Die Unordnung als Wesen der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt

Nichts Menschliches mehr

Von Jenny Farrell

Wie Otto Dix und George Grosz Deutschland porträtierten. Beide Künstler stellten ihr Werk in den Dienst des Antifaschismus und der Warnung vor Kriegen. Vor 50 Jahren starb Otto Dix, vor 60 Jahren George Grosz.

Der Krieg (Triptychon), Otto Dix, 1929/32, Mischtechnik auf Holz

Der Krieg (Triptychon), Otto Dix, 1929/32, Mischtechnik auf Holz

( Alle Rechte: VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

In Uniform zur Kreuzigung

Otto Dix zeigt den Ersten Weltkrieg, wie er war

Otto Dix (1891–1969) wurde durch die schonungslose Schärfe seiner Gesellschaftskritik zu einem unerbittlichen Kämpfer gegen die Unmenschlichkeit des Imperialismus. Bereits vor Kriegsausbruch, 1913, hatte er das Bild „Sonnenaufgang“ gemalt, das einen dunklen ironischen Kontrast zu van Goghs „Kornfeld mit Krähen“ bildet.

Schwarze Todesvögel fliegen über eine vereiste Landschaft; die aufgehende Sonne gleicht einer explodierenden Bombe – im Hintergrund dunkle Rauchwolken.

Zwischen 1929 und 1931 entstand das Triptychon „Der Krieg“, das Hauptwerk des Malers. Es ist eine eindringliche Warnung vor den Schrecken der Vernichtung. Dix verwendet eine altmeisterliche Maltechnik und Form. Aus der christlichen Kunst stammend, wird in einem Tryptichon oft in der Hauptszene die Kreuzigung Jesus‘ dargestellt, in den Flügeln Nebenfiguren beziehungsweise Nebenszenen.

In „Der Krieg“ marschiert auf der linken Seitentafel in Nebelschwaden und unter einem blutroten Frühmorgenhimmel eine schier endlose Reihe Soldaten in die Schlacht. Das Licht des „Sonnenaufgangs“ spiegelt sich nun in den Helmen. Nur ein Gesicht ist undeutlich erkennbar, die anderen bleiben anonym und stehen somit für alle. Hunderte kommen aus großer Entfernung auf den Betrachter zu, abermals Unzählige ziehen wieder weiter in die Ferne. Diese V-Form mit dem Umkehrpunkt beim Betrachter ist außerordentlich effektiv in der Nutzung der Bildfläche zur Vermittlung einer unendlichen Menge von Helmen und Waffen. Die beiden Männer im Bildmittelpunkt tragen Tornister, der eine wendet sich zum anderen und ein Auge ist erkennbar. Außerdem ist ein Stiefel und eine Feldflasche deutlich sichtbar, womit diese Soldaten etwas individualisiert werden. Da es sich bei diesem Triptychon um eine Anspielung auf den christlichen Flügelaltar handelt und Andeutungen auf die Kreuzigung Christi im Mittelteil noch deutlicher erscheinen, könnte der linke Flügel bereits als Kreuztragung verstanden werden. Wie Jesus tragen die Soldaten selbst ihre todbringenden Waffen. Es herrscht jedoch eine gewisse Ordnung. Die Soldaten sind in ihrer menschlichen Form gezeigt.

Das kontrastiert scharf mit der erschütternden Darstellung der Mitteltafel. Nichts Menschliches ist mehr wahrnehmbar. Dort, wo im Flügelaltar eine Heiligendarstellung zu erwarten ist, oben in der Bildmitte des Mittelteils, ist ein Skelett aufgespießt, mit weit aufgerissenem Mund und einem zeigenden Finger, als wollte es noch warnen. Der eine dem Skelett erhaltene Stiefel verbindet es mit dem Soldaten im linken Flügel. Der Knochenfinger weist auf eine kraterhafte Ruinenlandschaft, in der es kein Leben mehr gibt. Menschen, Stadt und Vegetation sind zerstört. Den größten Teil der Mitteltafel nehmen Gedärme und zerstückelte Menschen ein, auch Sandsäcke und eine Gasmaske konnten hier offenbar nichts ausrichten. Der Finger des Skeletts deutet auch auf den Toten, dessen durchlöcherten Beine herausragen und deutlich an den gekreuzigten Jesus erinnern. Dieser ist auf den Kopf gestellt, womit die Anklage des Bildes noch ironisierend verstärkt wird. Diese zentrale Schreckensszene enthüllt die Natur des Krieges aufs Unerbittlichste.

