Zwei Sekunden nach 8.16 Uhr explodierte am 6. August über der japanischen Großstadt Hiroshima die erste im Krieg eingesetzte Atombombe. Innerhalb einer Sekunde starben 80.000 Menschen. Sie verdampften. Ihre Schattenrisse – zum Teil die von Kindern, die auf dem Schulhof gespielt hatten – wurden in die Mauern gebrannt. Mehr blieb von ihnen nicht. 80 Prozent aller Häuser der Stadt waren zerstört. Diejenigen, die überlebt hatten, beneideten später die Toten. Drei Tage später warf die US-Air-Force auf Nagasaki die zweite Atombombe.
Der heute aus den Schulbüchern immer mehr verdrängte Dichter Bertolt Brecht beklagte 1952 in seinem Gedicht über „Das Gedächtnis der Menschheit“:
Die Beschreibungen,
die der New Yorker
von den Gräueln der Atombombe erhielt,
schreckten ihn anscheinend nur wenig.
Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen,
und doch zögert er,
die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben.
Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen.
Der Regen von gestern macht uns nicht nass sagen viele.
Gegen diese „Abgestumpftheit“ fordert er uns auf, „die Warnungen zu erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!“.
Die deutsche Bundesregierung will davon nichts wissen. Im Gegenteil, sie sucht nach Wegen, um selbst Atomwaffen zu erlangen. Die Regierung kungelt mit der Atommacht Frankreich um eine direkte Beteiligung an der „Force de frappe“, sie versucht, die „nukleare Teilhabe“ mit den USA zur eigenen Verfügungsmacht über die bereits in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen zu erweitern, sie liebäugelt in ihren Leitmedien offen mit dem Zerreißen des 2-plus-4-Vertrages, in dem sich Deutschland verpflichtet hat, niemals Atomwaffen zu besitzen. In dieses Mosaik fügen sich die jüngsten Bemühungen ein, eigene weitreichende Mittelstreckenraketen zu entwickeln, die – ohne dass es die Gegenseite bei ihrem Einsatz erkennen kann – konventionell oder atomar bestückt werden können.
Es liegt auf der Hand, dass Russland, gegen das diese Raketen schon bald gerichtet werden sollen, im Falle ihres Einsatzes nicht bis nach der Explosion wartet, um zu sehen, ob seine Einwohner das Schicksal der Kinder von Hiroshima erleiden, sondern atomar antworten würde. Folgerichtig wird den Deutschen – garniert mit „Infrastrukturmilliarden“ – der Bau von Bunkern und Lazaretten nahegebracht. Als würden die dorthin vor dem atomaren Blitz Geflüchteten nicht auch die Toten beneiden, die draußen einen schnellen Tod gestorben sind.
Als zur letzten Jahreswende wieder eine Welle mit der Forderung nach Kriegstüchtigkeit durch das Land schwappte, mahnte Hellmut Hoffmann, von 2009 bis 2013 Leiter der deutschen Abrüstungsmission in Genf, dass angesichts dieser Kriegsplanungen „die heute technisch jederzeit mögliche vollständige nukleare Zerstörung“ unseres Landes näherrücke. „Man kann nur inständig hoffen, dass Leute“, die davon träumen, „endlich an der Seite der Ukraine in den Krieg gegen Russland zu ziehen … nie in die Nähe der Macht kommen“. Dem ist wenig hinzuzufügen – außer, dass die, die sehenden Auges ein deutsches Hiroshima riskieren, seit dem Jahreswechsel wieder ein bisschen näher an den roten Knopf gekommen sind. Es ist höchste Zeit, die Mahnungen von Bertolt Brecht millionenfach zu wiederholen.