Nachrichten zum Jahreswechsel offenbaren Vorhersehbares

Nichts Neues in Sachsen

Von Roman Stelzig

Silvester in Leipzig ohne Krawalle in Connewitz wäre wie ein Neujahrskonzert ohne Beethovens Neunte. Man wartet regelrecht auf Nachrichten über Randalierer, Wasserwerfer und brennende Mülltonnen. Blieben sie aus, würde das mindestens die „Leipziger Volkszeitung“ in Nöte bringen, die ohne mehrspaltige Fotos von Räumpanzern und Steineschmeißern mit ziemlich leerem Aufmacher erschiene. (So viele „1. Babys 2018“ werden nun auch nicht geboren, um die Lücke zu füllen.) Damit das nicht eintritt, wird mit vereinten Kräften die Arena vorbereitet: Das Ordnungsamt erließ ein Versammlungsverbot am Connewitzer Kreuz, die Verkehrsbetriebe leiteten Bus- und Bahnlinien vorsorglich um und Polizisten aus Dresden und Chemnitz wurden nach Leipzig beordert. Von einem durch die Polizei beschirmten Löscheinsatz fühlten sich gegen 1 Uhr endlich auch Jugendliche provoziert und es kam für eine halbe Stunde zu den erhofften Ausschreitungen. Ein bisschen zähneknirschend heißt es zwar: „Anders als in früheren Jahren gab es offenbar keine größeren Sachbeschädigungen.“ Aber immerhin: „In der Silvesternacht sind Beamte im Leipziger Süden von rund 50 Chaoten mit Böllern, Flaschen und Steinen attackiert worden“, ist doch eine Schlagzeile.

Dass in Sachsen manches in Bewegung gerät, zeigen andere Nachrichten zum Jahreswechsel. Verkehrsminister Martin Dulig legte nach Weihnachten Zahlen vor, nach denen die Nutzung des öffentlichen Personen- und Nahverkehrs beständig steigt, allein die Personenkilometer im mitteldeutschen S-Bahn-Netz 2014 bis 2016 um 20 Prozent. Das ist interessant, insofern die Bevölkerung 2012 bis 2016 nur um 0,6 Prozent gewachsen ist. Die Kreis- und Stadträte Nordsachsens und Leipzigs entscheiden nun über einen Nahverkehrsplan, der auch einen Ausbau des S-Bahn-Netzes vorsieht. Davon hängt auch ab, inwieweit umliegende Kreise vom Bevölkerungswachstum in Leipzig profitieren – oder eben nicht, weil tatsächlich noch nicht oder nicht mehr alle Orte der Region mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Dabei wiederum steht die Deutsche Bahn in der Pflicht, um Bahnhöfe und Eisenbahnlinien zur Verfügung zu stellen.

Den geschiedenen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich mag es dabei ärgern, dass S-Bahnen nicht von Dampflokomotiven gezogen werden. Das wäre eine gute Nachricht für die Kohleindustrie. Wie die „Leipziger Internetzeitung“ berichtete, brachte „eine eigentlich fundierte Analyse der ‚Agora Energiewende‘ vom 10. November“ das Ergebnis, „dass Deutschland problemlos 8,4 Gigawatt an Kraftwerksleistung bei Kohlekraftwerken stilllegen könnte“. Für den Tagebau ist das eine düstere Prognose und eine Untersuchung von Dr. Fritz Jaeckel aus der Sächsischen Staatskanzlei kam am 12. Dezember zu dem Ergebnis: „Mit einer Abschaltung von 8,4 GW würde … etwa die Hälfte der bestehenden Braunkohle-Kapazitäten stillgelegt. Wenn man bedenkt, dass die Braunkohleverstromung durch relativ niedrige variable Kosten, aber hohe Tagebau-Fixkosten gekennzeichnet ist, könnte eine derartige Reduzierung der Braunkohle-Kraftwerksleistung zudem die Wirtschaftlichkeit des Braunkohle-Tagebaus gefährden“, wie die Zeitung zitierte.

Befeuert werden solche Aussichten durch Diskussionen, die über den Fortbestand des Kraftwerks Lippendorf geführt werden. Bis 2023 läuft ein Fernwärmeliefervertrag mit den Stadtwerken Leipzig, und die Stadt lässt prüfen, ob sie „schon nach Auslaufen des Vertrages auf die Fernwärmelieferungen verzichten kann.“ Aber „bevor Lippendorf vom Netz geht“, schreibt die „Leipziger Internetzeitung“, „muss Leipzig seine eigene dezentrale Stromsicherung aufgebaut haben – was ja die Stadtwerke mit den ersten dezentralen Gaskraftwerken schon begonnen haben. Sollte Leipzig zu dem Schluss kommen, dass es nach 2023 keine Fernwärme und keinen Strom mehr aus Lippendorf braucht, steht nicht nur dort eine Entscheidung an, sondern auch bei der Mibrag“, dem Betreiber eines der beiden Kraftwerksblöcke.

Für die Menschen in Sachsen bedeuten solche Nachrichten, dass der Abbau weiterer Arbeitsplätze bevorsteht und die Schließung der Siemens-Werke in Leipzig und Görlitz erst ein Anfang sein könnte. Vor dem Hintergrund, dass sich die Lebensverhältnisse damit weiter verschlechtern, bilden die Polizeieinsätze in Connewitz nicht nur ein mediales Unterhaltungsprogramm, sondern einen Hinweis, wie der Staat gedenkt, mit sozialen Fragen in Zukunft zu verfahren.

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"Nichts Neues in Sachsen", UZ vom 5. Januar 2018



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