Exkursion der Kulturgruppe der DKP Dortmund ins Felix-Nussbaum-Museum Osnabrück

„Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben!“

Ula Richter und Petra Krug

Seine Heimatstadt Osnabrück tat sich lange Zeit schwer mit dem Maler Felix Nussbaum. Wie überall im Westen Deutschlands wurden Faschismus, Krieg und der Massenmord an den Juden verschwiegen, zudem war Nussbaum durch seinen frühen Weggang nach Berlin wenig in seiner Heimatstadt bekannt. Erst ab den 1970er Jahren änderte sich das langsam. 1971 gab es eine erste Ausstellung, danach folgte ein Aufruf in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Wer erinnert sich an Felix Nussbaum?“ führte zu weltweiten Nachforschungen, mit deren Hilfe Nussbaums Biografie rekonstruiert und sein Werk erforscht werden konnte.

Felix Nussbaum wurde 1904 als zweiter Sohn von Rahel und Philipp Nussbaum in Osnabrück geboren. Seine Eltern waren wohlhabende, assimilierte und national gesinnte Mitglieder der jüdischen Gemeinde.

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„Selbstbildnis im Atelier“, um 1939 (Gemälde: Felix Nussbaum)

Nussbaums künstlerisches Talent zeigte sich schon früh. Sein kunstbegeisterter Vater förderte den Sohn, so dass er eine künstlerische Ausbildung in Berlin begann. Dort begegnete er seiner späteren Frau, der polnisch-jüdischen Malerin Felka Platek. Seine vielfach heiteren, ironischen Bilder aus seiner Frühphase richteten sich nach dem Zeitgeschmack und so erzielte er erste Ausstellungserfolge.

Sein großes künstlerisches Vorbild war zu dieser Zeit Vincent van Gogh. Eine einjährige Studienreise 1928/29 führte ihn zunächst ins belgische Ostende, danach nach Südfrankreich, auf den Spuren des großen Impressionisten. Nach seiner Rückkehr nach Berlin 1929 konnte er im eigenen Atelier arbeiten. Zwei Jahre später gelang ihm der künstlerische Durchbruch mit dem Gemälde „Der tolle Pariser Platz“. Nussbaum war ab Oktober 1932 Studiengast an der Deutschen Akademie „Villa Massimo“, einer deutschen Kultureinrichtung in Rom. Diese musste er nach einer Auseinandersetzung mit einem deutschen Adeligen im Mai 1933 verlassen. Nach Deutschland konnten Nussbaum und seine Frau nicht zurück: Im Januar hatte das deutsche Monopolkapital die Macht an Hitler übergeben. Die faschistischen Mordbanden trieben ihr Unwesen. Vermutlich haben sie auch das Berliner Atelier Nussbaums angezündet. Bei diesem Brand wurde ein Großteil seines Frühwerks vernichtet.

Bilder von bedrückender Ausweglosigkeit und voll düsterer Ahnungen entstanden während der folgenden Odyssee durch Europa. Endpunkt war die belgische Hauptstadt Brüssel.

Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Belgien im Mai 1940 wurde Nussbaum als „feindlicher Ausländer“ in das Lager Saint-Cyprien in Südfrankreich deportiert. Eine furchtbare Erfahrung: Entwürdigung, Hunger, Krankheit, brüllende Hitze und die Vorahnung des endgültigen Verlorenseins bestimmen die Skizzen und Bilder, die nach der Zeit im Lager entstanden. Sie wurden zusammengeführt zu einem Gruppenbild der Lagerinsassen, das an Trostlosigkeit nicht zu übertreffen ist. Auf dem groben Tisch ein zerstörter Globus, die Männer in zerschlissenen Resten von Kleidung, Lumpen an den Füßen auf dem schmutziggelben Sand, Stacheldraht, der jeden Gedanken an Flucht ausschließt.

Die zwei Selbstporträts aus der Lagerzeit zeigen Nussbaum zum einen mit düster wissenden Augen vor dem Hintergrund des menschlichen Elends. Das andere drückt helle Empörung aus, die noch durch die rötliche Farbgebung gesteigert wird, vor einem alles dominierenden Stacheldraht, in dem zynischerweise ein großer Schlüssel hängt.

Auf einem Transport nach Bordeaux gelang Nussbaum die Flucht. Er kehrte nach Belgien zurück. Seine Frau Felka war in Brüssel geblieben. Beide tauchten bei einem befreundeten Kunsthändler unter.

1943 Felix Nussbaum Selbstportraet mit Judenpass Auschwitz - „Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben!“ - DKP Dortmund, Felix Nussbaum, Osnabrück - Kultur
„Selbstportrait mit jüdischer Identifizierungskarte“, 1943 (Gemälde: Felix Nussbaum)

Im Mai 1942 wurde in Belgien von der deutschen Besatzungsmacht das Tragen des „Judensterns“ angeordnet. Im Juli begannen erste Deportationen in die Vernichtungslager. Für die beiden Künstler wird die Situation immer schwieriger, sie verweigern sich der Registrierung und dem Tragen des Sterns und leben von nun an im Untergrund.

