Im April 2025 leitete die palästinensische Organisation Hamas einen beispiellosen Rechtsstreit in Britannien ein, indem sie London aufforderte, ihre Einstufung als „verbotene Terrororganisation“ aufzuheben. 2021 hatte die damalige Innenministerin Priti Patel das seit 2001 bestehende Verbot des militärischen Flügels der Hamas (der Al-Kassam-Brigaden) auf die gesamte politische Partei ausgeweitet. Damit ist Britannien einer der 37 von 193 UN-Mitgliedstaaten, die die Hamas als Terrororganisation bezeichnen.
Mitte Juli hat die derzeitige Innenministerin Yvette Cooper (Labour Party) das Verbot bestätigt. Die Hamas hat nun 40 Tage Zeit, bei der sogenannten „Proscribed Organisations Appeal Commission” Berufung einzulegen. Eine solche Berufung kann nur erfolgreich werden, wenn die Kommission zu dem Schluss kommt, die Ablehnung sei aus rechtlichen Gründen fehlerhaft.
Zwei britische Strafverteidiger hatten sich Anfang des Jahres bereiterklärt, den Fall unentgeltlich zu übernehmen. Ihre umfangreiche Einreichung beim Innenministerium stellt zahlreiche Gründe für die Aufhebung des Verbots dar.
Die Hamas bestreitet nicht, dass ihre Handlungen unter die Definition von Terrorismus gemäß dem britischen „Terrorism Act 2000“ fallen. Sie klagen stattdessen das Gesetz selbst und die politischen Motivationen dahinter an: „Die Definition umfasst alle Gruppen und Organisationen weltweit, die Gewalt einsetzen, um politische Ziele zu erreichen. Damit wären auch die israelischen Streitkräfte, die ukrainische Armee und die britischen Streitkräfte betroffen. Natürlich sind nicht alle diese Gruppen verboten, da es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung des Außenministers handelt.“
Der „Terrorism Act 2000“ ist eine Fortsetzung der Gesetzgebung, die 1974 gegen die Irisch-Republikanische Armee (IRA) eingesetzt wurde. Damals wurde jedoch nur die IRA und nicht die irisch-republikanische Partei Sinn Féin, die als der „politische Arm“ der IRA bezeichnet wurde, verboten. London erkannte die Notwendigkeit, Kanäle für politische Verhandlungen offen zu halten. Mit dem Verbot der gesamten Hamas erschweren die westlichen Regierungen alle Verhandlungen mit den gewählten Vertretern der Palästinenser in Gaza.
Laut der Einreichung untergräbt das Verbot nicht nur die palästinensische Demokratie, sondern legitimiert auch Israels völkermörderisches Vorgehen in Gaza. Durch die Erweiterung der Einstufung auf den politischen Flügel der Hamas hat Israel nun freie Hand, jeden zu töten, der mit der Partei in Verbindung steht: Straßenreiniger oder Bibliothekare sind ebenso Zielscheiben wie bewaffnete Kämpfer.
Die Hamas argumentiert zudem, dass sie keine Bedrohung für Britannien darstelle. Die Organisation „hat nie militärische Operationen außerhalb des historischen Palästina durchgeführt” und beabsichtigt das auch nicht. Die Einstufung behindert aber die aktuellen „Bemühungen des palästinensischen Volkes, mit militärischen Mitteln dem Völkermord ein Ende zu setzen“. Somit verstößt das Verbot „gegen die Verpflichtungen Großbritanniens nach dem Völkerrecht”.
In einer der Zeugenaussagen wies Mousa Abu Marzouk, Leiter der internationalen Beziehungen der Hamas, den Vorwurf des Antisemitismus zurück: „Unser Kampf richtet sich nicht gegen das jüdische Volk aufgrund seiner Religion, sondern gegen die Zionisten, die Palästina besetzen. Dennoch sind es die Zionisten, die das Judentum und das jüdische Volk ständig mit ihrem eigenen Kolonialprojekt und ihrer illegalen Entität gleichsetzen“, schrieb er. „Wir erkennen und schätzen die Solidarität, die unserem Volk und unserem Kampf von vielen jüdischen Menschen auf der ganzen Welt, einschließlich innerhalb Israels, entgegengebracht wird“.
Unabhängig vom rechtlichen Ausgang ist der Fall für die öffentliche Debatte wichtig, wie einer der Anwälte, Franck Magennis, betont. Die Unterdrückung der Solidaritätsbewegung im Westen wird hauptsächlich durch die Diskreditierung des palästinensischen Widerstands legitimiert. Die Menschen „müssen frei über die Hamas und ihren Kampf für die Wiederherstellung des Selbstbestimmungsrechts des palästinensischen Volkes sprechen können“, heißt es in der Einreichung.