... gegen den Betrieb eines räuberischen Abrechnungssystems? „Mr. Bates gegen die Post“ folgt den Spuren eines Skandals

Was ist schon ein Postraub …

Stell dir vor, du musst bei der Arbeit mit einem bestimmten Computerprogramm arbeiten und immer wieder liefert es falsche Ergebnisse. Wenn du bei der Hotline anrufst, wird dir immer wieder gesagt, dass das so nur bei dir vorkommt. Was sich anhört wie eine nervige Bürogeschichte inklusive noch nervigerer IT-Abteilung, ist in Wahrheit die Geschichte des Royal-Mail-Horizon-Skandals, des größten Skandals der britischen Post – geprägt von einer kriminellen Energie, die Ronnie Biggs, den legendären britischen Posträuber von 1963, wie ein Unschuldslamm aussehen lässt.

Die Geschichte ist so kurz wie ekelhaft, 1999 führte die britische Post die Abrechnungssoftware „Horizon“ ein, fälschlicherweise gibt diese Software immer öfter an, dass es Differenzen in der Abrechnung gäbe. Die Schlussfolgerung der Royal Mail: Die Unterpostmeister, also die Betreiber kleiner Postfilialen, unterschlagen Geld. Über 900 von ihnen wurden entlassen und aufgefordert, die teils horrenden Summen zu begleichen. Nicht nur wirtschaftliche Existenzen wurden vernichtet, einige der Beschuldigten landeten vor Gericht und sogar im Gefängnis. Keiner von ihnen hatte sich etwas zuschulden kommen lassen.

Einer von diesen 900 Unterpostmeistern beschließt, sich zu wehren. Auch Alan Bates soll in seiner Postfiliale Geld unterschlagen haben, Beweise gibt es keine, außer den Abrechnungen von „Horizon“. Die vierteilige BBC-Serie „Mr. Bates gegen die Post“ aus dem Jahr 2024 folgt nun Alan Bates bei seinem Kampf um Gerechtigkeit. Und entlarvt dabei die absolute Unmenschlichkeit, mit der die britische Post mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgeht.

Alan Bates weiß, dass er keinen Fehler gemacht hat, denn er hat – anders als viele seiner späteren Mitstreiter – nicht nur die fehlerhaften Horizon-Abrechnungen aufgehoben, sondern auch seine eigenen Kassenbelege. Und anders als die anderen hat er nie auf Anweisungen der Hotline die Belege von „Horizon“ manuell geändert und das dann quittiert. Denn die Post ist streng. In Knebelverträgen, die die Unterpostmeister mit der Einführung von „Horizon“ unterschreiben mussten, ist festgelegt, dass sie selbst – und sie allein – für Fehlbeträge aufkommen müssen.

Was Bates nicht glauben kann, ist, dass die Fehler von „Horizon“ nur bei ihm vorkommen sollen, und so macht er sich auf die Suche nach anderen, um sich gemeinsam mit ihnen zu wehren.

Die Serie aus der Feder von Gwyneth Hughes, inszeniert von James Strong, widmet sich exemplarisch einzelnen Opfern des Royal-Mail-Horizon-Skandals: eine Frau verschuldet sich immer mehr, weil sie denkt, sie hätte Fehler gemacht, schließlich kann sie „nicht so gut mit Computern“, ein Familienvater quält sich immer und immer wieder mit der Hotline rum, eine junge Mutter bekennt sich aus Angst vor dem Gefängnis schuldig und fällt in tiefe Depressionen. Sie alle waren willens, die Ursprünge der angeblichen Fehlbestände in ihren Filialen aufzuklären. Nur von Seiten der Post gab es daran kein Inte­resse. Das Schlimme daran: Seit über 300 Jahren darf in Britannien die Post selbst kriminalistisch ermitteln, wenn es um Postangelegenheiten geht. Die Gerichte folgten den Ermittlungsergebnissen. Im Nachhinein wurde bekannt, dass die Ermittler zeitweise Sonderprämien für „Überführungen“ erhalten haben.

Alan Bates findet seine Mitstreiter und er ist unermüdlich. Am Ende wird er seine Unschuld und die all der anderen beweisen. Doch das dauert mehr als ein Jahrzehnt. Acht Jahre nach Beginn seines Kampfes gelingt es ihm, 555 Menschen für eine Sammelklage gegen die Post zusammenzubringen. Sie gewinnen und bekommen 58 Millionen Pfund an Entschädigung zugesprochen – nach Abzug aller Kosten 20.000 Pfund für jeden. Ein Witz im Vergleich zu dem, was die Opfer des Skandals an die Post zahlen mussten, ein Hohn, wenn man das ihnen zugefügte Leid bedenkt. Doch immerhin diente die Sammelklage als Grundlage für Berufungsverfahren, die wenigstens die strafrechtlichen Folgen aufheben konnten.

Insgesamt wurden im Royal-Mail-Horizon-Skandal 3.500 Postmitarbeiter beschuldigt, 700 von den Postermittlern für schuldig befunden, 236 zu Gefängnisstrafen verurteilt, vier Menschen nahmen sich das Leben, bisher wurden 93 Urteile aufgehoben. Alan Bates und seine Mitstreiter kämpfen immer noch um eine angemessene Entschädigung.

Im Januar 2024 schätzte der damalige britische Postminister Kevin Hollinrake, dass der Skandal „den Steuerzahler eine Milliarde Pfund kosten“ werde. Das Geld, dass den Unterpostmeistern zum Ausgleich für die angeblichen Fehlbeträge abgepresst wurde, ist verschwunden – vermutlich auf der Gewinnseite der Post-Bilanz.

Ronnie Biggs erbeutete nach heutigem Wert 77 Millionen Pfund. Ihn jagte man um die ganze Welt. Von der britischen Post wurde bis heute niemand für den Royal-Mail-Horizon-Skandal strafrechtlich verfolgt.

Mr. Bates gegen die Post
4 Folgen á 45 Minuten
Regie: James Strong
Drehbuch: Gwyneth Hughes
Unter anderem mit Toby Jones, Monica Dolan, Lia Williams, Will Mellor
Abrufbar auf Arte bis zum 24. Juni

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"Was ist schon ein Postraub …", UZ vom 6. Juni 2025



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