Die Arbeiterolympiade in Frankfurt 1925 war ein riesiges Friedensfest

Wettkampf ohne Verlierer

Derzeit quält sich das Ruhrgebiet mit der Austragung der „FISU World University Games“ – auch Welthochschulspiele genannt. Das internationale Sportereignis, bei dem sich tatsächlich und vermeintlich Studierende messen, soll als Testlauf für die deutsche Bewerbung für die Olympischen Spiele ’36 (!) oder ’40 dienen. Interessanter und politisch erfreulicher ist der Blick auf eine Sportveranstaltung, die genau vor 100 Jahren in Frankfurt am Main stattfand: die 1. Internationale Arbeiterolympiade.

Dieses Ereignis, das vom 24. bis 28. Juli 1925 ausgetragen wurde, war in vielerlei Hinsicht besonders. Während im Jahr zuvor bei den Olympischen Spielen in Paris deutsche Athletinnen und Athleten ausgeschlossen waren, nahmen in Frankfurt französische, deutsche, englische, finnische, tschechoslowakische, belgische, österreichische, schweizerische, lettische, polnische und palästinensische Arbeitersportlerinnen und -sportler Seite an Seite teil. Die gemeinsame Losung, unter der sie teilnahmen, lautete: „Nie wieder Krieg!“

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Das im Mai 1925 eröffnete Waldstadion war der zentrale Austragungsort der Arbeiterolympiade. Auch das Fußballfinale zwischen Deutschland und Finnland fand hier statt. Das Foto zeigt den Einlauf der Mannschaften vor der Haupt­tribüne des Frankfurter Waldstadions. (Foto: public domain)

Auch der Austragungsort war und ist besonders: Das Frankfurter Waldstadion (heute offiziell „Deutsche Bank Park“) wurde im Mai 1925 eröffnet. Die Sportanlage war ein wesentlicher Grund für die Entscheidung, die Arbeiterolympiade in Frankfurt stattfinden zu lassen: 42 Hektar groß, das neu erbaute Stadion mit 40.000 Sitzplätzen, dazu eine fünf Hektar große Fest- und Spielwiese sowie eine Tanzwiese, ein Luftbad, ein Versammlungsrondell, eine Radrennbahn, zwei große Bäder, mehrere Tennisplätze, eine Sporthalle und ein Waldtheater. Die Arbeiterolympiade war das erste internationale Groß­ereignis, das im Waldstadion stattfand.

Es waren vor allem der Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) und der Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität, die die Vorbereitung und Organisation des Großereignisses stemmten. Vor Ort waren 500 Arbeitersportlerinnen und -sportler damit betraut; 5.000 „Hilfskräfte“ kümmerten sich während der Arbeiterolympiade um den Ablauf sowie die Unterbringung und Verpflegung von 1.100 Athletinnen und Athleten, 1.200 Sängerinnen und Sänger des Arbeiterchors plus der Teilnehmenden an den „Massenfreiübungen“. Und obwohl es bei diesen „Spielen“ vor allem um aktives Mitmachen und weniger um passives Zuschauen ging, kamen noch einmal 40.000 bis 50.000 Menschen ins Waldstadion, um die internationalen Gäste zu begrüßen.

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Plakat zur 1. Internationalen Arbeiterolympiade (Foto: AdsD der FES, 6/PLKA008008)

Eine finanzielle Unterstützung für dieses internationale Sportfest – zum Beispiel einen staatlichen Zuschuss – gab es nicht. Die Stadt Frankfurt stellte neben dem Waldstadion aber weitere Übungsplätze zur Verfügung. 103 Schulen dienten zudem als Massenquartiere, wobei oft einfach der Boden mit Stroh ausgelegt wurde, um als Schlafstätte zu dienen.

Die Zahlen lassen erahnen, welche organisatorische Kraft hinter der Arbeiter- und Arbeitersportbewegung dieser Zeit stand: Allein der „Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität“ soll zeitweise über 300.000 Mitglieder gehabt haben. Auf internationaler Ebene hatten sich die Arbeitersportverbände seit 1913 unter dem Namen „Association socialiste internationale d‘éducation physique“ zusammengeschlossen. Einen nationalistischen Wettkampf, wie er bei den Olympischen Spielen ausgetragen wurde, lehnten die Arbeitersportverbände ab. Sie sahen darin einen eine Fortsetzung des Krieges „mit sportlichen Mitteln“.

Der Einlauf der Sportlerinnen und Sportler ins Waldstadion fand ohne nationale Symbolik zu den Klängen der Internationale statt. Der sportliche Wettkampf fand in Disziplinen wie Turnen, Leicht- und Schwerathletik (Ringen, Gewichtheben, Boxen und Tauziehen), Radsport, Schwimmen, Rudern, Kanufahren, Fußball, Handball, Faustball und Schlagball statt. Daneben gab es sogenannte Massenfreiübungen und einen Schachwettbewerb.