Im rechten Flügel schleppt ein Soldat, dessen Gesicht die Züge des Malers trägt, einen Verwundeten aus der Zone des Mordens, ein weiterer Überlebender kriecht ebenfalls aus dem Inferno. Sie tragen weder Helme noch Uniform mehr und bemerken nicht die Leiche, über die sie sich bewegen. Ein verkohlter Baumstamm kreuzt diesen Flügel und wenn man im Bild der Kreuzigung bleiben will, kann man hier die Kreuzabnahme deuten. Wieder werden die einfachen Soldaten mit Christus identifiziert.

In der Predella, dem Unterteil des Tryptichons, wird oft die Grablegung Christi dargestellt. In der Interpretation dieses Bildes von Dix gibt es unterschiedliche Meinungen, ob die dargestellten Soldaten schlafen oder tot sind. Meiner Auffassung nach, die auch der deutlichen Anspielung auf die Jesusdarstellungen auf Flügelaltaren folgt, werden hier tote Soldaten gezeigt. Der dem Betrachter nächste erinnert mit seinem blonden Schnurrbart etwas an das einzige kaum sichtbare Soldatengesicht im linken Flügel. Fast scheint er zu schlafen, seinen Kopf auf dem Tornister, doch seine Uniform ist an zwei Stellen auf Brusthöhe von Kugeln durchbohrt, weshalb trotz seines ruhigen Gesichts davon auszugehen ist, dass er sein Leben verloren hat. Den daneben Liegenden sind die Augen verbunden, wodurch sie wiederum entindividualisiert sind. Dem letzten Soldaten fehlen die Stiefel – bekanntlich wurden ja toten Soldaten von den noch lebenden die Stiefel zwecks weiterer Verwendung abgenommen. Dies war schon im linken Seitenbild angedeutet, mit dem einzelnen Stiefel am Tornister sowie dem Stiefel am Skelett im Mittelbild. Zusätzlich sieht man bereits Ratten zu den Füßen der Toten. Ein blutrotes Leichentuch ist an einem sehr niedrigen Raumabschluss befestigt, so dass der Eindruck eines klaustrophobischen, sarkophagähnlichen Kastens erweckt wird, in dem die Toten sich befinden. Das Stroh in der vorderen rechten Bildecke der Predella ist ein letzter Hinweis auf den Stall, in der Jesus geboren wurde. Hier liegen nun die Opfer.

Die Welt der Parasiten

Figuren verzerren, um ihr Wesen zu zeigen: George Grosz

George Grosz, Berlin 1930

George Grosz, Berlin 1930

( public domain)

Große Bedeutung hatte in den 1920er Jahren auch die Kunst des Zeitgenossen Dix‘, George Grosz (1893–1959). Ilja Ehrenburg schrieb über George Grosz: „Das damalige Deutschland fand seinen Porträtisten in George Grosz. Er stellte die Schieber dar, deren Finger an kurze Würstchen erinnerten. Er zeigte die Helden eines vergangenen und eines kommenden Krieges, Menschenhasser behängt mit Eisernen Kreuzen … Ja, er wagte es, Geheimräte nackt am Schreibtisch zu zeigen, aufgetakelte dicke Dämchen, die Leichen ausnehmen, Mörder, die sich sorgfältig in einem Becken die blutigen Hände waschen … Für das Jahr 1922 erschien das als Fantasterei, im Jahre 1942 wurde das alltäglich.“

George Grosz’ Milieu war die Großstadt Berlin der 1920er Jahre. Hier beobachtete er die Welt der Parasiten, der Kriegsgewinnler und Schieber, der Huren und Säufer. Er malte die Amoralität einer überlebten Gesellschaft, ebenso wie die Opfer der herrschenden Klasse.

