Über die diplomatischen Beziehungen Mexikos zu Israel

Unmoralisch und verfassungswidrig

Arturo Gallegos

Am 23. Juni 2025 hat die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum ihre routinemäßige Morgenkonferenz abgehalten. Zur Situation in Palästina befragt, erklärte sie, dass sie ihre persönliche Position bereits 2009 in einer Veröffentlichung in der Zeitung „La Jornada“ dargelegt habe. Darin erklärte sie, dass „die Rettung der Welt die Rettung von Gaza“ sei. Leider macht sie nun als Präsidentin deutlich, dass sie sich nach den verfassungsmäßigen Grundsätzen der mexikanischen Außenpolitik zu richten habe. Als ob das Volk sie als erste Präsidentin in der Geschichte des Landes gewählt hätte, um eine „konventionelle“ und „institutionelle“ Figur zu sein wie die vorherigen, und nicht die Sozialmitstreiterin, die sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Stellungnahme war.

Wenn sich eine rechte Regierung hinter kalten, „neutralen“ Rechtsgrundsätzen versteckt, ist das nichts Neues. Dass eine linke Regierung dasselbe tut, ist inakzeptabel. Das Schlimmste an dieser rein legalistischen Haltung ist nicht ihr moralischer Bankrott, sondern ihr Mangel an juristischer Technik, der sie im besten Fall fragwürdig und im schlimmsten Fall sogar verfassungswidrig macht.

Die sieben Grundsätze der mexikanischen Außenpolitik, auf die sich die Präsidentin so gerne bezieht, finden sich in Artikel 89, Nummer 10 der mexikanischen Verfassung. Sie lauten wie folgt:

  1. Selbstbestimmungsrecht der Völker
  2. Nichteinmischung
  3. friedliche Beilegung von Streitigkeiten
  4. Verbot der Androhung oder Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen
  5. rechtliche Gleichstellung der Staaten
  6. internationale Zusammenarbeit für Entwicklung
  7. Achtung, Schutz und Förderung der Menschenrechte und Kampf für internationalen Frieden und Sicherheit.

Wird auch nur einer dieser Grundsätze nicht systematisch von Israel verletzt? Sicherlich nicht.

Auslegung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Außenpolitik

Viele würden argumentieren, dass diese verfassungsrechtlichen Grundsätze ausschließlich für Mexiko gelten. Zu der Ansicht kommt nur, wer eine einfache wörtliche Auslegung vornimmt und sich strikt auf den Wortlaut des Gesetzes beschränkt. Eine konservative, längst überholte Methode.

In der Tat gibt es zeitgemäßere Methoden der Rechtsauslegung. Wenn wir zum Beispiel die systematische Auslegung anwenden, werden wir versuchen, die Kohärenz dieses Gesetzes mit der Gesamtheit der anderen Normen, zu denen es gehört, zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Wir versuchen, es dialektisch mit anderen Grundsätzen desselben Gegenstands innerhalb derselben Verfassung und mit dem Völkerrechtskorpus, zu dem Mexiko gehört, in Beziehung zu setzen. Wenn wir diese Grundsätze auch historisch interpretieren, müssen wir den zeitlichen Kontext betrachten, in dem sie verfasst wurden – den Willen des Volkes zu jener Zeit. Diese Methode geht Hand in Hand mit der genetischen Auslegung des Gesetzes. Die versucht, den Ursprung und die Intention hinter dem Gesetz zu entschlüsseln. Im Falle Mexikos, das Opfer imperialistischer Aggressionen sowohl aus Europa als auch den USA wurde, sind Ursprung und Absicht dieser Prinzipien klar.

Aus rechtlicher Sicht müssen wir also zu dem Schluss kommen, dass diese Grundsätze nicht ausschließlich „selbstanwendbar“ und schon gar nicht „neutral“ sind und sein können. Vielmehr handelt es sich eindeutig um antiimperialistische Grundsätze, die sich aus der historischen Erfahrung und dem Willen des mexikanischen Volkes ergeben. Als solche werden diese Prinzipien nach außen getragen. Mexiko ist nicht nur verpflichtet, eine passive Haltung einzunehmen, wie die Präsidentin behauptet, sondern diese Prinzipien zu verwirklichen, also gegen Verstöße dagegen vorzugehen. Das führt logischerweise zu einer analogen Auslegung des Gesetzes. Mit anderen Worten: In ähnlichen Fällen das gleiche Kriterium anzuwenden. Unrecht ist nicht nur dann Unrecht, wenn es gegen Mexikaner begangen wird, sondern eine Kategorie für sich. Es muss also unabhängig von der Nationalität des Opfers auf die gleiche Weise bekämpft werden.

Der moralische Bankrott der Pseudo-Neutralität

Was nützt es dem palästinensischen Volk, wenn die Präsidentin erklärt: „Wir verurteilen jede Form von Gewalt“? Oder wenn sie daran erinnert, dass „Mexiko die Zwei-Staaten-Lösung unterstützt“? Gar nichts. Wenn sie den ihren Amtsvorgänger Andrés Obrador wie einen Apostel zitiert, wenn sie erwähnt, dass der „immer gesagt hat, dass Mexiko den Frieden sucht“, verleiht das ihren Worten und ihrem Standpunkt weder mehr Gewicht noch mehr Substanz. Präsidentin Sheinbaum sollte sich darüber im Klaren sein, dass sie selbst als Nachfahrin litauischer kommunistischer Juden im mexikanischen Exil nicht nur die Legitimität, sondern auch die Pflicht hat, gegen die völkermörderische Politik Israels vorzugehen, die derjenigen ähnelt, vor der ihre Großeltern aus Europa flohen. Die Präsidentin würde zu einer weltweiten Referenz werden, wenn sie den Mut hätte, das zu tun. Aber es ist sicherlich bequemer, sich im Schatten bürgerlicher Legalität zu verstecken.

Das Enttäuschendste an der Außenpolitik dieser Regierung ist nicht ihre unhaltbare „Neutralität“ an sich. Es ist die Tatsache, dass sie sich an anderen Fronten als Verteidigerin der nationalen Souveränität präsentiert und aktiv wird. Während der Regierungen von Morena hat Mexiko die Beziehungen zu Spanien pausiert, weil Spanien einen Brief des ehemaligen Präsidenten Obrador an seinen König veröffentlichte und sich weigerte, sich für den Kolonialismus zu entschuldigen. Die diplomatischen Beziehungen zu Peru wurden abgebrochen, weil dort der linke Präsident Pedro Castillo unrechtmäßig seines Amtes enthoben wurde. Die diplomatischen Beziehungen zu Ecuador brach Mexiko ab, weil die Regierung von Daniel Noboa einen Einbruch in die mexikanische Botschaft in Quito anordnete, um den ehemaligen Präsidenten Jorge Glas zu verhaften. Der befand sich dort im Asyl. Zweifellos schwerwiegende Gründe – aber sind sie schlimmer als der Völkermord in Palästina? Sind Affronts nur dann wichtig, wenn es sich um eine persönliche Angelegenheit handelt, sei es gegen mexikanische Bürger oder politische Verbündete, wie bei der Rettung von Evo Morales in einem Flugzeug der mexikanischen Luftstreitkräfte?

Es gab eine Zeit, in der die mexikanische Außenpolitik diese Grundsätze richtig interpretierte. Das Land hat zu Recht die Beziehungen zu den mörderischen Regimes von Franco in Spanien, Somoza in Nicaragua und Pinochet in Chile abgebrochen. Mexiko brach die Beziehungen ab und schloss sich der Handelsblockade gegen Apartheid-Südafrika an, einem Terrorregime, das übrigens dem israelischen sehr ähnlich war. Paradoxerweise sagte Desmond Tutu, der südafrikanische Erzbischof und sozialer Aktivist gegen die Apartheid, damals: „Wer sich in Situationen der Ungerechtigkeit neutral verhält, hat sich auf die Seite des Unterdrückers gestellt“. Worte, die sich Präsidentin Sheinbaum zu Herzen nehmen sollte.

Viele in Mexiko, auch in der Linken, argumentieren, dass es damals Bedingungen gab, die es der mexikanischen Regierung erlaubten, selbstbewusster aufzutreten. Dass die Sowjetunion und der Block der blockfreien Länder beispielsweise die USA und/oder Europa daran hinderten, aggressiv auf die souveräne Außenpolitik Mexikos zu reagieren. Das ist zum Teil richtig. Zweifellos würde Sheinbaum Repressalien ausgesetzt sein, wenn sie selbstbewusster auftritt. Vielleicht gäbe es sogar Versuche, ihre Regierung zu destabilisieren. Es gibt jedoch keine politische Bewegung und kein politisches Projekt, das das Leben tausender palästinensischer Kinder wert wäre, die täglich durch die völkermordende Armee Israels sterben. Das Risiko von Konsequenzen ist hundertmal wert, eingegangen zu werden, um den Völkermord am palästinensischen Volk zu stoppen, der sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit vollzieht.

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