Stand für Felix Nussbaum lange seine Existenz als Künstler im Mittelpunkt, trat das Bewusstsein, Jude zu sein, immer stärker hervor. Den jüdischen Opfern der Hitlerbarbarei, stigmatisiert durch den gelben Stern, setzte er in seinen späten Bildern ein Denkmal und klagt die Unmenschlichkeit des Faschismus an.

Seit der Renaissance spielt das Selbstporträt eine besondere Rolle in der Malerei. Es bietet Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit, sich mit dem eigenen Ich, ihrer Zeit und Gesellschaft auseinanderzusetzen. In ihrer Vielfalt und Intensität sind die Selbstbildnisse von Felix Nussbaum einmalig. In ihnen versucht er, sich selbst zu erforschen als jüdischer Bürgersohn, der als Künstler so ganz aus dem Rahmen seiner Familie fällt. Als Maler, der seinen eigenen Weg in der Kunst sucht, als Flüchtender vor dem deutschen Faschismus. Als Entwurzelter, der unter schwierigsten existentiellen Bedingungen am Malen festhält. Schließlich als Gejagter, als Gefangener und als Ankläger gegen die Hitlerbarbarei, gegen das furchtbare Schicksal, das er mit Millionen europäischer Jüdinnen und Juden teilt.

Seine Porträts zeigen ihn als Melancholiker und Zweifler, hinter Masken verborgen, als traurigen Pierrot, immer wieder vor der Staffelei, skeptisch, selbstsicher und auch stolz. Er findet seinen eigenen Weg über verschiedene Malstile hin zu altmeisterlicher Darstellung.

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„Dreiergruppe“, 1944 (Ausschnitt) (Gemälde: Felix Nussbaum)

Das „Selbstbildnis im Atelier“ von 1939 zeigt Nussbaum im leergeräumten Atelier, die geschnürte Zeichenmappe an der Wand, die Hand vor den Mund geschlagen. Der direkte, ratlose Blick auf den Betrachter gerichtet. Auch dieses Atelier bietet keinen Schutz mehr. In anderen Porträts schimmert Hoffnung auf: die blaue Blume, die er trägt, die weiße Apfelblüte im Mund, ein blühender Zweig, der aus einem verstümmelten Baum sprießt, sprechen dafür. Selbst in dem Porträt „Selbstbildnis mit Judenpass“ um 1943, in dem er einen Judenpass und den gelben Stern herausfordernd zur Schau stellt, blüht hinter den Mauern ein heller Zweig. Sein wohl bekanntestes Porträt scheint seine Häscher anzuklagen: „Ja, ich bin Jude, und ihr seid Verbrecher und Mörder.“

Im Juni 1944 werden Nussbaum und Felka Platek denunziert. Sie werden verhaftet, ins Lager Mechelen interniert und am 31. Juli mit dem letzten Deportationszug nach Auschwitz verschleppt. Beide werden im Vernichtungslager von den deutschen Faschisten ermordet.

„Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben!“ Ja, Nussbaums Bilder überlebten, wenn es auch ein steiniger Weg war. Der Weg eines Großteils der Bilder Felix Nussbaums in seine Heimatstadt ist einer Cousine des Künstlers, Auguste Nussbaum-Moses, und deren Mann Heinz Moses zu verdanken. Sie spürten die Bilder in Brüssel auf, rangen sie in einem jahrelangen kostspieligen Prozess einem belgischen Zahnarzt ab und schmuggelten die Werke über die Grenze nach Deutschland.

In den 1990er Jahren wurde dann in Osnabrück entschieden, Nussbaum angemessen zu würdigen. Als Erweiterungsbau des Kulturgeschichtlichen Museums wurde 1998 das Felix-Nussbaum-Haus fertiggestellt. Es ist das erste Werk des US-Amerikaners Daniel Libeskind, des Architekten mit polnisch-jüdischen Wurzeln, der später mit seinem Entwurf für das Jüdische Museum Berlin weltweite Popularität erlangte.

Die Bilder Nussbaums leben dort weiter und sind Mahnung gegen Antisemitismus, Faschismus und Krieg. Das vielschichtige Werk Felix Nussbaums ist untrennbar mit seiner tragischen Lebensgeschichte vor dem Hintergrund der Schoah verknüpft.

Während das Jüdischsein zunächst in seinem Werk kaum zum Ausdruck kommt, findet es mit der immer klarer zu Tage tretenden Ausweglosigkeit seiner Situation im Exil, später im Untergrund, Eingang in seine Bilder. Diese religiös-kulturelle Bezugnahme ist zugleich letzte Konstante wie Aufbäumen gegen die Hoffnungslosigkeit.

