Die revolutionäre Verbindung der Geburtstagskinder 2020

Verwirklichung der Philosophie

Andreas Hüllinghorst, Alexander Schinagl und Hannes A. Fellner

Dialektik beginnt, wo Veränderung, Tätigkeit, Geschichte im Denken, der Gesellschaft und der Welt rational begriffen werden wollen. Ein solches Begreifen von Bewegungsgesetzen weist bereits in seiner eigenen Bewegung über sich selbst zur aktiven Anwendung dieser Gesetze hinaus, wodurch der russische Hegelianer Alexander I. Herzen (1812–1870) die Dialektik zu Recht als die „Algebra der Revolution“ bezeichnen konnte. Als solche ist die dialektische Philosophie das zentrale Denkzeug des Marxismus. Vier der hervorragendsten Vertreter der dialektischen Philosophie hatten in diesem Jahr runde Geburtstage: Heraklit (wohl 2500.), Hegel (250.), Engels (200.) und Lenin (150.).

Alles bewegt sich fort und nichts bleibt

Heraklit (um 520 v. u. Z. – um 460 v. u. Z.), der auf das Problem der inneren Gegensätzlichkeit beziehungsweise des Selbstwiderspruchs in ein und derselben Sache, in ein und demselben Prozess, in ein und derselben Struktur als Antrieb von Bewegung und Wandel hingewiesen hat, ist der erste Dialektiker der westlichen Philosophietradition (auch die indische und chinesische Philosophie haben seit ihrer Frühzeit dialektische Zweige). Heraklits metaphorische Sentenzen über Gesamtzusammenhang, Veränderung, Einheit und Kampf der Gegensätze weisen bereits auf den revolutionären Gehalt der Dialektik hin. Platon umschrieb es: Alles verändert sich ständig und nichts bleibt, wie es ist. Heraklit steht somit am Anfang einer Problemgeschichte und Denk­tradition, die Quelle und Bestandteil einer Philosophie der Praxis werden sollte.

Hegels Verwirklichung der Philosophie

Marxistisch Gebildete wissen, dass Gesellschaft eine natürliche Bewegungsform ist, deren grundlegender Antrieb die Produktivkräfte und die sich aus ihnen ergebenden Produktionsverhältnisse sind. Deren widersprüchliche Bewegung spiegelt das gesellschaftliche Bewusstsein wider. Das Bürgertum, im Speziellen das des 17. bis 19. Jahrhunderts, dachte nicht so. Sein Bestreben, sich aus der feudalen Knechtschaft zu befreien, lag in der Erhebung der Vernunft zur Wissenschaft. Das bedeutet die Etablierung dieses Weltdenkens mit verbindlichen Prinzipien für alle Denkenden, für die Gesellschaft insgesamt und sogar für die Natur. Mit diesem philosophisch-politischen Ansatz konnte zum einen die Theologie als die feudalistische Weltanschauung Zug um Zug kritisiert und zum anderen eine neue Welt nach besagten vernünftigen Prinzipien gestaltet werden. Auf diese Weise drang die Philosophie formend in die gesellschaftliche Wirklichkeit ein. Es ging Kant und Fichte, mit deren Transzendentalphilosophie die Klassische Deutsche Philosophie anhob, sowohl um die Richtigkeit des wissenschaftlichen Denkens als auch um die Verbreitung desselben. Lehrer und andere intellektuelle Multiplikatoren sollten ausgebildet werden, um das Wissen des Bürgertums zu vergrößern. Die Vernunft sollte als „Weisheitslehre“ (Kant) bzw. musste als „Vernunftkunst“ (Fichte) das Bewusstsein aller Bürger durchdringen, damit diese entsprechend rational, also antifeudalistisch, die damalige Gesellschaft umgestalten können. Der Haken dieser philosophischen Zugänge war, dass die Wahrheit ihres Denkens allein an der Richtigkeit ihres Denkens bewiesen werden konnte. Es fehlte ihm die Selbstgewissheit der Vernunft. Die konnte nur erlangt werden, wenn das Hauptproblem der Transzendentalphilosophie, die Spaltung von Erkenntnissubjekt und Welt, aufgelöst werden konnte.

Hegels Wahrheitskriterium

Dies ist der Denkansatz von Hegel. Nicht das aufs Individuum konzen­trierte „Ich denke“ ist die Grundlage der Vernunft und aller menschlichen Ratio, wohl aber die „absolute Idee“, die vom Ich, also von jedem Individuum, gedacht werden kann. Hegel hat diese häufig mit Gott gleichgesetzt; nur dass Gott statt als Person als rein logische Bewegung gedacht wurde. Diese Bewegungsform war so angelegt, dass das reine göttliche Denken sich, um sich selbst zu vergewissern, nach außen übersetzte und dabei die materielle Welt schuf. Nicht in sieben Tagen, in denen der Gott der Bibel die Welt schuf, sondern als die unendliche Entwicklung der Seinsformen von den einfachen mechanischen Bewegungsformen, aus denen physikalische, dann chemische, biologische und gesellschaftliche Bewegungsformen entstanden. Die wirkliche Geschichte des Universums, aber als „Gottes Gedanken“ verstanden. Schließlich kann in der Gesellschaft über diese Entäußerung der absoluten Idee die absolute Idee selbst erkannt und gedacht werden. Auf diese Weise ist also das vernünftige Denken und die von der absoluten Idee gesetzte Welt identisch. Die menschliche Vernunft ist das von der absoluten Idee gesetzte Mitdenken der absoluten Idee in seiner rein göttlichen Form und in seinen natürlichen und gesellschaftlichen Formen.

Darum konnte Hegel in seiner Rechtsphilosophie schreiben: „Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ Keine seiner Aussagen hat das reaktionäre und das fortschrittliche Hegel-Erbe genauer gekennzeichnet. Rudolf Haym hat 1857 die von da an reaktionäre Argumentationslinie gegen die revolutionäre Philosophie Hegels in typischer Verkehrung der politischen Verhältnisse entwickelt: Er stellte sich selbst als fortschrittlichen Demokraten dar, indem er Hegel mittels dessen zitierter Aussage zum reaktionären Hofphilosophen des damals restaurativen Preußen abstempelte. Haym selbst und auch jene, die seiner intriganten Interpretation folgten, haben nicht einmal versucht herauszubekommen, was Hegel mit seiner Feststellung meinte.

Engels‘ Hegel-Verteidigung und -Kritik

Engels hingegen verteidigte Hegel gegen den reaktionären Vorwurf. Denn was der große Denker unter schärfsten preußischen Zensurbedingungen schrieb, war das Gegenteil von dem, was der Reaktionär Haym in Hegels Satz hineininterpretierte. „Bei Hegel aber ist keineswegs alles, was besteht, ohne weiteres auch wirklich. Das Attribut der Wirklichkeit kommt bei ihm nur demjenigen zu, was zugleich notwendig ist (…).“ (MEW 21/266) Indem die Wirklichkeit durch die absolute Idee vernünftig ist, ist sie auch widersprüchlich. Der preußische Staat ist nur wirklich, solange es seinen im Widerspruch zu ihm stehenden Untertanen nicht einfällt, das Unterdrückungssystem des Königs beiseite zu räumen und damit unwirklich zu machen. „Und so wird im Lauf der Entwicklung alles früher Wirkliche unwirklich, verliert seine Notwendigkeit, sein Existenzrecht, seine Vernünftigkeit (…).“ (ebd.) Hegels vernünftiger Satz ist wegen der sich in der Form des Widerspruchs entwickelnden Wirklichkeit zutiefst revolutionär und eine Eulenspiegelei gegenüber dem preußischen Restaurationsstaat und seinen Zensoren.

