Es gilt das gesprochene Wort.
Im ersten Leitgedanken wird festgestellt: „Dem US-geführten Imperialismus droht ein ökonomischer und politischer Hegemonieverlust.“ Hier ist nicht gemeint: Der von den USA geführte imperialistische Block verliert seine Vormachtstellung an einen anderen imperialistischen Block. Gemeint ist: Der Imperialismus, der als Ganzes von den USA geführt wird, verliert seine Vormachtstellung. Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele hat das zum Beispiel im Referat für die PV-Tagung im Februar deutlich gemacht: Es gehe um den „Hegemonieverlust des Imperialismus in seiner Gesamtheit“.
Wenn man diese Formel vom Hegemonieverlust des Imperialismus zu Ende denkt, steht sie im Widerspruch zu einer leninistischen Auffassung vom Imperialismus.
Wir wissen: Der Imperialismus ist gekennzeichnet von Aggressivität, Gewaltpolitik und kolonialer beziehungsweise neokolonialer Unterdrückung. Diese Aggressivität entsteht nicht einfach durch Entscheidungen der imperialistischen Regierungen, sie entsteht aus der Entwicklung des Kapitalismus selbst. Weil die kapitalistische Wirtschaft ab einem bestimmten Entwicklungsstand der Zentralisation und Konzentration zu dieser neuen Art von Aggressivität drängt, nennt Lenin den Imperialismus das höchste Stadium des Kapitalismus.
In den entwickelten kapitalistischen Ländern war das Monopol zum prägenden Produktionsverhältnis geworden, die Monopole beherrschen die Zentren und durchdringen die abhängigen Länder. Letztlich ist die Monopolisierung die Ursache für die Widersprüche zwischen den Großmächten und zwischen Großmächten und unterdrückten Ländern.
Das bedeutet auch: In unserer Epoche gibt es keinen nicht-imperialistischen Kapitalismus – was es natürlich geben kann, sind kurze, instabile Übergangsphasen –, der Imperialismus ist der Kapitalismus unserer Zeit. Vor diesem Hintergrund ergibt es wenig Sinn, von einer Hegemonie „des Imperialismus“ zu sprechen (es würde dasselbe bedeuten wie „Hegemonie des Monopolkapitalismus“) – einzelne Staaten können hegemonial sein, aber dort, wo kapitalistische Produktionsverhältnisse vorherrschen, sind sie Teil des imperialistisch gewordenen Kapitalismus.
Denn die Verhältnisse des Monopolkapitalismus durchdringen das gesamte Leben der Länder, in denen das Kapital die Macht hat, der Zentren wie der abhängigen Länder – mit den bekannten Folgen für die Unterdrückten. Natürlich kann es innerhalb des Imperialismus Fortschritte und positive Entwicklungen geben – wie aktuell in Westafrika oder in erfolgreichen Reformkämpfen hierzulande –, die für unsere Kampfbedingungen nicht zu unterschätzen sind. Aber es ändert erst mal nichts an den Produktionsverhältnissen.
Die Hegemonie des Imperialismus zu überwinden, bedeutet, die Produktionsverhältnisse des Kapitalismus zu überwinden, sie durch andere Produktionsverhältnisse zu ersetzen – und das ist nur denkbar durch die Weiterentwicklung des Monopols zu gesellschaftlichem Eigentum, durch die Überwindung des mit den Monopolen verflochtenen Staates, durch den Übergang zum Sozialismus. Lenin nennt den Imperialismus den Vorabend der sozialistischen Revolution, weil die Verhältnisse zum Sozialismus drängen – also die Widersprüche des Kapitalismus, die sich bis zum Weltkrieg zuspitzen können, nur durch den Sozialismus gelöst werden können.
Gerade davon lenkt die Formel vom Hegemonieverlust des Imperialismus ab. Die Leitgedanken gehen davon aus, dass eine multipolare Weltordnung entsteht, in der kapitalistische und (angeblich) sozialistische Länder friedlich und freundlich miteinander kooperieren. Sie setzen die Verschiebungen im imperialistischen Weltsystem, die wir beobachten, mit einem Ende dieses Weltsystems gleich. In dieser Vorstellung einer multipolaren Weltordnung würde es mächtige kapitalistische Länder geben, die nicht imperialistisch sind. Dabei bleibt unklar: Wirken in den BRICS-Ländern nicht dieselben Gesetze der Monopolbildung wie in den alten imperialistischen Zentren? Oder: Wieso wirkt sich die Monopolbildung in den BRICS-Staaten weniger zerstörerisch aus?
Diese Vorstellung einer multipolaren Weltordnung führt – konsequent verfolgt – zu der Auffassung, dass es doch von der Entscheidung der jeweiligen Regierung abhängt, ob ein Land imperialistisch ist oder nicht. Die Parteiführung vertritt diese Position nicht – aber die Imperialismusanalyse der Leitgedanken läuft, zu Ende gedacht, darauf hinaus.
Wie wir den Imperialismus analysieren, wirkt sich darauf aus, welche Strategie wir für unsere Partei für richtig halten. Im Leitgedanken 10 wird zur strategischen Perspektive betont, dass Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft möglich seien. In diesem Rahmen sei eine „Umkehr“ des „verheerenden Kurses“ möglich. Es sei möglich, die „Politikausrichtung“ Deutschlands so zu verändern, dass es „zu einer konstruktiven Mitarbeit an der Neugestaltung der internationalen Beziehungen“ übergehe. Es gebe also bestimmte Bedingungen, unter denen das kapitalistische Deutschland nicht mehr imperialistisch handelt. So wird der Eindruck erweckt, es sei nicht nötig, die Macht der Monopole zu brechen, damit dieser Staat nicht mehr imperialistisch agiert und konstruktiv mitarbeitet. Auch Patrik Köbele hat im Parteitagsreferat gesagt, dass man dem deutschen Imperialismus eine neue Entwicklungsrichtung im Interesse der Menschen geben könne. Das ist aber im Imperialismus nicht möglich.
Diese praktische Konsequenz ergibt sich aus der Formel vom Hegemonieverlust: Wenn es in einer multipolaren Weltordnung kooperative Beziehungen auch zwischen kapitalistischen Großmächten geben kann, dann wollen wir natürlich, dass Deutschland dabei mitmacht. Leitgedanke 10 zeigt, was im Leitgedanken 1 angelegt ist:
Die Vorstellung,
- dass die schärfsten Widersprüche unserer Gesellschaft im Rahmen des Kapitalismus mindestens deutlich abgeschwächt werden können;
- dass unter den Bedingungen monopolkapitalistischer Konkurrenz ein friedliches Zusammenleben der Staaten möglich wäre;
- dass wir unsere Hoffnungen auf ein Bündnis aufstrebender kapitalistischer Staaten setzen sollten;
- dass wir in unserer politischen Praxis anstreben, neue Parteien- und Regierungskonstellationen zu ermöglichen, die dann (unter kapitalistischen Bedingungen!) ihrerseits so etwas wie eine nicht-imperialistische Politik machen könnten;
- dass der deutsche Imperialismus auf die Interessen des Monopolkapitals verzichten und im Interesse der Menschen handeln könne.
Das ist illusionär und falsch. Stattdessen ist der einzige Garant für Frieden eine starke Friedens- und Arbeiterbewegung – und die Überwindung der Hegemonie des Imperialismus erfordert die Überwindung des Kapitalismus, dessen höchstes Stadium eben der Imperialismus ist.