EU will KI nur in bestimmten Bereichen regulieren

Rüstung ausgeklammert

Nach mehrjähriger Vorberatung hat die Europäische Union (EU) am 14. Juni den Weg für die Verabschiedung einer Verordnung zur Regulierung der Anwendungsfelder „Künstlicher Intelligenz (KI-Verordnung)“ geebnet. Die bürgerlichen Medien feiern das Vorhaben als „weltweit ersten Versuch“ („Tagesschau“) zur Entwicklung ethischer Richtlinien im Bereich der KI. Das „Pilotprojekt“ soll, wie immer, wenn die EU sich auf ihr „Wertefundament“ bezieht, zahlreiche Länder außerhalb Europas motivieren, das Modell zu übernehmen.

Ein Blick in die einschlägigen Internetportale zur KI belegt, dass die Regulierungsidee zur Kontrolle der Weiterentwicklung dieser Technik in der Volksrepublik China schon vor Jahren umgesetzt worden ist. Ende September 2021 hatte das chinesische Ministerium für Wissenschaft und Technologie Regelungen zur „neuen Generation ethischer Spezifikationen für Künstliche Intelligenz“ auf den Weg gebracht. Der Begriff der KI ist schillernd. Vereinfacht versteht man hierunter die Installation von technischen Methoden und Algorithmen, die Computer in die Lage versetzen, auch hochkomplexe Probleme zu lösen. Dies kann auf grob drei verschiedenen Wegen geschehen: durch „machine learning“, bei dem Muster in zur Verfügung gestellten Datensätzen gesucht und erstellt werden, die auf einen neuen Datensachverhalt angewandt werden; durch „supervised learning“, das heißt, das System bekommt vorstrukturierte Muster und entwickelt aufgrund eigener Rechenleistung hieraus Algorithmen für zukünftige Anwendungen, oder durch „deep learning“, bei dem künstliche neuronale Netze, die Strukturen des menschlichen Gehirns imitieren, aus Mustererkennung und stetig verbreiterten Datensätzen, Vorhersagen für zukünftige Ereignisse machen können.

Der Begriff „Intelligenz“ verstellt in der Debatte oftmals den nüchternen Blick darauf, dass die maschinell erzeugte Entscheidung eines Problems oder die Erstellung einer Prognose stets von den vom Anwender vorgegebenen Daten und aufgegebenen Mustern abhängt. In der KI-Verordnung stellt die EU hierzu die Weichen. Das interessengeleitete Vorgehen ist offensichtlich: So blendet die Verordnung den kompletten militärischen Sektor aus. Die Entwicklung immer effizienterer Tötungsmaschinen soll nicht behindert werden. Damit wird gleichzeitig eine neue Dimension des internationalen Wettrüstens eröffnet. Automatisierte Überwachungstechniken wie das „3D-Radar“, die zwar primär auf militärischem Gebiet entwickelt werden, aber sich als „Abfallprodukt“ auch für die räumlich auf den Zentimeter genaue Ortung von Zivilpersonen und Fahrzeugen nutzen lassen, stehen damit auf der Agenda zulässiger KI-Technologie, auch wenn die Verordnung einstweilig mit großer Geste auf die massenhafte biometrische Gesichtserkennung verzichtet hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Sicherung der EU-Außengrenzen auf diese Weise technisch perfektioniert wird. Den Industrieverbänden konnte es in den letzten Monaten nicht weit genug mit einer entgrenzten Anwendung der KI im Bereich von Produktion und Handel gehen. Europaweit stehen hier Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Längst haben KI-Projekte auch Berufe erreicht, die bislang als krisenfest galten. Überall, wo Daten nach Mustern verwaltet werden und Algorithmen diese selbsttätig abarbeiten können, so im Bankwesen, in Steuerbüros oder Verwaltungseinheiten, wird die KI breite Schneisen in die Beschäftigungsverhältnisse schlagen. Wer das „Glück“ hat, den Rationalisierungen vorerst entgangen zu sein, muss mit dem Absinken des Lohnniveaus rechnen. Von dem vor zwei Jahren gefeierten „menschenrechtszentrierten Ansatz“ der KI-Verordnung wird am Ende des EU-Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr die Rede sein.


„Künstliche Intelligenz“ – Was ist das?
Künstliche Intelligenz (KI) ist eine spezielle Art von Software. Anders, als der Name suggeriert, denkt die Maschine nicht selbst. KI schafft aus einer möglichst großen Datenmenge neue Kombinationen und „lernt“ dann aus gespeicherter „Erfahrung“, die am wahrscheinlichsten richtigste Antwort auszuspucken. Deshalb ist zumindest in der ersten Phase die Anwendung meist kostenlos, den größten Teil des „Lernprozesses“ erledigen jedoch schlecht bezahlte und rechtlose „Klickarbeiter“ rund um den Globus. Umso mehr Daten eine KI verarbeiten kann, umso besser funktioniert sie.
Die derzeit wohl bekannteste Anwendung der KI ist der Chat-Bot ChatGPT-4 von OpenAI. Dort gibt man einen als Frage formulierten Befehl ein und der Chat-Bot erfüllt ihn. ChatGPT-4 soll derzeit auf über 300 Milliarden Datensätze zurückgreifen können. Aber nicht nur die Menge an Daten ist enorm. Laut dem Marktforschungsunternehmen Semi-Analysis kostet OpenAI der Betrieb von ChatGPT-4 bis zu 700.000 US-Dollar pro Tag, also rund 255 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Größter Investor von OpenAI ist heute Microsoft. Investoren der ersten Stunde waren unter anderem Elon Musk und Amazon.
CH


Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Rüstung ausgeklammert", UZ vom 23. Juni 2023



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