In „Lektionen der Geschichte“ blickt Hans Modrow zurück

Nachdenken und Korrigieren

30 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die BRD spricht Hans Modrow mit Volker Hermsdorf über seine Sicht auf den sozialistischen deutschen Staat und die Solidarität mit Kuba.

„Welche Urteile es auch immer über den realen Sozialismus gibt, er hat den brutalsten Formen kapitalistischer Ausbeutung Grenzen gesetzt – und das gilt nicht nur für das Verhältnis der beiden deutschen Staaten“, so Modrow. „Die schon von Marx gestellte Frage nach Platz und Rolle des Eigentums war und bleibt die Kernfrage gesellschaftlicher Entwicklung. Eine soziale und gerechte Gesellschaft braucht ein gesellschaftliches Eigentum, auf dessen Grundlage soziale Gerechtigkeit gestaltbar ist.“ Und „notwendig ist zunächst eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse und dann steht die Frage ihrer Kon­trolle an“.
2008 wurde Modrow in Kuba gefragt, warum er als Ministerpräsident „die in der Verfassung definierte sozialistische Gesellschaftsordnung der DDR nicht mit den Kräften der Armee verteidigt“ habe. „Wenn es in dieser Phase“, so Modrow, „auf dem Gebiet der DDR zu militärischen Einsätzen oder Auseinandersetzungen gekommen wäre, hätte das den dritten Weltkrieg auslösen können.“ Der Oberkommandierende der Staaten des Warschauer Vertrages, Pjotr Luschow, habe ihm gegenüber darauf bestanden, dass sich „auf dem Territorium der DDR keine Gewalt entwickeln dürfe“, anderenfalls gegen die bewaffneten Kräfte der DDR vorgegangen würde. Zu einer anderen Einschätzung kommen Uwe Markus/Ralf Rudolph in ihrer Studie „Die verratene Armee“. Sie berichten von sowjetischen Kommandeuren, die sich neutral hätten verhalten wollen oder Unterstützung für die sozialistischen Kräfte ankündigten.

Modrow korrigiert eigene Fehleinschätzungen: „Nach dem, was mir heute bekannt ist, bin ich mit nichts von dem einverstanden, was Gorbatschow in die Wege geleitet hat. Denn alles war von Anfang an auf Täuschung angelegt. Er selbst hat Ende der 1990er Jahre erklärt, dass es immer sein Ziel gewesen sei, mit der Perestroika den Sozialismus zu vernichten.“ Fidel Castro habe diese Zielstellung frühzeitig erkannt und schon im Juli 1988 die Perestroika als „gefährlich“ und den „Prinzipien des Sozialismus entgegengesetzt“ eingeschätzt.

Zu Kuba hatte Modrow schon in der DDR ein enges Verhältnis. „Manches von dem, was wir in der DDR – natürlich mit ganz anderen Möglichkeiten – an praktischer Solidarität mit den Menschen und dem revolutionären Prozess in Kuba begonnen haben, wird heute von engagierten Aktivisten weitergeführt.“

Bei den Bedingungen für das Überleben Kubas bleibt die Sicherung der führenden Rolle der Kommunistischen Partei mit Fidel Castro an der Spitze unerwähnt. Die Offenlegung der Probleme, sozialen Härten und drohenden Gefahren durch die PCC sowie die Einbeziehung des Volkes in die Lösung der Aufgaben scheinen für Modrow unwichtig. Der DDR-Bevölkerung wurde 1989/90 eine „revolutionäre Umgestaltung“ vorgegaukelt, die drohenden sozialen Auswirkungen beim Anschluss an die BRD blieben im Unklaren. Die SED wurde in eine sozialdemokratisch orientierte Partei umgewandelt, das Ministerium für Staatssicherheit den Medien „zum Fraß vorgeworfen“, die bewaffneten Kräfte jeder Aktionsfähigkeit beraubt.
Modrow enthüllt die Politik der USA, der EU und der BRD am Beispiel der Haltung gegenüber Russland und der Entwicklung in der Ukraine, wo „der Faschismus zum ersten Mal seit 1945 in Europa ganz offen wieder als Option in Erscheinung getreten“ ist. Er sieht die „Aggressivität des Imperialismus, über 100 Jahre nach Beginn des ersten und rund 75 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges“ und befürchtet den „Ausbruch“ neuer Kriege. Richtig vermerkt Modrow, dass seit dem Amtsantritt Putins Russland für die Erhaltung des Weltfriedens eintritt, jedoch „nicht auf eine Stärkung der Linksentwicklung“ orientiert.

Summa summarum kann man nur begrüßen, dass er diesen Weg des Nachdenkens und Korrigierens einschlägt. Das ist ein wichtiger Beitrag, dem in seiner Partei vorherrschenden Rechtskurs Einhalt zu gebieten.


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Volker Hermsdorf
Lektionen der Geschichte
Hans Modrow über Kuba, die DDR und die Perestroika
Verlag Wiljo Heinen, Berlin 2019

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"Nachdenken und Korrigieren", UZ vom 10. Januar 2020



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