Zu viele Jugendliche bleiben ohne Ausbildung. Die Vergütung ist zu gering, Unternehmen sind oft nicht ausbildungswillig

Leben oder Lernen?

Woran liegt es nur? Glaubt man einer jüngst veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung, dann möchte jeder fünfte Schüler in Deutschland nach der Schulzeit erst einmal arbeiten, anstatt eine Ausbildung oder ein Studium aufzunehmen: Unter Schülern mit niedrigem Bildungsniveau tendiert sogar ein Viertel dazu, zunächst jobben zu wollen.

Eine Ursache dafür sind schlicht ökonomische Sachzwänge. Viele Jugendliche entscheiden sich gegen eine Ausbildung, weil sie die Ausbildungsvergütung als zu gering empfinden. Kurzfristig erscheinen ihnen Helferjobs wie Essen- oder Paketlieferant attraktiver, so Helene Renk, Bildungsexpertin der Bertelsmann-Stiftung, bei der Vorstellung der Studie in der vergangenen Woche.

Ein weiterer Grund, warum vor allem Jugendliche mit niedrigen Schulabschlüssen keine Ausbildung starten, ist, dass sie ihre Chancen „zu Recht pessimistisch“ einschätzen. 35 Prozent und damit mehr als ein Drittel von ihnen glauben nicht daran oder sind sich nicht sicher, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. „Sie scheitern deutlich häufiger bei Bewerbungen und erleben immer wieder Absagen – das ist frustrierend. Manche versuchen es deshalb gar nicht erst“, beschreibt Renk die Erfahrungen vieler junger Menschen auf dem Ausbildungsmarkt.

„In der Folge laufen diese Jugendlichen Gefahr, langfristig schlechter dazustehen. Denn ohne Berufsabschluss steigt das Risiko enorm, im Laufe des Lebens arbeitslos zu werden oder im Niedriglohnsektor zu verharren.“ Das sei zum einen sehr schwierig für Betroffene, zum anderen gehe dadurch viel Potenzial für den Arbeitsmarkt verloren, so die bittere wie richtige Analyse der Bildungsexpertin.

Tatsächlich ist die Lage auf dem Ausbildungsmarkt trotz des vielbeschworenen Fachkräftemangels problematisch. So kommt einerseits eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), das dem deutschen Kapital nahesteht, zu dem Ergebnis, dass bis 2028 aufgrund des demografischen Wandels rund 770.000 Fachkräfte fehlen werden. Gleichzeitig belegen Zahlen des jüngsten Berufsbildungsberichts der Bundesregierung, dass rund 19 Prozent der 20- bis 34-Jährigen keinen Berufsabschluss besitzen. In absoluten Zahlen: 2,86 Millionen junge Menschen – so viele wie noch nie.

Auch dies hat Ursachen: Nicht einmal mehr jeder fünfte Betrieb bildet aus, ein weiterer trauriger Negativrekord. Und dort, wo noch ausgebildet wird, wird die Qualität der Ausbildung unterschiedlich wahrgenommen. Nach dem jüngsten Ausbildungsreport der DGB-Jugend sind knapp 70 Prozent der befragten Auszubildenden mit ihrer Berufsausbildung zufrieden. Deutliche Unterschiede gibt es jedoch zwischen einzelnen Branchen. So war die Zufriedenheit in den Berufen Industriemechaniker und Industriekaufmann – Berufe, die häufig unter den Schutz eines Tarifvertrages fallen – mit jeweils über 80 Prozent meist gut. Am unteren Ende der Skala finden sich hingegen jene Ausbildungsberufe wieder, die häufig nicht nach Tarif bezahlt werden. Dazu gehören zahnmedizinische Fachangestellte, Hotelfachpersonal und Fachlageristen.

Weitere Indikatoren für eine mangelhafte Ausbildungsqualität sind Überstunden und ausbildungsfremde Tätigkeiten. So gaben über ein Drittel der Auszubildenden – und damit deutlich mehr als in den Vorjahren – an, regelmäßig Überstunden leisten zu müssen. Auch ausbildungsfremde Tätigkeiten haben ein Rekordniveau erreicht. Über 15 Prozent der befragten Auszubildenden berichteten, „immer“ oder „häufig“ ausbildungsfremde Tätigkeiten verrichten zu müssen. Werden dadurch zentrale Ausbildungsinhalte nicht vermittelt, kann dies sogar den erfolgreichen Ausbildungsabschluss gefährden. Hinzu kommt, dass jeder dritte Auszubildende im letzten Ausbildungsjahr nicht weiß, ob er nach dem Berufsabschluss übernommen wird.

Die Stellschrauben, eine berufliche Ausbildung für junge Menschen attraktiver zu machen, sind in den klugen Ausbildungsbetrieben bekannt. Andere machen es sich einfach und verweisen auf die vermeintliche Unvernunft, Bequemlichkeit und fehlende Ausbildungsreife der Jugendlichen.

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"Leben oder Lernen?", UZ vom 25. Juli 2025



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