Auf der Kommunismuswerkstatt II der Marx-Engels-Stiftung, die vom 14. bis 16. November 2025 in Frankfurt am Main stattfand, diskutierte ein überwiegen junges Publikum das Verhältnis von Markt und Sozialismus. Helmut Dunkhase, Julian Lämmrich und Jürgen Lloyd stellten dazu Texte von Josef Stalin, Friedrich Behrens und dem zeitgenössischen Theoretiker Tian Yu Cao vor.
In einer einleitenden Videopräsentation zeigte Dunkhase, gestützt auf Arbeiten von Farjoun/Machover, Yakovenko und Dragulescu, dass Marktprozesse selbst bei gleichen Startchancen zu extremer Ungleichheit tendieren. Eine einfache Computersimulation zufälliger Geldtauschprozesse führte zu einer starken Konzentration von Geld bei wenigen Akteuren – ein Muster, das sich in realen Einkommensverteilungen wiederfindet. Märkte folgten damit eher Gesetzen der Thermodynamik als dem Ideal „fairer“ Konkurrenz und stünden letztlich in einem antagonistischen Widerspruch zu einer geplanten Wirtschaft. Dass die Einbettung des Marktes in eine sozialistische Gesellschaft sehr unterschiedlich wirken kann, zeigten zwei historische Beispiele: Die sowjetische NÖP verdeutlicht, dass Marktelemente in einer zeitlich begrenzten Übergangsphase nützlich sein können. Der jugoslawische Marktsozialismus wiederum veranschauliche, dass Märkte, die nicht politisch und zeitlich begrenzt würden, langfristig sozialistische Strukturen zersetzten und neue Eliten hervorbrächten.
Samstags ging es dann zunächst um Stalins Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“. Stalin hielt die Existenz von Marktelementen in noch nicht voll industrialisierten Ländern für eine historisch bedingte Übergangsnotwendigkeit, in denen jedoch das Wertgesetz nicht als Regulator wirkt: Waren beschränkten sich auf Konsumgüter, denn Produktionsmittel und die Maschinen der Kollektivwirtschaften waren Staatseigentum. Zugleich warnte Stalin vor einer Ausweitung der Warenzirkulation, die den Übergang zum Kommunismus gefährden könne. Diskutiert wurden auch Stalins blinde Flecken: eine ökonomische Terminologie, die trotz Selbstkritik stark in der Logik der kapitalistischen Politischen Ökonomie verhaftet blieb, die Überbetonung technischer Produktivkräfte und die praktische Bevorzugung materieller Anreize.
Dann folgte die Auseinandersetzung mit Auszügen aus dem Buch „Ware, Wert und Wertgesetz“ des DDR-Ökonomen Fritz Behrens. Der Autor begründet darin eine dem Sozialismus eigene Warenproduktion. Diskutiert wurden vor allem zwei Begründungen: Zum einen, dass abstrakte Arbeit nicht direkt gemessen werden könne (was zumindest nach Marx nicht stimmt) und sich nur durch konkrete Arbeit, die zur Geldware führt, ausdrücken lässt. Zum andern, dass individuelle Arbeit, obwohl durch den Plan bereits unmittelbar gesellschaftliche Arbeit, im Austausch der Waren als solche bestätigt werden muss. Daran eröffnete sich eine zentrale Frage: Wie hätte das Wertgesetz in der DDR „ausgenutzt“ werden können, wenn es keinen freien Markt mit freier Konkurrenz gibt? Weder bei Behrens noch bei zeitgenössischen DDR-Ökonomen fanden wir eine befriedigende Antwort.
Abschließend stand der zeitgenössische, in den USA lebende Theoretiker Tian Yu Cao im Mittelpunkt, der Sozialismus im 21. Jahrhundert radikal neu deutet und das Wertgesetz auch für eine sozialistische Gesellschaft als gültig erklärt. Wert entstehe nach ihm durch gesellschaftliche Nachfrage, die sich im Geldpreis ausdrücke. Märkte und Geld blieben so auch im Sozialismus unverzichtbar, um „wahren“ Wert zu bestimmen. Zwar betont Cao, dass ein Markt niemals ein neutrales Instrument sei, sich seine „wahre“ Natur jedoch letztlich durch den gesellschaftlichen Überbau bestimmt. Im Sozialismus könne sich daher die Logik des Marktes zu einer „Logik der Gegenseitigkeit“ wandeln. Lloyd arbeitete erhellend heraus, dass Cao das Verhältnis von ökonomischer Basis und politischem Überbau auf den Kopf stellt und glaubt, dass der politische Überbau auf Dauer dazu im Stande ist, die Basis zu kontrollieren. Eine Wirkung der ökonomischen Basis auf den politischen Überbau werde völlig verkannt.
Zum Abschluss präsentierte Dunkhase Forschungsergebnisse, die Marx’ Arbeitswerttheorie empirisch stützen und Perspektiven einer demokratischen Planwirtschaft aufzeigen. Input-Output- Analysen zeigen, dass Marktpreise mit den zu ihrer Herstellung notwendigen Arbeitszeiten korrelieren. Mit moderner Computertechnik ließen sich Arbeitszeiten für ganze Volkswirtschaften berechnen und damit Produktions- und Verteilungsentscheidungen in physischen Größen planen. Planwirtschaft mithilfe von Input-Output-Analyse und Arbeitszeitrechnung, so Dunkhase, sei kein bürokratisches Kommandosystem, sondern die materiell-technische Basis, die kommunistische Produktionsverhältnisse überhaupt erst ermögliche.
Die Tagungsteilnehmer waren sich einig: Beim Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus darf der Sozialismus nicht als eine eigenständige Gesellschaftsformation mit zum Teil existierenden Marktelementen verstanden werden, wodurch der Kommunismus auf eine ferne, gar utopische Überflussgesellschaft vertagt werde. Ein Sozialismus, der seine ökonomische Basis ernst nehme, könne Marktelemente allenfalls zeitlich und politisch streng begrenzt nutzen. Dauerhafte Gleichheit, demokratische Teilhabe und gesellschaftliche Steuerung erfordern letztlich eine Planwirtschaft, die auf wissenschaftlicher Analyse und modernen Informationsmitteln beruhe – und die Wirtschaft wieder in die Gesellschaft einbette. Alle Seminarteilnehmer freuen sich auf die nächste Kommunismuswerkstatt, die unter dem Titel „Marx, Engels, die DDR und der nächste Anlauf zum Sozialismus in Deutschland“ vom 15. bis 18. Oktober 2026 in Leipzig stattfinden wird.



![UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis] UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]](https://www.unsere-zeit.de/wp-content/uploads/2021/04/Banner_800x90_Probeabo_Rahmen.jpg)





