Das Bauhaus setzte Maßstäbe

Klare Formen in Design und Architektur

Von Herbert Becker

Als im April 1919 das Staatliche Bauhaus in Weimar seine Pforten öffnete, geschah dies nicht unvorbereitet. Der Berufung von Walter Gropius zum Gründungsdirektor ging eine lange, lebhafte Debatte voraus, wie denn die Formgestaltung umzuwälzen sei, damit die Potentiale der weiter voranschreitenden Industrialisierung genutzt werden können, um die Produktion von Alltagswaren und die

Das Bauhaus in Dessau

Das Bauhaus in Dessau

( Aufbacksalami / Lizenz: CC BY-SA 4.0)

Aufgaben der Architektur durch eine neue Herangehensweise zu verbessern. Gropius hatte ein solches Programm bereits 1916 formuliert, er brachte auch die Erfahrung fortgeschrittenen Industriebaus sowie Vertrautheit mit der großindustriellen Massenproduktion von Gebrauchsgütern mit. Dies entsprach den Vorstellungen fast aller Parteien im neugebildeten Land Thüringen. Neben der Regierungskoalition aus SPD, Zentrumspartei und der Deutschen Demokratischen Partei unterstützte auch die junge KPD die Gründung. Das Bauhaus, vorerst angesiedelt im Gebäude der Kunsthochschule, formulierte zwei wesentliche Ideen für den Aufbau und die weitere Entwicklung der „Lehranstalt“. Der Unterschied zwischen Kunst und Handwerk soll aufgehoben, also in einer Synthese vereinigt werden. Schön ist, was funktioniert. Indem das Bauhaus die Grenzen zwischen Handwerk, Technik, Kunst und Industrie überwinden soll, will es die Kunst um der Kunst willen nicht mehr zum Maßstab machen. Maßgebend für das Bauhaus-Design ist die Effizienz und Nützlichkeit eines Produktes. Ästhetik und künstlerischer Ausdruck sollen ausschließlich von der Funktion des Produktes geprägt sein. Zu Anfang bewarben sich, angelockt vom progressiven Charakter der Schule, mehr junge Frauen als Männer um die Studienplätze. Die Umgangsformen am Institut waren allerdings keineswegs vorbildlich: Von Gropius und den meisten der lehrenden und mit ihnen studierenden Männer argwöhnisch beäugt, bei der Entfaltung ihrer Talente nach Kräften behindert und nach Möglichkeit in die „Frauenklasse“, die Weberei, abgedrängt, eroberten sie sich dennoch alle Fachbereiche, auch neue Medien wie die Fotografie und bislang als rein „männlich“ begriffene Domänen wie Bildhauerei, Industriedesign oder Architektur. Marianne Brandt, Florence Henri, Grete Stern und Ellen Auerbach, Friedl Dicker, Anni Albers, Otti Berger und viele mehr schrieben mit ihren Werken Kunst- und Designgeschichte und verkörperten tatsächlich die „Neue Frau“, die in der Weimarer Republik Prototyp eines neuen Frauenbildes wurde. Ihren verblüfften Zeitgenossen galten sie in einer Mischung aus Skepsis und heimlicher Bewunderung schlicht als „die Bauhausmädels“.

Treppenhaus im Bauhaus Dessau

Treppenhaus im Bauhaus Dessau

( Kai ‘Oswald’ Seidler / Lizenz: CC BY 2.0)

Im Laufe seiner recht kurzen Geschichte, denn mit der Regierungsbeteiligung der NSDAP in Thüringen wurde 1930 Paul Schultze-Naumburg, der sich inzwischen zum Rassenideologen entwickelt hatte, als Direktor der Vereinigten Kunstlehranstalten in Weimar eingesetzt, das Ende 1933 wurde damit eingeläutet. Mit dem Leitspruch „Das handwerkliche Können stärken“, wurde die Ausbildung radikal verändert. Der Lehrplan sollte nun den „nationalsozialistischen Tendenzen und Gedanken“ angepasst werden. Unter dem Motto des „Schutzes der Heimat“ wurde alles vermeintlich Ausländische und Internationale als wesensfremd diffamiert. Die Repressalien gegen den Lehrkörper nahmen systematisch zu, 1932 er­zwa­ng die NSDAP die Schließung. Die meisten Professoren und große Teile der wissenschaftlichen Mitarbeiterschaft flohen und versuchten in den USA und später in Israel die Arbeit fortzusetzen.

Drei wesentliche Punkte gilt es festzuhalten, wenn die Wirkung der Bauhaus-Ideen bis heute beschrieben werden soll: Es brachte eine neue versachlichte Formsprache, die funktionalen Gesichtspunkten folgte und dabei auch neue Vorgaben für die Ästhetik und das Design setzte. Außerdem prägte das Bauhaus eine neue Pädagogik: Studenten wurden in Vorkursen auf Null gesetzt, sollten alles vergessen, was sie bisher über Kunst, Gestaltung und Stil gesehen und gelernt hatten. Diese Einführungsphase und die handwerkliche Ausbildung waren die große Stärke des Bauhauses. Außerdem war das Studium offen für Frauen, für alle Religionen und alle Nationalitäten. So wurde das Bauhaus zum Sammelpunkt hoch kreativer Köpfe aus ganz Europa, ja der ganzen Welt.