Aber wie verwirklicht sich denn eine neue Wirklichkeit? Durch philosophisches Denken? Hier war Engels, mit Marx, entschlossener Kritiker des Hegelschen Idealismus. „Hegel war Idealist, d. h., ihm galten die Gedanken seines Kopfs nicht als die mehr oder weniger abstrakten Abbilder der wirklichen Dinge und Vorgänge, sondern umgekehrt galten ihm die Dinge und ihre Entwicklung nur als die verwirklichten Abbilder der irgendwo schon vor der Welt existierenden ‚Idee‘. Damit war alles auf den Kopf gestellt und der wirkliche Zusammenhang der Welt vollständig umgekehrt.“ (MEW 20/23) Das Wesen der Wirklichkeit lag nun nicht in einem Jenseits, sondern in der Wirklichkeit selbst. Das philosophische Denken wurde als dialektischer Materialismus wirklicher Teil der Welt, der die Wirklichkeit als Ganzes erfasst, also „Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs“ (Engels). Philosophie ist nun die allgemeine Orientierung darauf, wie die Welt nicht nur ist, sondern zugleich wie sie sein soll. Der dialektische Materialismus muss sich also in der Welt verwirklichen. Das geht nur, indem sich das Proletariat aufhebt, wie Marx in seiner Einleitung zur „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ schreibt. „Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen (…).“ (MEW 1/391) Proletariat und Philosophie müssen also ein revolutionäres Bündnis eingehen, um die Philosophie zu verwirklichen und das Proletariat aufzuheben. Marx und Engels haben hier mit dem Bund der Kommunisten, der Internationalen Arbeiterassoziation, der Ersten Internationale, den Anfang gemacht. Die erste erfolgreiche Revolution gab es aber erst gegen Ende des Ersten Weltkriegs – und zwar zunächst in Russland.

Lenin – angewandte Algebra der Revolution

Lenin ist eine Person von welthistorischer Bedeutung. Wenn Ernst Busch singt „Er rührte an den Schlaf der Welt“, dann ist dies nicht übertrieben, denn Lenin stand im Mittelpunkt der Oktoberrevolution, des folgeträchtigsten historischen Ereignisses seit der Französischen Revolution. Doch wie kam es, dass dieser Mann ein Politiker wurde, dessen Taten die Welt wachrüttelte? Nun, unter anderem beschäftigte er sich vor der Revolution mit Philosophie. Und, wie Hans Heinz Holz in „Zwei Revolutionen“ schreibt, nicht nur das, sondern schlimmer: Er las Hegel. Inmitten des Ersten Weltkrieges und allgegenwärtiger sozialer Gärung, angesichts dieses Epochen-Einschnitts, setzte sich Lenin hin und studierte Hegels „Wissenschaft der Logik“. Als guter Schüler von Marx und Engels waren ihm die Wurzeln des Marxismus im Werk von Hegel natürlich bekannt. Lenin suchte bei seiner Hegel-Lektüre nach Antworten. Woher kamen die Kriegsbegeisterung und das nationale Fieber? Warum verfiel ihnen auch die sich auf Marx berufende Sozialdemokratie, selbst in ihrer stärksten organisatorischen Gestalt, der SPD?

Diese erneute Aneignung der Dialektik führt ihn zu Hegel. Dessen (dialektische) Logik sei die Lehre von der Gesetzmäßigkeit der Entwicklung des gesamten konkreten Inhalts der Welt und ihrer Erkenntnis. Doch die Hegelsche Logik müsse, wie bei Marx und Engels bereits erarbeitet, vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Lenin erarbeitet hier, wie Holz argumentiert, nicht einen rationalen Kern in Hegels Werk heraus, während der Rest beiseite geschmissen werden kann, sondern seine Argumentationsstruktur, welche er materialistisch liest. Diese Aneignung als Bruch ist Dialektik als Theoriebildung in und als Tätigkeit. Dieses Auf-die-Füße-Stellen Hegels durch Lenin bedeutet daher, nach Holz:

a) der idealistische Charakter des philosophischen Systems, das die Totalität als Begriff konstruiert, bleibt erhalten;
b) der Idealismus der Begriffsdialektik wird als Schein entlarvt, als Widerspiegelung der ewig sich entwickelnden Materie;
c) der Schein wird ideologietheoretisch aufgelöst;
d) Philosophie wird so auf Nicht-Philosophie, also auf Wissenschaft gegründet, ohne Philosophie selbst zu eliminieren;
e) Philosophie als Konstruktion von Totalität im Begriff wird als Spiegelbild der gesamtgesellschaftlichen Praxis dechiffriert;
f) das geschlossene (und endgültige) System der Totalität als absoluter Idee wird überführt in ein offenes System der unendlichen Konstruktion von Totalität;

Auf dieser philosophischen Basis entwickelt Lenin nun seine genuin eigene politische Theorie. Paradigmatisch stellt sich die leninistische Konzeption in der Analyse des Verhältnisses von Partei und Proletariat dar – zwischen Avantgarde und Masse. Wie kann die kommunistische Partei verhindern, ihre Verankerung in der Arbeiterklasse zu verlieren, ohne zugleich ihre erzieherischen Pflichten aufzugeben? Das war keine leichte Aufgabe zu einem Zeitpunkt, als viele Parteien der II. Internationale ins Lager des Imperialismus übergelaufen waren und der beständigen Gefahr der Entfremdung und des Unverständnisses breiter Massen für die politischen und philosophischen Positionen der Partei. Lenin entwickelt für beide Abfallbewegungen Begriffe und damit ein in Spannung befindliches Kippmodell der Partei. Es greift Begriffen vor wie dem Alltagsverstand bei Gramsci und der Massenlinie bei Mao Zedong.

