Auf Drängen des Bundesverteidigungsministeriums hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) die Veräußerung von militärischen Grundstücken gestoppt. Das betrifft auch die Rochdale- und die Catterick-Kaserne in Bielefeld – mit gravierenden Folgen für die Stadtentwicklung. UZ sprach mit Onur Ocak, Sprecher der Partei „Die Linke“ in Bielefeld, über das Verkaufsverbot, die kommunalen Pläne und die lokalen Kosten der Militarisierung. Ocak ist promovierter Volljurist und arbeitet in der Rechtsabteilung der Gewerkschaft ver.di in Ostwestfalen-Lippe.
UZ: Du kritisierst, dass das Bundesverteidigungsministerium ein Verkaufsverbot für zwei Grundstücke in Bielefeld verhängt hat. Was ist der Hintergrund?
Onur Ocak: Es handelt sich um Kasernenflächen, die zuletzt von den Briten genutzt worden sind. Heute gehören sie der BImA, also dem Bund. Seit dem Abzug der Briten wird darüber diskutiert, was damit passieren soll. Aber die Vorgeschichte ist noch länger. Ursprünglich gehörten die Flächen der Stadt. In der NS-Zeit wurde die Stadt über einen Garnisonsvertrag dazu gedrängt, die Grundstücke an die Wehrmacht abzutreten. Das spielt alles heute noch eine Rolle, wenn die Fragen im Raum stehen, wie die Flächen auf die Stadt übergehen können und ob dafür etwas bezahlt werden muss.
In der vergangenen Legislaturperiode haben wir als „Die Linke“ in der Linkskoalition mit SPD und Grünen das Thema vorangetrieben. Nach zähen Verhandlungen zwischen Stadt und Bund stand fest, dass der Bund die Kasernenflächen kostenfrei an die Stadt übergeben sollte. Die Frage der Kostenfreiheit ist entscheidend, weil dadurch bezahlbarer Wohnraum auf dem Gelände ermöglicht wird. Neben Wohnungen sollten auch Kitas entstehen, eine Feuerwehr und andere öffentliche Einrichtungen. Eine Einschränkung gibt es lediglich dadurch, dass der Bund auf einem Gelände die Bundespolizei einquartiert hat. Das andere Kasernengelände ist aber bereits voll verplant. Da wollten wir in diesem Jahr richtig loslegen und über 600 Wohnungen bauen.
Obwohl alles mehr oder weniger in trockenen Tüchern war, kommt jetzt der Verteidigungsminister mit seinem Verkaufsstopp. Er möchte prüfen, ob man den Standort weiterhin militärisch für die Bundeswehr nutzen kann. Hier zeigt sich, wie sich Aufrüstung und Kriegslogik ganz konkret in Bielefeld auswirken. Die Bielefelder bezahlen den Preis für die Militarisierung schlichtweg mit Wohnungsnot.
UZ: Welche Bedeutung haben die Flächen für die Bielefelder Stadtentwicklung?

Onur Ocak: Das sind riesige Flächen mitten in der Stadt. Das Gebiet ist hervorragend an das Straßenbahnnetz angebunden. Im Rahmen der Quartiersarbeit wurde jahrelang die Nachbarschaft einbezogen, um eigene Ideen zur Entwicklung einzubringen. Wenn man ein solches Gelände kostenlos erhalten kann, bietet sich eine riesige Chance für bezahlbaren Wohnraum. Und was das angeht, ist die Situation in Bielefeld wirklich problematisch. In den letzten Jahren sind die Mieten durchschnittlich um 7 Prozent gestiegen und davor noch deutlicher. Um die Mieten zu deckeln, brauchen wir kommunalen bezahlbaren Wohnraum. Doch dafür fehlt es an bebaubaren Flächen. In den letzten 15 bis 20 Jahren hat die Stadt ihr Tafelsilber an Private verscherbelt, um den Haushalt zu sanieren. Die Stadt hat also kein eigenes Bauland mehr, sondern muss – wenn überhaupt – extrem teuer kaufen. Am Ende entstehen auf solchen Grundstücken nur teure Luxuswohnungen.
Auf den Konversionsflächen ist eine andere Gestaltung möglich. Hier könnten wir wirklich bezahlbaren Wohnraum anbieten. Deswegen ist es umso skandalöser, dass uns der Bund und vor allem der sozialdemokratische Minister einen Strich durch die Rechnung machen. Dabei gehört die SPD seit jeher zur Bielefelder Stadtregierung.
UZ: Warum kommt der Bund ausgerechnet jetzt mit dem Verkaufsstopp?
Onur Ocak: Ich glaube, das hängt tatsächlich mit der Wehrpflicht zusammen. Die Überlegungen dafür gab es auch schon im letzten Jahr, aber mit der schwarz-roten Koalition ist es nun sehr konkret geworden. Nun werden Gebäude gebraucht für die Musterung und für die Unterbringung der Wehrpflichtigen. Auf den Flächen stehen noch die alten Gebäude der britischen Armee, die mit relativ geringem Aufwand wieder nutzbar gemacht werden könnten. Und den Verkaufsstopp gibt es nicht nur in Bielefeld, sondern – soweit ich es mitbekommen habe – an allen möglichen Standorten, bei denen der Bund noch ein Mitspracherecht hat. Ich glaube, dass das der Hintergrund ist. Die Begründung haben wir in der Kommune aber auch nur über die Presse erfahren.