Die frühen Werke spiegeln Nussbaums Suche nach einer eigenen Bildsprache. Bei einigen Werken lehnt er sich an van Gogh an; er nutzt aber auch Elemente der naiven Malerei von Henri Rousseau oder der metaphysischen Malerei von Giorgio de Chirico.

„Erinnerung an Norderney“

Das Bild „Erinnerung an Norderney“ von 1929 verdeutlicht diese Einflüsse. Eine überdimensionale Postkarte, befestigt am Mast eines Segelbootes, zeigt in naiver Malweise eine heitere Badegesellschaft. Die Karte ist offenbar adressiert an die Eltern Nussbaum, denn es grüßt „Euer Sohn Felix“. Nussbaum beschreibt darauf – seinen häufigen depressiven Stimmungen entsprechend – ein „Gefühl von Trauer, welches gleich einem Rade über unserem Gemüt rollt“. Die Gesamtkomposition der Arbeit erinnert an de Chirico. Die Postkarte ist Bestandteil eines surrealen Szenarios am Meer, bestehend aus der windschiefen „Villa Nordsee“, Segelbooten, einem Pferdeschädel und einem aufrecht stehenden Rad mit gebrochenen Speichen. Zwei völlig unterschiedliche Welten, die die Vielschichtigkeit von Nussbaums Persönlichkeit, sein Schwanken zwischen Heiterkeit und Melancholie widerspiegeln.

Nussbaum Erinnerung an Norderney 1929 - „Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben!“ - DKP Dortmund, Felix Nussbaum, Osnabrück - Kultur
„Erinnerung an Norderney“, 1929 (Gemälde: Felix Nussbaum)

Nussbaums Bildsprache und seine Farbpalette sind symbolisch aufgeladen. Immer wieder schiebt sich eine braune Mauer ins Bild, die das Eingeschlossene, das Ausweglose zeigt; die oft verstümmelten Bäume, die verschiedensten Kopfbedeckungen, von der Malerkappe, dem schwarzen, spitzen Hut des traurigen Clowns bis zum bürgerlichen Hut, der für ihn Würde darstellt. Die immer wieder auftauchende schwarze Katze, das oft gemalte Küchenhandtuch, sie geben in vielen Bildern Rätsel auf.

Auch die Farben haben eine besondere Bedeutung. Braun steht für Leid, Grün oder Grünlich für Tod, Blau, Blauviolett für Sehnsucht und Melancholie, die immer wiederkehrende schwarze Wolke für Bedrohung.

Triumph des Todes

Sein letztes großes Werk, „Der Triumph des Todes“, datiert vom 18. 4. 1944. Es zeigt in altmeisterlichem Malstil, der an die Totentanzbilder des Mittelalters und der Renaissance erinnert, eine Szenerie des Grauens. Alle Farbigkeit ist einer mattgelben, weißen und schwarzen Ödnis gewichen. In einer völlig zerstörten Kriegslandschaft spielen Skelette mit Geigen, Trommeln und Trompeten zum letzten Tanz auf. Alles, was Wissenschaft, Kultur und Menschlichkeit durch die Jahrhunderte hervorgebracht haben, liegt im wilden Durcheinander zerschmettert auf dem Boden. Mit diesem Bild hat Felix Nussbaum mit seinem Leben und seinem Werk abgeschlossen.


Felix-Nussbaum-Haus
Lotter Straße 2, 49078 Osnabrück
Täglich 11 bis 18 Uhr
(Montag geschlossen)


0412 Nussbaum graeberalle - „Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben!“ - DKP Dortmund, Felix Nussbaum, Osnabrück - Kultur
„Gräberallee Les Alyscamps – Arles“, ca. 1929 (Gemälde: Felix Nussbaum)


Mit der Exkursion nach Osnabrück hat die Kulturgruppe der Dortmunder DKP nach einer längeren Corona-bedingten Pause ihr Programm wieder aufgenommen. Das Schicksal und die dadurch geprägte Kunst Felix Nussbaums zeigen auf eindringliche und erschütternde Weise die verheerenden Verbrechen des Faschismus. Auch wenn Felix Nussbaum nicht als politisch Handelnder gesehen werden kann, so ist seine Kunst doch zutiefst antifaschistisch und fordert Überlebende und nachfolgende Generationen implizit zu Wachsamkeit und Widerstand auf.
Die Verfasserinnen haben sich intensiv in Leben und Werk von Felix Nussbaum eingearbeitet und konnten so eine Museumsführung anbieten und weitergehende Fragen beantworten. Kunst und Kultur bereichern das Parteileben und schärfen den Blick auf die Vielfalt menschlichen und gesellschaftlichen Schaffens. Eine Reise nach Osnabrück lohnt sich auf jeden Fall, aber auch kulturelle Angebote zu anderen Kunstobjekten, eigene kleine Ausstellungen und Abende in den Partei­gruppen, die sich mit künstlerischen Themen befassen, seien empfohlen.


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"„Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben!“", UZ vom 27. Januar 2023



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