Waffenlieferungen, Aufmarschpläne und Kriegslogistik: Brüche des Zwei-plus-Vier-Vertrags sind an der Tagesordnung

Völkerrecht war gestern

In einem Bündnisfall an der NATO-Ostflanke wird Deutschland zur zentralen europäischen Drehscheibe für die Verlegung von Truppen und Material“, erklärte der Kommandeur des Bundeswehr-Landeskommandos, Kurt Leonards, aus Anlass des am 27. September abgeschlossenen Manövers „Red Storm Bravo“ in Hamburg.

Die Dimensionen des Aufmarschs gen Osten sind gigantisch. Nach der „All-in“-Berechnung der NATO (NATO New Force Model) sollen bei einem Einsatz an der Ostflanke im Laufe von sechs Monaten bis zu 800.000 Soldaten und bis zu 200.000 Militärfahrzeuge durch Deutschland transportiert werden. Auch wenn diese Zahlen propagandistisch überhöht scheinen, sind sie Grundlage der NATO-Planung und Ausgangspunkt deutscher Berechnungen. „Für unsere Zusagen gegenüber der NATO und die Umsetzung des OPLAN Deutschland benötigen wir insgesamt etwa 460.000 Soldatinnen und Soldaten“, prognostiziert Generalinspekteur Carsten Breuer.

Die Planungen und erst recht die Umsetzung des „Operationsplan Deutschland“ (OPLAN) verletzen das Völkerrecht. Nicht nur, weil der angestrebte Aufwuchs der Truppe gegen Artikel 3 des „Zwei-plus-Vier-Vertrags“ vom 12. September 1990 verstößt (Höchstgrenze: 370.000 Soldaten). Das gesamte Verlegungsszenario bricht Artikel 5, Absatz 3 des Vertrages („Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt“).

Überall entlang der Straßen- und Schienenstränge in Richtung Osten lässt sich die Vertragsverletzung beobachten. Die bundeseigene DB Cargo transportiert seit Beginn des Ukraine-Kriegs Panzer und schwere Waffensysteme deutscher Waffenschmieden in Abstimmung mit ihrer Tochtergesellschaft DB Cargo Polska zum NATO-Waffenumschlagplatz Rszeszow in Südostpolen. Die Güterzüge durchfahren den Osten Deutschlands und queren bei Görlitz-Horka/Wegliniec oder Frankfurt/Oder-Kunice die Grenze. DB Cargo-Chefin Sigrid Nikutta pries auf der „Münchner Sicherheitskonferenz“ im Februar dieses Jahres ihr olivgrünes Geschäftsmodell: „Mit Logistik gewinnt man keine Kriege, aber ohne Logistik verliert man Kriege.“ Nur wenige Wochen vergingen und es standen 343 neue DB-Flachwagen zum Panzertransport in den Osten bereit.

Die Verlegung von Truppen und Material an die Ostfront braucht angesichts der benötigten Ladekapazitäten tausende Transportfahrzeuge für die Straße. Die Bundeswehr nutzt für Transporte das von Rheinmetall MAN Military Vehicle (RMMV) produzierte „UTF“ (ungeschütztes Transportfahrzeug). Bis Juli 2024 wurden 3.271 Einheiten ausgeliefert. Der Folgeauftrag des Beschaffungsamts beläuft sich auf 6.500 weitere Einheiten (3,5 Milliarden Euro). 1.400 dieser Fahrzeuge wurden vor kurzem der Bundeswehrlogistik übergeben.

Vermessungstrupps der NATO sind zurzeit an Autobahnen und Landstraßen in den östlichen Bundesländern unterwegs, um die an der Marschroute geplanten Rast- und Betankungsräume („Convoy Support Center“) zu kartieren. Wenn‘s um die Aufmarschgeschwindigkeit geht, muss sogar die Bürokratie weichen. Militärtransporte auf der Straße werden in Zukunft nicht mehr von Einzelerlaubnissen abhängen, durch eine Pauschalgenehmigung können Transporte zu jeder Tages- und Nachtzeit auf die Straße gebracht werden, der Zivilverkehr hat zurückzutreten. In Hessen ist dies als erstem Bundesland seit dem 21. August beschlossene Sache.

Der Autobahnbetreiber des Bundes (Autobahn GmbH) hat sich vertraglich verpflichtet, infrastrukturell für das reibungslose Rollen der Militärkonvois in Richtung Osten Sorge zu tragen. Ein gigantischer Aufmarsch benötigt gigantische Mengen von Treibstoff. Die notwendigen Betriebsstoffe kommen durch die NATO-Pipeline, die von Hamburg über das niedersächsische Bramsche (Verteilerknoten für Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen) Richtung Rostock und von dort zur polnischen Grenze und vom bayerischen Ingolstadt an die tschechische Grenze herangeführt wird (Kosten: circa 21 Milliarden Euro). Durch das in Kürze anstehende „Infrastrukturbeschleunigungsgesetz“ werden Genehmigungsverfahren vereinfacht, Enteignungen erlaubt und dem vermuteten örtlichen Widerstand gegen die Trasse die rechtlichen Möglichkeiten genommen.

Wie schon bei der Errichtung des neuen taktischen Ostsee-Hauptquartiers der NATO in Rostock schert sich die auf Kriegskurs befindliche Bundesregierung keinen Deut um die von der Bundesrepublik einst mit großem Pathos unterschriebenen Verträge. Das hat Tradition: Die NATO-Bombardements 1999 gegen Jugoslawien verstießen gegen die UN-Charta, Artikel 26 Grundgesetz (Verbot des Angriffskrieges) und Artikel 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrags: Das „vereinte Deutschland (wird) keine seiner Waffen jemals einsetzen, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen“. Völkerrecht war gestern, zur Kriegsvorbereitung reicht der NATO-Vertrag.

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"Völkerrecht war gestern", UZ vom 3. Oktober 2025



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