Es gilt das gesprochene Wort.
Eine Genossin unterstellte auf dem Parteitag die Position, die BRICS-Staaten als (objektiv) antiimperialistische Kraft zu verstehen, bedeute, dass sie das sozialistische Lager unserer Zeit seien und wir uns auf ihren Erfolgen ausruhen und quasi in ihrem Windschatten zum Sozialismus segeln würden – sogar die Leitgedanken würden das behaupten. Zunächst einmal steht das so nicht in den Leitgedanken, sondern nur dann, wenn man es hineinlesen will. Das an sich ist schon kein sauberer Umgang mit den Dokumenten unserer Partei. Dann hat sich Patrik Köbele, der Vorsitzende der DKP, in einem der letzten PV-Referate von dieser vereinfachenden, einseitigen, undialektischen Formulierung abgegrenzt.
In der hessischen Vorbereitung des Parteitags wurde durch einen Frankfurter Genossen „der Imperialismus“ zum neuen Produktionsverhältnis, in den Anträgen spukt der Begriff des „Weltsystems“ herum, das weist auf die erste Differenz hin: Das marxistisch-leninistische Imperialismusverständnis geht nicht aus von den (notwendigen) Abstraktionen, sondern wurde von Lenin sehr konkret mit der Analyse der ökonomischen Basis begonnen – konkret: mit dem Monopol. Die Entwicklung von kleineren Kapitaleinheiten zu Monopolen setzt die Anhäufung immer größerer Mengen fixen Kapitals voraus, um immer auf dem neuesten technischen Stand der Produktivkraftentwicklung und in der entsprechenden Menge zu entsprechenden Preisen produzieren zu können. Für diese Schritte in der Vergesellschaftung der Arbeit ist der inländische Monopolprofit nicht ausreichend, und daher Kapitalexport notwendig.
Wird dieser Kapitalexport verhindert, werden Märkte geschlossen, werden Währungstricks und weiteres angewandt – kurz: die Welt aufgeteilt. Nach Lenin ist das eines der notwendigen Kriterien des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus. Eine Neuaufteilung kann sich nur auf politischem Gebiet vollziehen: Die Märkte müssen gewaltsam geöffnet werden. Geschieht das nicht, können sich kleinere Kapitale nicht zu Monopolen entwickeln, sie verlieren ihre Stellung. Die erste Differenz ist also eine methodische: Wir sollten bei der Theoriebildung vom ökonomischen Wesen und gleichzeitig von etwas ausgehen, das wir empirisch überprüfen können.
Gehen wir weiter: Ist die Entwicklung hin zu einem Staat der Monopole – einem imperialistischen Staat – von den internationalen Verhältnissen abhängig, so ist die Bildung kapitalistischer Nationalstaaten, die keine imperialistischen werden können, eine Notwendigkeit. Die Ergebnisse der zweiten Phase der Entkolonialisierung, etwa die Antwort der antiimperialistischen Kräfte darauf in der Konferenz von Bandung mit der Bildung der Bewegung der Blockfreien, stehen hier als historischer Beweis.
Die Differenz an dieser Stelle ist wieder eine methodische: In der Analyse müssen wir – wie Lenin sie fordert – die Einheit von Ökonomie und Politik anwenden. Ökonomie und Politik als Einheit zu sehen, bedeutet, nicht einseitig vom ökonomischen Wollen auszugehen, sondern die Fähigkeit und die objektive Notwendigkeit der Entwicklung eines Landes hin zum Imperialismus mit in Betracht zu ziehen. Einen nationalen Befreiungskampf – der immer seinerseits eine ökonomische Basis hat, nämlich den Kampf der nationalen Bourgeoisie und der Volksmassen um eine eigenständige, nationale produktive Basis der Produktion und der Versorgung der Bevölkerung – gilt es für uns als Ausbrechen zu unterstützen. Wer hier nur Bestandteile des Weltsystems Imperialismus sieht, ignoriert den konkreten Kampf wegen der abstrakten Empirie.
Aus dem oben geschilderten notwendigen Nebeneinander von kapitalistischen und imperialistischen Staaten, aus der Ungleichzeitigkeit der technischen Entwicklungen und der Umsetzung dieser in Produktivkräfte, aus dem inneren Kampf zwischen den Kapitalfraktionen und dem Klassenkampf sowie aus der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus ergibt sich das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus. Dieses Gesetz negiert, wer davon spricht, dass es keine kapitalistischen Staaten gebe, die nicht imperialistisch seien.
Für die weitere Diskussion sollten wir von folgenden Punkten ausgehen:
- Der Kern unseres Imperialismusverständnisses sollte das Monopol sein, und die Analyse vor allem der deutschen Monopole immer wieder auch die Rückbindung an die Empirie leisten. Die zunehmende Vergesellschaftung der Produktion, Konzentration und Zentralisation des Kapitals und die Rolle der Monopole sind der Kern, der notwendige Ausgangspunkt, nicht abstrakte Monopole.
- Die Monopole verschmelzen mit dem Staat, der staatsmonopolistische Kapitalismus entsteht, und parallel dazu – und nur, insofern das passiert – auch die heute weitverbreitete neokoloniale Form der imperialistischen Unterdrückung.
- Monopole können sich nur durch Kapitalexport in der internationalen Konkurrenz durchsetzen. Gelingt das nicht, bleiben sie Kapitale, die Länder kapitalistisch, sind eine weitere Vergesellschaftung der Produktion und eine weitere Steigerung der Produktivkräfte nicht möglich. Was dabei ein einzelner Kapitalist anstrebt oder auch nicht, ist unerheblich –– es geht um objektive Gesetzmäßigkeiten und wie sie sich durchsetzen.
- Nur diejenigen Staaten, die dazu fähig sind, diese Gesetzmäßigkeiten zu unterdrücken, die Entwicklung von Staaten zu unterbinden, indem Kapitalexport und teilweise die innere Entwicklung unmöglich gemacht werden, können sinnvollerweise als Teil des „Weltsystems Imperialismus“ oder als „der Imperialismus“ verstanden werden. Die NATO-Staaten sind damit die Materialisierung des Imperialismus.
- In den notwendigerweise entstehenden kapitalistischen, aber nicht-imperialistischen Staaten wird der Kampf zwischen der nationalen und der Kompradorenbourgeoisie geführt. Die nationale Bourgeoisie ist mitunter der zentrale Bündnispartner der Arbeiterklasse im nationalen Befreiungskampf. Die nationalen Befreiungsbewegungen derzeit brauchen die Unterstützung der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern. Hier sehe ich unsere internationalistische Verpflichtung in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Kommunistischen Parteien in aller Welt.