Beim Radsport gab es die Besonderheit, dass es nicht nur Disziplinen gab, bei denen es darum ging, möglichst schnell zu sein. Es gab zudem Radball, Kunstfahren, „Radfahrer-Massenreigen“ und einen Wettbewerb, bei dem es darum ging, möglichst langsam zu fahren. Das Ziel war, mit dem Rad möglichst lange für 100 Meter zu brauchen. Die im Verlag der Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege veröffentlichten „Wettkampf-Resultate“ weisen Valentin Stieber als Sieger im Langsamfahren aus. Er schaffte es, die Strecke in 14,22 Minuten abzufahren.

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Der schlimmste Albtraum des damaligen IOC-Chefs Baron de Coubertin: Die 16 Jahre alte Arbeiterolympia-Siegerin im Speerwerfen, Olga Drivin (Lettland), hätte bei den Olympischen Spielen in Paris 1924 gar nicht teilnehmen dürfen. Frauen waren von den Leichtathletik-Wettkämpfen ausgeschlossen. (Foto: „Die neue Großmacht“ – Fotoheft zur 1. Arbeiter-Olympiade)

Die Ergebnisse waren nicht unbedingt Nebensache, aber im Vordergrund stand nicht der „Sieg“ über andere. Vielmehr präsentierten die Verbände die Ergebnisse ihrer Arbeit. Ein weiterer Unterschied zu den Olympischen Spielen bestand darin, dass in Paris 1924 Athletinnen nur bei den Schwimmwettkämpfen und im Tennis antreten durften – und selbst das galt als Fortschritt. Baron de Coubertin, Gründer des Internationalen Olympische Komitees (IOC), hielt olympische Wettkämpfe von Frauen für „unästhetisch“ und „falsch“. In Frankfurt 1925 war dies anders. Allein in der Leichtathletik traten Arbeiterinnen in elf Disziplinen an.

Im Zentrum der Arbeiterolympiade stand die Friedensbotschaft: An der Demonstration durch die Frankfurter Innenstadt nahmen 100.000 Arbeitersportlerinnen und -sportler teil. Auf einem Banner war die zentrale Botschaft des Demonstrationszuges zu lesen: „Nieder mit dem imperialistischen Krieg!“ Ein weiteres forderte den Achtstundentag.

Dass Frieden und Arbeitszeitverkürzung einen revolutionären Bruch erfordern, war zumindest bei der Vorführung des „Weihespiels“ mit dem Titel „Kampf um die Erde“ unzweifelhaft. Die dargestellten Umwälzungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung hatten ein „Happy End“: den Sieg des Sozialismus. Und bei einer besonderen Schachpartie traten die Arbeitersportlerinnen und -sportler gleich selbst als Figuren an, um die Französische Revolution nachzustellen. Bauernopfer wird es dabei keine gegeben haben, dafür aber mattgesetzte Monarchen in Weiß und Schwarz.

Die nicht einmal eine Woche dauernde Arbeiterolympiade endete zwar nicht in der Revolution, aber mit einem Festzug, der noch einmal 5.000 Kinder auf die Straße und ins Stadion brachte, mit Massenpyramiden und einer Friedenskundgebung der Arbeitersportlerinnen und -sportler aller teilnehmenden Länder.

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1925 wusste die Arbeiterklasse noch, dass sportliche Leistungen und Alkoholkonsum nicht miteinander vereinbar sind. (Foto: „Die neue Großmacht“ – Fotoheft zur 1. Arbeiter-Olympiade)

Die 2. Internationale Arbeiterolympiade fand sechs Jahre später in Wien statt. In diesem Rhythmus sollte es weitergehen: 1937 war die Ausrichtung in Barcelona geplant. Aufgrund des Kriegs in Spanien musste die 3. Arbeiterolympiade in Antwerpen stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt waren die deutschen Arbeitersportverbände bereits zerschlagen worden.

Eine 4. Arbeiterolympiade sollte es nicht mehr geben.

Hörtipp:
„Die vergessenen Wettkämpfe“
Der Hessische Rundfunk hat zum 100. Jahrestag der Arbeiterolympiade in Frankfurt einen 24-minütigen Beitrag veröffentlicht, der in der ARD Audiothek nachgehört werden kann.

Veranstaltungshinweis:
Sportopia 2025
Der RKB „Solidarität“ Deutschland 1896 und Solijugend veranstalten zum 100-jährigen Jubiläum vom 3. bis 5. Oktober ein Sport- und Kulturfest im Sportpark Alicestraße in Neu-Isenburg.
Mehr unter diesem Link.

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"Wettkampf ohne Verlierer", UZ vom 25. Juli 2025



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