Mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD hat der Bundestag heute das Gesetz zum „neuen Wehrdienst“ beschlossen. Damit wird es ernst für alle jungen Männer ab Jahrgang 2008, die in den kommenden Jahren zu flächendeckenden Musterungen gezwungen werden. In der einstündigen Debatte wurde deutlich: Die Wünsche und Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern spielen für die große Mehrheit der Politiker keine Rolle.
Die Vertreter der Regierungsfraktionen redeten viel von „Freiwilligkeit“, „Freiheit“ und „Demokratie“. Daran, dass die „Freiwilligkeit“ nur vorübergehend gelten soll, ließ auch Verteidigungsminister Boris Pistorius keinen Zweifel. Er sagte: „Dieser Wehrdienst ist freiwillig, und er bleibt es, wenn alles so gut läuft, wie wir uns das versprechen“. Andernfalls wird man „um eine Wehrpflicht nicht herumkommen“. Auch Thomas Erndl (CSU) ließ sich zu einem Funken Wahrheit hinreißen: „Der Normalfall, der da ist, dass hunderttausende Menschen jedes Jahr Wehrdienst leisten, rückt ein Stück weit jetzt auch mit diesem Gesetz wieder in den Vordergrund.“ Er drohte an, dass im Spannungs- und Verteidigungsfall sowieso alle Männer zwischen 18 und 65 Jahren wehrpflichtig seien.
Den Vertretern der Grünen und AfD ging der Wehrdienst hingegen noch nicht weit genug. Nyke Slawik (Grüne) fand, dass das Gesetz „nicht konsequent zu Ende“ gedacht sei. Mit den verpflichtenden Musterungen werde zwar „ein Rahmen für den Ernstfall“ geschaffen, darüber hinaus forderten die Grünen jedoch einen Wehrdienst für alle Altersklassen und Geschlechter. Nach dem Willen der Grünen sollte eine Koordinierungsstelle eingerichtet werden, um dafür zu sorgen, dass die Fragebögen, mit denen künftig die Wehrbereitschaft junger Männer abgefragt wird, auch an Frauen und Alte verschickt werden. Jörg Zirwes von der AfD bezeichnete die Wehrpflicht als „Ehrendienst für das Vaterland“. Alle AfD-Redner machten deutlich, dass sie eine flächendeckende Wehrpflicht fordern. Dafür wurde sogar die „deutsche Schicksalsgemeinschaft“ beschworen und an die „200-jährige Tradition“ des deutschen Militärs erinnert – einschließlich der Wehrmacht. Rüdiger Lucassen (AfD), der „Verteidigungspolitische Sprecher“ der Fraktion, pfiff öffentlich die ostdeutschen Landesverbände zurück, die sich in den vergangenen Wochen kritisch zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht geäußert hatten.
Lediglich „Die Linke“ sprach sich klar gegen die Wehrpflicht aus. „Was ihr verteidigen sollt, sind die Kapitalinteressen derjenigen, die weder eure Zukunft teilen, noch eure Lebensrealität“, sagte Desiree Becker von der Linksfraktion. „Ihr habt diese Regierung noch nicht einmal gewählt, aber ihr sollt ihre Entscheidungen ausbaden.“ Es war die einzige Gegenrede in der gesamten Debatte. Auch die Linksfraktion muss sich fragen lassen, warum sie der Merz-Regierung, die „Kriegstüchtigkeit“ und Wehrpflicht vorantreibt, ausgerechnet heute mit einer angekündigten Enthaltung zum umstrittenen „Rentenpaket“ den Rücken freigehalten hatte.
Auch die heutigen Schulstreiks gegen die Wehrpflicht wurden von verschiedenen Rednerinnen und Rednern der Regierungsfraktionen angesprochen. Thomas Erndl von der CDU behauptete, es handele sich um „Schulschwänzen“, und nicht um ernsthaften Protest. Andere sprachen von „Populismus“, von „Fake News“ oder davon, dass die Jugend „vergiftet“ werde. Mit solchen Äußerungen sprach die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten den streikenden Schülerinnen und Schülern ab, selbstständig zu denken und zu handeln. Das zeigt: Der Widerstand wirkt. Weil sich die Proteste in mehr als einhundert Städten nicht mehr ignorieren lassen, zieht die Politik die Schulstreiks ins Lächerliche. Einige Abgeordnete taten so, als würden sie das Engagement der Schülerinnen und Schüler würdigen. Den Höhepunkt dieser Strategie lieferte Verteidigungsminister Pistorius, der die Schulstreiks als „großartig“ bezeichnete. Auf dieses vergiftete Lob können die Streikenden, die auf seinen Befehl hin im Krieg als Kanonenfutter verheizt werden sollen, verzichten.



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