Koalition droht an Wehrpflichtfrage zu zerbrechen – linker Abgeordneter soll aus Knesset geworfen werden

Regierungskrise in Israel?

Bisher erwies sich die Regierung Netanjahu als erstaunlich stabil. Tatsächlich dauert sie schon länger an als drei Viertel der Regierungen vor ihr. Jetzt drohen ultraorthodoxe Parteien die Koalition zu verlassen. Neuwahlen wären die Folge.

Ob Massenproteste, Gerichtsverfahren gegen Benjamin Netanjahu und Vorwürfe der Korruption auch in seinem Umfeld oder internationale Isolierung wegen Israels Kriegsführung, die nur noch die USA bedingungslos an der Seite Israels lässt: nichts focht die Regierungskoalition bisher an. Jetzt stellt ein Thema den Bestand der Koalition in Frage: Welchen Einfluss hat die Religion auf Staat und Gesellschaft Israels? Es geht wieder einmal um die Wehrpflicht für Männer einer ultraorthodoxen, fundamentalistischen Strömung im Judentum, der Haredim. Sie sehen ihr Bibelstudium als mindestens gleichwertigen Ersatz für den Wehrdienst.

Als die israelischen Streitkräfte gebildet wurden, betraf das 400 junge Männer. Heute zählen sich bis zu 15 Prozent der jüdischen israelischen Bevölkerung zu den Haredim und es geht um zehntausende junge Männer, die nicht zur Armee gehen.

Schon 2014 beschloss die Knesset ein Gesetz, das den Umfang von Ausnahmen und Aufschüben des Militärdienstes für Haredim begrenzte. Es blieb ohne große Wirkung. Mit dem Beginn des Gazakrieges war die Dringlichkeit dieser Frage umso größer geworden. Zehntausende Reservisten werden wieder und wieder für Monate einberufen, während die Haredim in vielen Fällen darum herumkommen. Einberufungen haben sie zum größten Teil ignoriert. Doch jetzt muss die Knesset – nach einem Gerichtsurteil im letzten Jahr – ein Gesetz verabschieden, das die Wehrpflicht für Haredim regelt.

Die israelische Armee ist auf ihre Reservisten angewiesen. Während sich zu Beginn des aktuellen Krieges mehr Reservisten freiwillig meldeten als einberufen wurden, hat sich das jetzt geändert. Zurzeit erscheinen nur etwa 85 Prozent der Einberufenen zum Dienst. Viele derer, die nicht erscheinen, sind nach Hunderten Tagen der Kämpfe erschöpft. Viele lehnen diesen Krieg aus politischen oder ethischen Gründen ab. Für das Militär, das für die Ausweitung des Krieges Tausende zusätzliche Soldaten benötigt, wird das mehr und mehr zum Problem.

Mehr als 50.000 Einberufungen von Haredim, die für das nächste Jahr geplant sind, und mehr Sanktionsmöglichkeiten für Wehrdienstvermeider sind damit eine Win-win-Situation für das Militär.

Yuli Edelstein, der Vorsitzende des Knesset-Komitees für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung, versucht einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten, der Quoten der Wehrpflicht für Haredim festlegt und Sanktionen gegen „Wehrpflichtvermeider“ definiert.

In intensiven Verhandlungen versucht die Regierung, ein Misstrauensvotum gegen Netanjahu und Neuwahlen im Oktober abzuwenden oder zumindest aufzuschieben. Käme es wirklich zu einem Bruch der Koalition und Neuwahlen, würde die Befreiung der Haredim vom Wehrdienst mit einer neu gebildeten Regierung vermutlich enden, mit nicht absehbaren Folgen von Protesten und Aktionen.

Doch ob für oder gegen die Wehrpflicht, ob für oder gegen Justizreform – in einem Punkt ist sich der größte Teil der Knesset einig. Stimmen für den Frieden sollen in ihr keinen Platz haben.

Mittlerweile gibt es einen Antrag in der Knesset, Ayman Ode, Abgeordneter der linken Chadasch, wegen seines Widerstands gegen den Krieg das Mandat zu entziehen, ähnlich wie es zuvor schon mit dem Chadasch-Abgeordneten Ofer Cassif versucht wurde. Im Falle von Cassif scheiterte der Versuch nur knapp, es fehlten fünf an den nötigen 90 Stimmen.

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"Regierungskrise in Israel?", UZ vom 13. Juni 2025



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