Grell verzerrt

Ein Beispiel ist das Bild „Der Agitator“ von 1928, in dem Grosz bereits vor den Nazis warnt. Das Herz des Agitators prangt plakativ in den Reichsfarben Schwarz, Weiß, Rot. Er ist mit Orden sowie dem Eisernen Kreuz behangen. Das Hakenkreuz am Krawattenknoten droht verhängnisvoll direkt in der Bildmitte. Während die applaudierenden bourgeoisen Männer mit ihren wohlgenährten Gesichtern und Händen auf der linken unteren Bildseite noch relativ realistisch dargestellt sind, werden sie zunehmend grotesk verzerrter und greller auf der rechten Seite. Zentral im Gemälde ist der lächerlich erscheinende Agitator selbst, mit einem Gummiknüpppel über den Arm, verzerrtem Gesicht, die rechte Hand zum Schwur erhoben, umringt von seinen Attributen: das Megafon, die Rassel in der linken Hand, Marschtrommel und Grammophon sorgen alle für die Geräuschkulisse. Größer noch ist der Säbel, der unter seinem Mäntelchen hervor kommt. Über dem Kopf hängt ein ebenfalls schwarz-weiß-roter Narrenhut mit deutschem Eichenlaub. Zu seinem gespornten Fuß steht der Plakatiereimer. Über dem Agitator schwebt das versprochene Männer-Schlaraffenland gebratener Hühner, Wein und gesichtsloser nackter Frauen. Links oben bilden der überdimensionale lorbeerumkränzte Soldatenstiefel und eine Festung den Kontrast zum versprochenen Paradies. Der mit Eisernem Kreuz dekorierte einstige Spießer-Soldat wandelt sich nahtlos in einen Nazi unter Beifall des Bürgertums. Das hat Grosz früh erkannt und mitgeteilt.

Form und Inhalt

Grosz‘ Zeichenkunst ist aus vielen Quellen gespeist, eine davon war der Futurismus. Die kaleidoskopartige Gleichzeitigkeit der Objekte in der Bildwelt des George Grosz nutzt somit futuristische Techniken für eine satirische Gesellschaftskritik. Grosz komponiert seine Arbeiten so, dass sich der Raum vertikal entwickelt, von unten nach oben. So entstehen hochgelegene Horizonte. Seine Großstadtmilieu-Bilder sind nicht abstrakt, sondern Signale aus einem monopolkapitalistischen Babel, in dem die Fäulnis einer überlebten Gesellschaftsordnung drastisch sichtbar wurde.

Er machte die Unordnung als Wesen der bürgerlichen Ordnung sichtbar. Gemeinsam mit John Heartfield entwickelte George Grosz die politische Fotomontage, eine neue Kunstgattung, die später von John Heartfield zu klassischer Höhe geführt wurde. Wie Heartfield anglisierte Grosz aus Protest gegen deutschen Chauvinismus seinen Namen Georg Groß.

Das einzige, was bleibt

1933 emigrierte George Grosz nach New York. Als es dem Faschismus gelang, die Macht an sich zu reißen, bestand kein Zweifel, dass das Leben von George Grosz endgültig aufs Höchste bedroht war. Obwohl der Höhepunkt seiner sozialsatirischen Kunst in seiner Zeit in Deutschland lag, blieb sein Thema die Anklage des Faschismus, wie zum Beispiel in seinem 1936 entstandenen visionären Bild „Apokalyptischer Reiter“, in dem die Schrecknisse des Krieges vorgebildet sind.

1949 malte er die Serie surrealer Stockmänner, gespenstisch dürrer Wesen in einer zerstörten Welt – eine Mahnung an das Gewissen der Völker, keine neuen Krieg mehr zuzulassen. In der Ruinenlandschaft dieses Bildes trägt eine Figur ein verbranntes Gemälde in der Hand. Es ist zerstört, aber dennoch das einzige, was ihnen verbleibt und somit irgendwie bewahrenswert. 1958 ging George Grosz nach Berlin zurück und starb hier am 6. Juli 1959.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Nichts Menschliches mehr", UZ vom 5. Juli 2019



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit