Hauptsache Allianz versichert: Münchner Konzern war schon immer eine sichere Bank für Kriegsverbrechen, Apartheid und Genozid

Versicherung für Völkermord

Sven George

Kapitalist zu sein ist keine moralische Frage. Unter ihnen gibt es jedoch besonders reaktionäre, besonders menschenverachtende Akteure. In unserer UZ-Serie „Das Kapital geht über Leichen“ setzen wir uns genau damit auseinander. Bereits Marx stellte fest, dass das „Kapital von Kopf bis Zeh, aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“ zur Welt kommt und nicht einmal den Galgen fürchtet, wenn denn der Profit stimmt. An Beispielen dafür mangelt es wirklich nicht.

Mit 180 Milliarden Euro Umsatz bei 10,5 Milliarden Euro Überschuss und circa 160.000 Angestellten im vergangenen Jahr ist die in München sitzende Allianz SE das weltgrößte Versicherungsunternehmen. In der 135-jährigen Firmengeschichte haben sich dabei einige Leichen im Keller angesammelt. Dubiose Geschäfte gehören bis heute zur Unternehmensstrategie der Allianz.

Finanzierung des Krieges gegen Palästina

Als marktradikaler Anhänger der neoliberalen Ideologie und führender Politiker der letzten 30 Jahre hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den israelischen Staat fleißig privatisiert. Mit einer ähnlichen Schuldenquote wie Deutschland war die Regierung auch für den Vernichtungskrieg in Gaza auf geborgtes Kapital angewiesen. In den Jahren 2022 bis 2024 hat Israel sein Militärbudget auf 8,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nahezu verdoppelt. Um das Defizit für diese massive Aufrüstung auszugleichen, wurden Staatsanleihen im Wert von fast 13 Milliarden Euro ausgegeben, an denen sich die Allianz über ihre Investment-Tochter PIMCO mit fast einer Milliarde Euro beteiligte. Dank solcher Investitionen konnte Israel sein Kreditrating stabil halten.

Auch auf der Westbank und in Ost-Jerusalem verdient die Allianz fleißig mit. Der Versicherungskonzern hat mindestens 7,3 Milliarden US-Dollar in Unternehmen investiert, die vom Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte als Profiteure der Besatzung gelistet werden. Als Weltmarktführer ist die Allianz außerdem eigenständig und mit ihrem Tochterunternehmen „Extremus“ im Geschäft mit Risikoversicherungen unterwegs. Die Allianz versichert mindestens 16 israelische Unternehmen, die direkt von der Apartheid und dem Genozid profitieren. Unter ihnen namhafte, wie der auch in Ulm produzierende israelische Rüstungskonzern Elbit Systems. Elbit Systems zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie offen damit werben, ihre Waffen in Gaza und der Westbank „im Feld getestet“ zu haben. Doch das Geschäft mit dem Krieg ist für die Allianz nicht alles.

Hunger als Geschäftsmodell

Wie Oxfam in seiner 2012er Studie „Mit Essen spielt man nicht!“ analysierte, ist die Allianz ein Big Player bei der Spekulation mit Nahrungsmitteln, sogenannten Agrarstoffen. Zur Erinnerung: Im Rahmen der Weltwirtschaftskrise von 2008 und den Folgejahren erfasste der Nahrungsmittel-Preisindex der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO Food Price Index) Preissteigerungen von bis zu 250 Prozent für Grundnahrungsmittel. Die in dieser Zeit eingeführte Zumischung sogenannten Bio-Diesels in Kraftstoff verstärkte das Problem. Mindestens 75 Millionen Menschen mussten zusätzlich hungern. Weltweit kam es zu Hungerrevolten, als Reaktion wurde in vielen ausgebeuteten Ländern des Globalen Südens zum Beispiel der Getreidepreis noch stärker subventioniert. Dies führte zu einer Destabilisierung dieser Staaten und war damit einer der Hintergründe des sogenannten „arabischen Frühlings“. Die Spekulation auf Nahrungsmittel und ihre Preise wurde als Hauptursache dieser Entwicklungen ausgemacht. Kräftig daran verdient hat auch der Münchener Versicherungsriese.

Allein im Jahr 2010 hatte die Allianz 7,5 Milliarden Euro in die Spekulation mit Agrarrohstoffen an Warenterminbörsen investiert. Das entspricht nach Schätzungen von Oxfam etwa einem Zehntel des globalen Anlagevolumens bei Agrarrohstoffen.

Restauration des Kapitalismus

Auch in der sozialistischen Industrienation Deutsche Demokratische Republik gab es Privatversicherungen wie Haftpflicht-, Lebens- oder Unfallversicherungen. Zuständig für diese war die Staatliche Versicherung der DDR. Noch 1990 erwirtschaftete diese mit ihren etwa 30 Millionen Verträgen einen nicht unerheblichen Überschuss.

Mit der Übernahme der Staatlichen Versicherung wurde die Allianz Marktführer im Gebiet der ehemaligen DDR. Genaue Zahlen zum Deal mit der Treuhand sind nicht bekannt. In anderen Fällen von DDR-Unternehmensübernahmen durch die Treuhand wurden jedoch oft niedrige oder gar keine direkten Kaufpreise gezahlt. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass die Allianz eher durch Investitionen oder die Übernahme von Verpflichtungen „zahlte“. Auch in nahezu alle weiteren ehemals sozialistische Länder expandierte die Allianz rasch.

Apartheid in Südafrika

Durch ihre Tochterunternehmen Allianz Insurance Limited und Allianz Global Corporate & Specialty South Africa Limited verdiente die Allianz auch kräftig am Unterdrückungsapparat des Apartheidregimes in Südafrika mit.

Zur Absicherung des rassistischen Regimes, das von 1948 bis 1994 in Südafrika herrschte, wurden viele Schlüsselbereiche der Wirtschaft des Landes, wie zum Beispiel der Energiesektor, in Form von Staatsunternehmen organisiert. Die Versicherung solcher Tätigkeiten und direkte wie indirekte Investitionen sind daher als Mittäterschaft zu betrachten. Informationen über die Entrechtung und Verfolgung der schwarzen Bevölkerung Südafrikas waren – zum Beispiel durch UN-Berichte – weltweit zugänglich. Die Haltung „Geschäft ist Geschäft“, wie sie die Allianz an den Tag legt, führt zu einer Beteiligung an Verbrechen wie Mord, Terror, Verfolgung und Entrechtung.

Dabei kommt das Prinzip der Secondary Liability, der sekundären Mitverantwortung, zum Tragen. Es wurde durch Begriffe wie Mittäterschaft und Beihilfe im Rahmen der Nürnberger Prozesse vom angloamerikanischen Zivilrecht in der internationalen Rechtsprechung etabliert. Demnach sind Personen, Organisationen und Unternehmen an Verbrechen mitverantwortlich, wenn sie von diesen wissen mussten. Dieses Rechtsprinzip war als „Accountability for benefiting“ auch eine Rechtsgrundlage der Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrikas. Auch wenn die Allianz nicht direkt angeklagt wurde, trägt sie durch ihre Geschäfte eine Mitverantwortung für die Verbrechen der Apartheid.

Wie es zur Firmenpolitik gehört, werden auch die Details über ihre Geschäfte in der Zeit des Apartheidregimes in Südafrika unter Verschluss gehalten und sind somit nicht wissenschaftlich überprüfbar. Öffentlich sind jedoch keine Dokumente bekannt, in denen die Allianz sich in irgendeiner Weise gegen die gewaltsame Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung stellt.

Im Bund mit NSDAP und SS

Über die eigene NS-Vergangenheit schweigt sich das Unternehmen ebenfalls aus. Schon 1931 sicherte die Allianz Hitler fünf Millionen Reichsmark (etwa 27,5 Millionen Euro) für den Falle eines Bürgerkrieges mit den Kommunisten zu. Nach weiteren persönlichen Kontakten zum Beispiel mit Hermann Göring wurden Allianz-Vorstandschef Kurt Schmitt und andere hochrangige Allianz-Leute 1933 NSDAP-Mitglieder. Die politische Treue wurde belohnt. Die Allianz versicherte bis 1945 auch Unterorganisationen der NSDAP und erschloss im Zuge der Ausbreitung des Deutschen Reiches neue Geschäftsfelder. Unter anderem weitete die Allianz ihren Kundenstamm mit der Enteignung und Übernahme jüdischer Versicherungshäuser aus.

Nachweislich wurden Angestellte mit der Begründung, sie seien Juden, gekündigt. Nach der Reichspogromnacht weigerte sich die Allianz erfolgreich, jüdischen Kunden Schäden zu ersetzen.

Schmitt wurde noch im Juni 1933 Reichswirtschaftsminister, im Oktober dann Ehrenmitglied und Brigadeführer der SS. Als Mitglied des „Freundeskreises Reichsführer SS“ hielt er engen Kontakt zu Heinrich Himmler.

Für die SS waren die Konzentrationslager auch Wirtschaftsbetriebe, die mit einer kalkulierten Vernichtung Andersdenkender, von Juden, Sinti und Roma und anderer einherging. So überrascht es nicht, dass die Allianz neben privaten Versicherungen für Hitler auch die SS-Rüstungsbetriebe, Baracken, Lager und Fuhrparks in den Konzentrations- und Vernichtungslagern versicherte. Wie der Spiegel 1997 recherchierte, gingen Vertreter der Allianz regelmäßig in Konzentrationslagern wie Auschwitz, Buchenwald, Dachau oder Ravensbrück ein und aus.

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"Versicherung für Völkermord", UZ vom 19. Dezember 2025



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