest hingegen bei der Ablehnung von neuen US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Das ist eine Aussage, die man aus SPD-Kreisen bisher eher nicht vernommen hat und die Anknüpfungspunkte an die Friedensbewegung bietet. Hast du die Hoffnung, dass wir bald mehr SPD-Mitglieder auf Friedensdemonstrationen sehen werden?

Heinz Schneider: Das hoffe ich nicht nur, es hat sich bereits bei den jüngsten Friedensdemonstrationen abgezeichnet, wenn auch nur zaghaft. Und es gibt auch in der SPD fundierte Positionen, die befürchten, dass die USA mit diesen Raketen eine Strategie des Erstschlags umsetzen können.

UZ: Neue Töne auch beim Blick zurück. Auch der Westen habe die Sicherheitsordnung untergraben, heißt es in dem Papier, etwa durch die Kriege in Jugoslawien und im Irak …

Heinz Schneider: Das ist bemerkenswert! Nach dem offenen Kriegsausbruch in der Ukraine setzten Klingbeil und Scholz das Narrativ, dass es sich um den ersten „Zivilisationsbruch“ nach dem Zweiten Weltkrieg handele. Damit hatte man Jugoslawien und alle anderen Kriege, die ja nun zahlreich genug waren, aus der Debatte genommen. Die Ausblendung der gesamten Geschichte zwischen 1945 und 2022, auf der alle anderen Narrative der Kriegspolitik aufbauen, hält einem Abgleich mit der Realität nicht stand. Das kann zu sprunghaften Veränderungen in der öffentlichen Meinung führen. Und dann muss es Kräfte geben, die das auch aufnehmen und verarbeiten können. Die Friedensbewegung ist noch zu schwach. Das muss sich ändern.

UZ: Das wirft strategische Fragen auf. Die SPD-Basis ist auf zwei entscheidenden gesellschaftlichen Ebenen stark präsent: in den Gewerkschaften und in den Kommunen. Könnten sich hier neue Ansatzpunkte im Friedenskampf ergeben, wenn die Stimmung unter den SPD-Mitgliedern in Bewegung gerät?

Heinz Schneider: Viele Kommunalpolitiker sehen die aktuelle Politik sehr kritisch. Die Kommunen waren auch in den letzten Jahren schon nicht auf Rosen gebettet. Nun merken sie, dass ihnen die Felle davonschwimmen, weil die Rüstungspolitik massive Auswirkungen auf die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen hat. In den Gewerkschaften erscheint es mir schwieriger. Der DGB und namentlich die IG Metall formulieren ihre Kritik am Kriegskurs nur sehr zurückhaltend, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das hängt natürlich auch mit der Gefährdung von Industriearbeitsplätzen zusammen.

Die Auswirkungen der internationalen Veränderungen – Stichwort: Multipolare Weltordnung – auf die Industrie und auf die Arbeitnehmer in Deutschland werden öffentlich kaum thematisiert. Es gibt in der SPD auch keine wahrnehmbare Strategie zum Umgang damit. So besteht die Gefahr, dass alles auf das Führen von Kriegen hinausläuft.

Das Manifest ist ein Manifest für das Leben. Ich fürchte, wir leben heute nicht mehr nach, sondern vor dem letzten Weltkrieg. Uns allen bleibt, diesen Krieg zu verhindern. Es ist an der Zeit.

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"„Hoffnung auf ­wachsenden Widerstand“", UZ vom 20. Juni 2025



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