Der Libanon scheint im Protest vereint

Schulden und Korruption

Von Manfred Ziegler

Korruption plagt den Libanon wie kaum ein anderes Land. Die engen Beziehungen zwischen Finanzwelt, Wirtschaft und Staat ermöglichen es den Eliten, Staatseinnahmen nach Belieben zu verwenden und in ihren Netzwerken zu verteilen. Und wir sprechen hier nicht über Millionen Dollar – es geht um Milliarden. Dutzende Milliarden Dollar, die nach dem Ende des Bürgerkrieges ausgegeben wurden, versickerten in dunklen Kanälen. Seit Wochen erschüttern Proteste dieses System.

Ausgangspunkt der aktuellen Proteste war unter anderem der Plan, eine Gebühr von 20 US-Cent auf Anrufe mittels WhatsApp und anderen Diensten zu erheben, nachdem die Regierung zuvor Sparmaßnahmen im Staatsbudget eingeführt hatte. Die Gebühr fiel mit den ersten Protesten, doch diese endeten damit nicht. Reformversprechen und Rücktritt der Regierung am 29. Oktober waren vielen der Demonstranten nicht genug. Frauen kämpfen gegen patriarchalische Strukturen. Die zerfallende Infrastruktur, Ausfälle der Strom- und Wasserversorgung, hohe Staatsverschuldung, Müllhalden auf den Straßen, vermehrte Krebsfälle in der Umgebung einiger Unternehmen – das alles einte das Land im Protest gegen die Eliten.

Im Blickpunkt steht zur Zeit der frühere Finanzminister und ehemalige Ministerpräsident des Libanon, Fuad Siniora. Er hatte bestimmenden Anteil an der Auslandsverschuldung des Libanon, war mit den internationalen Finanzeliten und Banken der Hariri-Familie vernetzt. Er ist Teil des westlich orientierten „Future Movement“ und wurde schon einmal der Korruption beschuldigt, 2003 aber von Parlament und Finanzgerichtshof von allen Vorwürfen entlastet.

Im März dieses Jahres wurden wieder Vorwürfe laut. In einer Presseerklärung griff ein Abgeordneter der Hisbollah Siniora an, der als Ministerpräsident 11 Milliarden Dollar außerhalb des Budgets ausgegeben habe. Dokumente, die Ausgaben belegen sollten, verschwanden oder wurden gefälscht. Empfänger seien Personen gewesen, die heute noch in verantwortlicher Position tätig seien. Der Verbleib dieser 11 Milliarden Dollar wird nun erneut untersucht. Siniora ist nicht der Einzige, das finanzielle Gebaren von 17 weiteren Personen ist Gegenstand von Untersuchungen.

Das Land scheint im Protest vereint – aber das täuscht womöglich. Es geht nicht nur um die sozialen Interessen der Menschen im Libanon. Vielfältig sind die Einflüsse ausländischer Akteure. USA, Israel, Saudi-Arabien, Iran und andere – alle haben ihre eigenen Interessen und Pläne im Libanon.

Die Hisbollah unterstützt die Forderungen der Demonstranten und forderte sie auf, eine offizielle Struktur, ein „Zentralkomitee“ zu bilden. Sie war aber gegen einen Sturz der Regierung. Dies sei nicht das richtige Mittel, um Probleme zu lösen, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben. Insbesondere wendet sie sich gegen die Blockade von Straßen, Häfen und anderer Infrastruktur. Das daraus folgende Chaos bringe nur mehr Probleme und könne die Vorstufe zu einem Bürgerkrieg sein.

Immer wieder kam es in den letzten Jahren zu Protesten gegen die politischen Eliten im Libanon und das System personeller, ungleicher Abhängigkeitsbeziehungen in politischen Apparaten und im Staat. Dazu gehörten die Quoten, die Bindung von Posten an die Zugehörigkeit zu religiösen Konfessionen. Die Proteste dauern – in verringertem Maß – an. Der Präsident des Libanon, Michel Aoun, erwartet, dass die kommende Regierung aus Fachleuten besteht, denen keine Korruption vorgeworfen wird. Wird eine neue Regierung nicht ernsthafte Schritte zur Lösung der Probleme unternehmen, werden die Proteste wieder aufleben.

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"Schulden und Korruption", UZ vom 15. November 2019



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