Teilnehmerrekord auf der 6. Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung in Berlin

Viel Praxis und ein bisschen Frieden

Die Bitte von Olaf Klenke klingt freundlich, aber bestimmt: „Ihr lasst jetzt bitte kein einziges Handy laufen.“ Klenke ist Landesbezirkssekretär der NGG Ost. Er moderiert das Abschlussplenum der 6. Konferenz gewerkschaftliche Erneuerung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, gemeinhin „Streikkonferenz“ genannt. Das Film- und Fotografierverbot ist nötig, um besondere Gäste zu schützen: Eine Delegation der IG Metall Tesla Workers besucht die größte gewerkschaftliche Konferenz in Deutschland seit vielen Jahren. Sie kämpfen für einen Tarifvertrag und einen Betriebsrat, der die Inte­ressen der Beschäftigten vertritt statt die von Elon Musk. Dabei sind sie massiver Repression ausgesetzt. Tesla-Beschäftigte benötigen 21 Mal so oft gewerkschaftlichen Rechtsschutz wie der Durchschnitt der IG-Metaller. „Jede Ungerechtigkeit, die uns widerfährt, stärkt unseren Kampfgeist“, sagt eine Kollegin auf der Bühne des Audimax der TU Berlin. „Als ich in die Gewerkschaft eingetreten bin, hat sich meine Angst in Zuversicht verwandelt.“ Ein Satz, der am Anfang wie am Ende dieser Konferenz stehen könnte.

Seit 2013 organisiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) Streikkonferenzen, zusammen mit regionalen Gewerkschaftsgliederungen. Hier kommen linke, progressive Gewerkschafter zusammen, um sich zu vernetzen und über Strategien zu debattieren. Der Bedarf dafür ist offenkundig groß, die Streikkonferenzen wachsen beständig. Die RLS spricht von mehr als 3.000 Teilnehmern, fast doppelt so viele wie bei der 5. Streikkonferenz 2023 in Bochum, und ein neuer Rekord.

Das Publikum wirkte jünger und migrantischer als in der Vergangenheit. Der Teilnehmerrekord spiegelt die gewachsenen Herausforderungen wider, mit denen Gewerkschaften zu kämpfen haben: Kriegskredite in Höhe von 1 Billion Euro, für die die Beschäftigten blechen werden. Eine Konversionsdebatte, die den Beschäftigten als Ausweg aus der Deindustrialisierung verkauft wird und „im krassen Gegensatz zu denen früher“ (Heinz Bierbaum, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung) von den Füßen auf den Kopf gestellt wird. Die Gewerkschaften sind mit massiven Angriffen auf demokratische und soziale Rechte konfrontiert, mit einem fortschreitenden Klimawandel, gegen den nichts unternommen wird – und das alles trifft auf eine bröckelnde Infrastruktur sowie eine kaputtgesparte öffentliche Daseinsvorsorge.

Wie desolat die Verhältnisse in der BRD geworden sind, konnten die Konferenzteilnehmer nicht übersehen. Keine Arbeitsgruppe, kein Seminar begann ohne sarkastische Witze über die heruntergekommenen Räumlichkeiten der TU Berlin. Im Mathematikgebäude, groß genug, um 2.700 Studenten zeitgleich zu unterrichten, funktionierte nur ein Aufzug.

Wo Schatten ist, ist auch Licht. Im Zentrum der Streikkonferenzen stehen aktuelle Arbeitskämpfe mit Signalwirkung über die betroffenen Branchen hinaus. Unter tosendem Applaus zogen etwa 50 Beschäftigte der Charité Facility Management (CFM) ins Audimax ein. Sie streiken seit März dafür, nach TVöD bezahlt zu werden. „Wir werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt“, berichtet eine Kollegin. Sie streikt zum ersten Mal in ihrem Leben. Ihr Sohn habe sie dazu motiviert, mit Fragen wie der, warum sie sich so unfair behandeln lasse. „Wir bringen unseren Kindern bei, dass lügen nicht erlaubt ist und Konsequenzen hat“, sagt sie. Sie und ihre Kolleginnen würden von der CFM-Geschäftsführung und von Politikern belogen. Sie streike, um ihrem Sohn zu beweisen, dass es sich lohne, morgens zur Arbeit aufzustehen und ein guter Mensch zu sein. Der herzliche Empfang, die Solidarität der Konferenzteilnehmer bewegt sie und ihre Kolleginnen sichtlich.

Erfahrungsberichte aus der Gewerkschaftsarbeit nehmen in vielen der über 120 Plenen, Arbeitsgruppen, Themen- und Praxisseminare, Branchentreffen und Foren der Konferenz viel Raum ein. Der Austausch darüber ist lehrreich und inspiriert dazu, neue Aktionsformen auszuprobieren. Strategische Debatten hingegen kommen zu kurz. Mit Brandon Mancilla, Mitglied des Vorstands der US-amerikanischen Gewerkschaft United Auto Workers (UAW), durfte ein hoher Gewerkschaftsfunktionär darlegen, wie seine Gewerkschaft sich ihrer korrupten Führung entledigte. Wie man hierzulande Gewerkschaftsführungen austauschen könnte, die den Kriegskurs der Bundesregierung kritiklos mittragen und Streiks eher behindern statt unterstützen, kam im offiziellen Konferenzprogramm kaum zur Sprache. Und das, obwohl sich die meisten Konferenzteilnehmer einig sein dürften ob der Notwendigkeit, die Gewerkschaften aus dem Integrationskurs der Herrschenden zu lösen.

Viele Teilnehmer kritisierten gegenüber UZ, dass der Friedensfrage deutlich zu wenig Raum im Programm gegeben worden war. Ein Treffen der Initiative Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg fand am Samstag vor dem Beginn des Konferenzprogramms statt. An mangelndem Inte­resse lag das nicht: Die Runde zur „Zeitenwende“, Aufrüstung und Kriegsgefahr war so gut besucht, dass viele Inte­ressenten aus Platzmangel draußen bleiben mussten.

Viele Redner in den Plenen nutzten Buzzwords wie „Militarisierung“, „Rüstung“ und „Konversion“ und bekamen jedes Mal viel Applaus dafür. Die entscheidende Frage, wer warum zum Krieg rüstet, blieb meist ausgeklammert. Rainer Perschewski von der EVG benannte das Problem: Wer glaube, der Hochrüstungskurs der herrschenden Politik gehe nicht zu Lasten der Beschäftigten aller Betriebe, habe die Grundzüge des kapitalistischen Systems nicht verstanden. Jetzt gehe es darum, „die Stimmung in diesem Land in unserem Sinne zu drehen“ und die Meinungsführerschaft zu gewinnen.

Ein eindrückliches Zeichen für den Frieden setzten mehr als 30 Mitglieder verschiedener Gewerkschaftsjugenden zum Ende der dreitägigen Konferenz. Sie versammelten sich hinter einem Transparent „Zukunft statt Aufrüstung“ und begründeten in zwei kämpferischen Redebeiträgen, weshalb sie die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht ablehnen. „Wir sollen Waffen tragen, bevor wir unsere Regierung wählen dürfen“, beklagte ein junger IG-Metaller. Wer am lautesten für Krieg trommele, ziehe nicht selbst in einen. „Wehrdienst ist eine Klassenfrage.“ Und dann schallte es doch laut durch das Audimax: „Wir wollen Ausbildungsplätze statt Kriegseinsätze!“

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"Viel Praxis und ein bisschen Frieden", UZ vom 9. Mai 2025



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