Als Kommunistinnen und Kommunisten müssen wir in unserer politischen Praxis mit verschiedenen disparaten Elementen von Alltagsbewusstsein arbeiten, das wir in einer einheitlichen Weltanschauung aufheben müssen, wollen wir große Massen in politischer Aktion zusammenschweißen. Diese Weltanschauung kann nicht beliebig sein, sondern muss sich in der Praxis bewähren. Das heißt, sie muss diejenigen Potentiale der bestehenden Verhältnisse aufschließen und materialisieren, welche die Ziele der Bewegung erreichbar machen. Es besteht also ein doppelter Anspruch: Die Dynamik gesellschaftlicher Entwicklung zu erfassen, ihre Beeinflussung und die Mittel hierfür theoretisch zu erarbeiten. Und die vergangenen mehr oder weniger spontanen Versuche der verschiedenen Klassen und ihrer Intellektuellen aufzuarbeiten und aufzuheben.

Dabei läuft die Partei beständig Gefahr, entweder durch bloßes Nach-dem-Mund-Reden ihre Funktion als Avantgarde und damit ihre Existenzberechtigung zu verlieren. Mit Lenin kann man dies „Nachtrabpolitik“ nennen:

„Bei ihnen herrscht Konfusion über die Wechselwirkung zwischen den ‚materiellen‘ (spontanen) und den ideologischen (bewussten, ‚nach einem Plan‘ wirkenden) Elementen der Bewegung. Sie verstehen nicht, dass der ‚Ideologe‘ überhaupt nur dann die Bezeichnung Ideologe verdient, wenn er der spontanen Bewegung vorangeht, ihr den Weg zeigt, wenn er es versteht, früher als die anderen alle theoretischen, politischen, taktischen und organisatorischen Fragen zu lösen, auf die die ‚materiellen Elemente‘ der Bewegung spontan stoßen. Um tatsächlich ‚die materiellen Elemente der Bewegung zu berücksichtigen‘, muss man sich zu ihnen kritisch verhalten, muss man verstehen, auf Gefahren und Mängel der spontanen Bewegung hinzuweisen, muss man verstehen, die Spontaneität auf das Niveau von Bewusstheit zu heben.“ (LW 5, S. 322)

Die zweite Gefahr ist, durch mangelnde Übersetzungsleistung und Nicht-Berücksichtigung der Voraussetzungen der Klasse sich von dieser zu isolieren. Mit Lenin kann man das „Abenteurertum“ nennen.

„Die Sozialdemokratie wird stets vor Abenteurertum warnen und unerbittlich Illusionen entlarven, die zwangsläufig mit völliger Enttäuschung enden. Wir dürfen nicht vergessen, dass eine revolutionäre Partei nur dann ihren Namen verdient, wenn sie in der Tat die Bewegung der revolutionären Klasse leitet. Wir dürfen nicht vergessen, dass jede Volksbewegung unendlich mannigfaltige Formen annimmt, dass sie ständig neue Formen herausbildet, alte abstreift, Modifikationen oder neue Kombinationen alter und neuer Formen hervorbringt. Und es ist unsere Pflicht, an diesem Prozess der Herausarbeitung von Methoden und Mitteln des Kampfes aktiv teilzunehmen. Als sich die Studentenbewegung zuspitzte, riefen wir die Arbeiter auf, den Studenten zu Hilfe zu kommen („Iskra“ Nr. 2), ohne die Formen der Demonstrationen vorauszusagen, ohne als ihr Ergebnis eine sofortige Verlagerung der Kraft oder eine Erleuchtung des Geistes oder eine besondere Unauffindbarkeit zu versprechen. Als die Demonstrationen sich eingebürgert hatten, riefen wir zu ihrer Organisierung, zur Bewaffnung der Massen auf, stellten wir die Aufgabe, den Volksaufstand vorzubereiten. Ohne auch nur im geringsten Gewalt und Terror grundsätzlich abzulehnen, forderten wir, an der Vorbereitung solcher Formen der Gewaltanwendung zu arbeiten, die auf die unmittelbare Beteiligung der Massen berechnet sein und diese Beteiligung gewährleisten sollten.“ (LW 6, S. 186 f.)