UZ: Wie reagiert die Stadtpolitik?
Onur Ocak: Die Bielefelder Politik steht mittlerweile bis in die CDU hinein hinter dem Gesamtprojekt, die Kasernengelände für die Stadt zu nutzen. Es gibt im Detail Diskussionen, etwa über die Rolle der Bundespolizei oder die Frage, ob auch Flächen für Gewerbe entstehen sollen. Aber aus dem Parteienspektrum von CDU bis „Die Linke“ findet keiner die aktuelle Entwicklung gut. In der Planungsphase sind bereits viel Schweiß und Tränen geflossen, bis man sich auf eine Form geeinigt hatte. Insofern sind jetzt alle empört. Aber dass von den anderen etwas dagegen getan wird, kann ich nicht feststellen. Von der SPD-Bundestagsabgeordneten für Bielefeld, Wiebke Esdar, habe ich noch nichts gehört, auch nicht von der designierten Oberbürgermeisterin Christiana Bauer (CDU). Es wird eher die zweite Reihe vorgeschickt, um sich zu empören. Jetzt ist also Druck notwendig.
Wir sind gerade erst dabei, das zum Hauptthema zu machen. Unser Motto heißt „Wohnen statt Kasernen!“. Nun gibt es natürlich einige Menschen in der Stadt, die meinen, dass man solche Opfer für die Verteidigungsfähigkeit bringen müsste. Wenn man eine Wehrpflicht brauche, dann brauche man halt auch Kasernen. Diese militärische Logik ist weit verbreitet und wir sind gefordert, dagegen zu argumentieren. Wir wollen an die Öffentlichkeit gehen, aber auch in den Stadtbezirk. Dort, wo die Menschen über Jahre hinweg ihr eigenes Stadtviertel gestaltet haben, wollen wir mit unseren Flyern und unserer Zeitung präsent sein und mit kreativen Aktionen Druck machen. Natürlich müssen wir auch die anderen Parteien vor uns hertreiben. CDU und SPD werden wohl eine Koalition eingehen. Dann haben sie mit ihren Bundestagsabgeordneten auch dafür zu sorgen, dass die Bielefelder Interessen nach bezahlbarem Wohnraum auf Bundesebene durchgesetzt werden.
UZ: Ist das eine Gelegenheit, den Widerspruch zwischen sozialen Bedürfnissen und Militarisierungspolitik deutlich zu machen?
Onur Ocak: Als „Linke“ haben wir uns in den letzten Jahren Kompetenzen in der Wohnungs- und Mietenfrage erarbeitet. Aber wir sind auch die einzige Fraktion im Bundestag, die sich diesem Aufrüstungswahnsinn entgegenstellt. Beides können wir in dieser Frage verbinden und das auch noch an einem ganz konkreten Symbol vor Ort deutlich machen. Denn oft ist diese Politik relativ abstrakt: „Verteidigungsfähigkeit“, ja oder nein? Und dann werden irgendwelche Zahlen in den Raum gestellt. Aber wie wirkt sich das konkret aus? Der Charme von Kommunalpolitik ist, dass sie sich mit den konkreten Auswirkungen der Bundespolitik vor Ort auseinandersetzen kann. Genau daran wollen wir anknüpfen und deutlich machen: Ihr bezahlt mit Wohnungsnot für die Kriegslogik. Vielleicht kann es durch die Verknüpfung von Friedens- und Wohnungspolitik gelingen, manche Leute aus der Logik der Militarisierung herauszubrechen.
Und es wird einige geben, die zwar grundsätzlich von Verteidigungsfähigkeit sprechen, aber nicht bereit sind, 30 Hektar ihrer Stadt an die Bundeswehr abzugeben. Es geht um etwas Greifbares und nicht um abstrakte Ängste oder abstrakte Zahlen.
UZ: An dem Fall wird nicht nur deutlich, dass die Militarisierung mit Sozialabbau einhergeht. Auch vom Versprechen der kommunalen Selbstverwaltung bleibt nicht viel übrig, wenn für die Hochrüstung einfach von oben durchgegriffen wird. Wie gehen bürgerliche Lokalpolitiker mit diesem Widerspruch um?
Onur Ocak: Ich finde, die Bürgerlichen machen es sich pragmatisch einfach. Die sagen: Das ist halt so, es gibt keine Alternative. Der Russe steht vor der Tür und deswegen müssen wir alle unsere Gürtel enger schnallen. Für eine CDU ist das argumentativ wenig herausfordernd. Für die Sozialdemokraten, wo es ja noch Teile gibt, die auf Entspannungspolitik setzen, ist das schon etwas schwieriger zu vermitteln. An diesem Beispiel der Kasernen zeigt sich auch, dass die kommunale Demokratie mit Bürgerbeteiligung zu wirklich guten Ergebnissen führen kann. Wenn es dann aber von oben heißt, dass die Umsetzung nicht möglich sein soll, muss es doch Reaktionen geben. Wir lassen ihnen das nicht durchgehen und fragen SPD und CDU: Wo steht ihr jetzt? Was ist aus euren Plakaten geworden, auf denen ihr mehr bezahlbaren Wohnraum gefordert habt?



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