Sarah ruft mich an. Wir haben das Referendariat gemeinsam überlebt. Jetzt arbeiten wir beide als Lehrkräfte an privaten Sonderschulen, die inzwischen auf den absurden Titel „Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum“ hören. Das klingt besser und ist irgendwie weniger diskriminierend. In meiner letzten Klasse an einem SBBZ für Kinder mit Lernschwierigkeiten konnte kein Kind diesen Titel korrekt wiedergeben, geschweige denn einigermaßen lautgetreu schreiben. Zum Glück hat es aber mit der Diskriminierung nun ein Ende.
Dass wir an einer Privatschule arbeiten, liegt daran, dass es keine staatlichen Schulen für unseren Förderschwerpunkt gibt. Jedenfalls jammert Sarah. Sie hat seit den Sommerferien noch immer kein Gehalt bekommen. Anscheinend sind noch nicht alle Fragen ausgeräumt. Zum Beispiel, ob sie das Geld auch tatsächlich braucht. Vielleicht möchte Sarah diese durchaus anstrengende Arbeit ja lieber ehrenamtlich ausführen. Man kann nie wissen.
Ich höre heraus, dass sie lieber für Geld arbeiten will. Das Schuljahr ist inzwischen sechs Wochen alt. Die letzte Gehaltszahlung hatte Sarah vier Wochen vor den Sommerferien. Pünktlich zu den Sommerferien wurde sie – wie alle Referendarinnen und Referendare in Baden-Württemberg – entlassen. Das ist ganz normal, denn mit dem Schuljahr endet offiziell die Ausbildung zur Lehrkraft. Vorbereitung auf das neue Schuljahr? Ehrensache. Also den Sommer in der sogenannten sozialen Hängematte verbracht. Schön da, aber mangels finanzieller Ausstattung eher spartanisch.
Von meinen ehemaligen Kommilitonen, die nun fertige Sonderpädagogen sind, ist kaum einer ohne Job geblieben. Für die Zeit der Schulferien mussten sie allerdings erst einmal Leistungen beim Jobcenter beantragen. Die allermeisten warten heute noch auf eine Antwort. Vielleicht reicht’s ja noch, um Weihnachtsgeschenke kaufen zu können.
Ich habe mich nach langem Ringen ebenfalls für die Antragstellung entschieden. Das Jobcenter hat arge Zweifel an meiner Bedürftigkeit. Ich reiche eine Schulbescheinigung für meine zehnjährige Tochter nach und kläre das Jobcenter über die Schulpflicht auf. Das Jobcenter verlangt eine Stellungnahme zu meiner Kündigung. Ich kläre das Jobcenter darüber auf, dass in unserem Bundesland alle Referendare zu den Sommerferien entlassen werden und empfehle die Lektüre der lokalen Tagespresse. Ich reiche den Kilometerstand unseres altersschwachen Pkw nach und beschließe, Alternativen zu prüfen. Online lasse ich unseren Anspruch auf den Kindergeldzuschlag berechnen. Das Ergebnis ist einigermaßen überraschend. Unsere Bedürftigkeit ist sehr hoch. Sie ist so hoch, dass der Kinderzuschlag eh nicht ausreichen würde. Konsequenterweise erhalte ich deshalb gar nichts.
Natürlich habe ich versucht, Sarah zu trösten. Ich erkläre ihr, dass die Besoldung einfach stringent sein muss. Schließlich haben wir zu Beginn des Referendariats auch wochenlang auf unser Geld gewartet. Das Landesamt für Besoldung hatte zu viele Fragen. Und zu wenig Personal. Deshalb ist es für angehende Referendarinnen nicht ungewöhnlich, mehrere Wochen auf das erste Gehalt zu warten. So auch bei uns. Alles in allem bleibt man sich also treu und pleite.
Anna Becker arbeitet als Inklusionslehrerin. Laut Stellenbeschreibung heißt das, dass sie inklusiven Unterricht plant und hält, individuelle Förderpläne entwickelt, Materialien vorbereitet und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf direkt im Unterricht unterstützt, um ihnen Teilhabe zu ermöglichen. Wie die Realität aussieht, darüber schreibt sie in unregelmäßigen Abständen in der UZ. Bisher sind von ihr erschienen: „Alles in 2,5 Stunden“ (UZ vom 6. November) und „Nebenaufsicht und Netflix (UZ vom 28. November).