Wir sehen hier exemplarisch, warum sich Lenin mit Philosophie im Allgemeinen und Hegel im Besonderen beschäftigt hat. Frei nach Holz: Der organisierende Eingriff in die Wirklichkeit, das ist die Politik, muss, soll er erfolgreich sein, in Rechnung stellen, dass eine Theorie der Freiheit (Selbstbestimmung), sich im Einklang mit den naturgesetzlichen und gesellschaftlichen Bedingungen des konkreten Handelns befinden muss. Die dialektische Verfasstheit der Wirklichkeit muss auch von der politischen Theorie antizipiert werden. In Lenins Parteitheorie findet sich dies wieder.

Die Autoren sind Mitglieder des Vorstandskollektivs der Gesellschaft für dialektische Philosophie:
dialektische-philosophie.org


Über dialektisches Denken

Auf seiner Internetseite www.dialektische-philosophie.org beschreibt der Verein sein Denken und seine Zwecke:
Dialektik ist ein Denken von Bewegung, das selbst in Bewegung ist. Sie ist also eine Methode, die sich fortwährend entwickelnde Welt in fortwährender Entwicklung zu denken. Ihre Begriffe sind daher in sich selbst beweglich und zusammen entwerfen sie ein bewegliches Modell der gegenwärtigen Welt.

Die Beweglichkeit dialektischen Denkens drückt sich ebenso in dessen Geschichte aus. (…) Karl Marx und Friedrich Engels ändern den Charakter dialektischen Denkens grundlegend. Marx‘ Notiz, dass die Philosophen die Welt bisher nur interpretiert haben, es aber auf deren Veränderung ankomme, macht das dialektische Denken zu einem Moment des Handelns. Wir Menschen sind in der Lage, mit der dialektischen Philosophie einen Generalplan zur zweckmäßigen Veränderung gesellschaftlicher Praxis zu entwerfen.

Unter den marxistischen Philosophen nach Marx und Engels, nach Lenin, Gramsci, Lukács, Bloch und vielen anderen ist einer besonders hervorzuheben: Hans Heinz Holz. Mit dem 2011 Verstorbenen ist der Gedanke des Weltentwurfs in der marxistischen Theorie wieder stark geworden. Die Gesellschaft für dialektische Philosophie ist seinem Werk maßgeblich verpflichtet.

Die Gesellschaft für dialektische Philosophie ist dennoch keine Hans-Heinz-Holz-Gesellschaft. Ihr Gegenstand ist die gesamte dialektische Philosophie in allen Kulturkreisen. Ihre Aufgabe ist es, wissenschaftliches Interesse für dialektisches Denken zu wecken sowie dessen Geschichte in all ihren Facetten zu erforschen und es weiterzuentwickeln.

So ist Dialektik nicht allein für Philosophinnen und Philosophen interessant. Gerade in den Natur- und Gesellschaftswissenschaften tauchen Forschungsprobleme auf, die mit dialektischem Denken angegangen werden können. Das Verhältnis von Erfahrungswissenschaften, Mathematik und Philosophie steht im Fokus des dialektischen Denkens.

Die Organisation der Dialektiker sieht sich mitverantwortlich für die Wahrung und Erneuerung der gefährdeten menschlichen Existenzgrundlagen, für die Verhinderung von Krieg und für die Aufhebung jeglicher Unterdrückung von Menschen durch Menschen. Ihr philosophischer Zweck ist es, diese Ziele zu erreichen.

Die Gesellschaft für dialektische Philosophie bietet allen Menschen mit ernsthaftem Interesse am dialektischen Denken an, mitzumachen. Derzeit gibt es in Wien und Berlin zwei Grundorganisationen, die sich regelmäßig zur Diskussion treffen; andere sind in Planung.

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"Verwirklichung der Philosophie", UZ vom 24. Dezember 2020



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