„Die Form folgt der Funktion“, Balkone

„Die Form folgt der Funktion“, Balkone

( gemeinfrei)

Nach dem Ersten Weltkrieg bestand die Notwendigkeit, eine Massenproduktion für viele Gegenstände des Alltags, besonders im Stadtbild, den Büros und in den Wohnungen zu gewährleisten. Die klare Formensprache, die „Schmucklosigkeit“ der Dinge, die Reduzierung auf wenige Materialien waren die Ansprüche, die sich das Bauhaus selbst stellte und die sich im Laufe der Jahre in vielen Produkten zeigte, die zu „Klassikern der Moderne“ geworden sind. Das Deutschland der 20er Jahre erlebte einen Boom des sozialen Wohnungsbaus, der wiederum bedingt war durch den Nachholbedarf an Wohnungen für die arbeitenden Menschen und ihren Familien nicht nur in der Nähe der Industrieanlagen, sondern auch in den Städten mit ihrem Heer an Angestellten in Verwaltungen, Behörden und Dienstleistungsbranchen,

Die Aufgabe, der sich die Stadtplaner und Architekten zu stellen hatte, war, eine Stadtlandschaft zu konzipieren und umzusetzen, die den sozialen, funktionalen und hygienischen Ansprüchen genügte. Man wollte Licht, Luft und Sonne für die Menschen schaffen. Drei Beispiele mögen zeigen, wie die Anforderungen umgesetzt wurden:

Die Siemensstadt im Berliner Westen ist im Prinzip ein eigener Ort mit allem, was man zum Leben braucht. Das Viertel ist ein Mix aus Industriebauten sowie groß angelegten Wohnsiedlungen, was der Gegend in Charlottenburg-Nord und Spandau einen ganz eigenen und speziell anmutenden Charme verleiht. Die Ursprungsidee hinter dem groß angelegten Bauprogramm war, den Siemensarbeitern kostengünstige Wohnungen (die im Schnitt 54 Quadratmeter groß waren) ganz in der Nähe ihrer Arbeit zur Verfügung zu stellen. Um möglichst viel Wohnraum auf einem begrenzten Gebiet zu schaffen, setzte man deshalb auf die sogenannte Zeilenbauweise.

Die Großsiedlung im Ortsteil Britz wurde nach ihrer zentralen Baugruppe benannt, die zwischen 1925 und 1933 in Hufeisenform angelegt wurde. Die Pläne stammen von Bruno Taut, der als wichtiger Vertreter des sogenannten „Neuen Bauens“ gilt und seine Bauten stets nach der Devise „Große Architektur für kleine Leute“ entwarf. Die Hufeisensiedlung in Britz mit ihren über 100 Wohnungen, die alle nach dem gleichen Grundriss funktionieren, gilt als programmatisches Bauprojekt, weil es als Antwort auf die damals akute Wohnungsnot in Berlin verstanden werden wollte.

Die dynamische Entwicklung der Dessauer Junkerswerke zum größten Industrieunternehmen Anhalts und ihre Nähe zum Industriestandort Bitterfeld/Wolfen brachte einen enormen Bedarf an Wohnungen für Arbeiterfamilien und Angestellte in den 1920er Jahren. Die planerischen Arbeiten der Jahre1931/32 standen unter der Leitung des Bauhausdirektors Ludwig Mies van der Rohe und des Stadtplaners Ludwig Hilberseimer. Für die farbliche Gestaltung der Häuser und Innenräume der öffentlichen Gebäude sollte der Bauhausmeister für Wandmalerei Hinnerk Scheper verantwortlich sein. Obwohl diese Großsiedlung nicht zur Bauausführung kam – die

Ein Haus der Weißenhofsiedlung in Stuttgart

Ein Haus der Weißenhofsiedlung in Stuttgart

( Andreas Praefcke / Lizenz: CC BY 3.0)

Orientierung des Konzern war nach 1933 eine ganz andere – zeigen die Planungsunterlagen neue soziologische Akzente. Es entstand eine ausführliche Studie, die für die Wirtschaftlichkeit im Siedlungs- und Wohnungsbau neue Möglichkeiten aufzeigte, da sie neben Wohnkomfort auch unterschiedliche soziale Aspekte, die familiäre Altersstruktur und die kulturellen Interessen der künftigen Bewohner berücksichtigte. Bei einer geplanten Siedlungsdichte von 100 Personen pro Hektar und unter Berücksichtigung der in das Projekt einbezogenen Landschaft wäre so eine verkehrsberuhigte Parkstadt mit idealer Wohnlage entstanden, die zugleich den Bewohnern optimale Wohn- und Lebensbedingungen geboten hätte.

Weniger bekannt dürfte die „Frankfurter Küche“ sein. Diese unscheinbare, weißgraue Küche, ist bei Designfans in aller Welt bekannt. Sie wurde 1926 von der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky entworfen und war die Attraktion auf der Frankfurter Frühjahrsmesse 1927. Über zehntausend Küchen dieses Typs wurden in unterschiedlichen Varianten in den Frankfurter Siedlungen eingebaut, die Stadtbaurat Ernst May, ein Bauhaus-Schüler, errichten ließ, um breite Bevölkerungsschichten mit günstigen, zweckmäßig ausgestatteten Wohnungen zu versorgen. Berühmt wurde die „Frankfurter Küche“, weil sie die Leitbegriffe Funktionalität und Standardisierung, wie sie die Architektur und die Produktkultur der zwanziger Jahre, ausgehend von den Ideen des Bauhauses, in etwas moderner Form auch noch der fünfziger und sechziger Jahre prägten.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Klare Formen in Design und Architektur", UZ vom 5. April 2019



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