Betr.: „Ungleiche Bezahlung zementiert“, UZ vom 9. 12,

Leiharbeit – das unbekannte Wesen

Von Rainer Dörrenbecher, per E-Mail

Philipp Kissel nimmt in dem Artikel eine kritische Analyse des Tarifvertrags des DGB mit den Arbeitgeberverbänden vor. Das Ergebnis der Wertung kommt in der Überschrift „ungleiche Bezahlung zementiert“ zum Ausdruck. Und er stellt fest, dass es ungleiche Bezahlung eigentlich nicht geben dürfte, denn „per Gesetz müsste der gleiche Lohn gezahlt werden“. Das Gleiche stellt auch die SDAJ in einer Erklärung fest. Und „Der Tarifvertrag des DGB verhindert allerdings genau das.“ (siehe news.dkp, sdaj-erklärung-zur-tarifrunde-leiharbeit)

Die Autoren der beiden Tarifvertragskritiken kennen sich offensichtlich gut aus in den Arbeits- und Klassenkampfbedingungen der Leiharbeitskräfte. Entgangen ist ihnen allerdings, dass von den knapp 1 Million Leiharbeitskräften zwei Drittel in Klein- und Mittelbetrieben arbeiten. Diese sind zwei Mal doppelt freie Lohnarbeiter/Innen, einmal im Marxschen Sinn und zusätzlich frei von Betriebsräten im Ver- und Entleihunternehmen und frei von Tarifverträgen im Entleihbetrieb. Viele arbeiten allein oder in kleinen Einheiten; sie begegnen sich nicht und kennen sich nicht. Das Aushandeln des Lohns war vor den – zugegeben nicht besonders guten – Tarifverträgen Sache des persönlichen Verhandlungsgeschicks. Und gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt nicht einmal in Konzernbetrieben. Da soll dies beim schwächsten Kettenglied möglich sein?

Tariffragen sind bekanntlich Kampffragen. Nach Kissel und SDAJ sind Tariffragen offensichtlich Fragen des erfolgreichen Verhandlungsgeschicks und Willens der gewerkschaftlichen Tarifkommission. Wie hoch dürfte denn der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Leiharbeitsbranche sein? Mehr oder weniger als ein Prozent? Die hätten ja mal kräftig Druck machen können. Was hätten die Leiharbeiter/Innen ohne diesen Tarifvertrag gewonnen? Den Mindestlohn! Der liegt laut Kissel ab 1.3.17 um 39 Cent/Std. unter dem Tarifvertrag. Am Schluss stellt Kissel noch fest: „Das Instrument Leiharbeit wird nicht in Frage gestellt.“ Auch da frage ich mich, wo ist denn der gesellschaftliche Druck, Leiharbeit in Frage zu stellen? Da wären noch viele Diskussionen und Beschlüsse in gewerkschaftlichen Gremien notwendig. Und darüber hinaus wären Aktionen gewerkschaftlicher Kräfte und sozialer Bewegungen notwendig, damit in einem Tarifvertrag Leiharbeit in Frage gestellt wird.

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"Leiharbeit – das unbekannte Wesen", UZ vom 6. Januar 2017



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