Abend zur Lage der Textilarbeiter endet mit Session bis in die Morgenstunden

Zwischen Karde und Kommunismus

UZ mit Viola Böhm und Hermann Glaser-Baur

Das Schiffchen fliegt,
der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben
dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
Wir weben, wir weben!

Aus: „Das Weberlied“, Heinrich Heine

„Wo kommen die Sommerklamotten her?“ war der Titel einer Veranstaltung am 2. Juni im brandenburgischen Lauchhammer. Eingeladen hatten die DKP-Grundeinheit Textilarbeiter und die Leinenweberei Flaxmill Textilien. Die kleine Weberei war mit 60 Gästen brechend voll, das Programm hochkarätig, die Gäste – darunter gut ein Dutzend Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter aus der Region – begeistert.

Aus Hof in Franken kam der Gewerkschafter und Textilarbeiter Randolph Oechslein mit seinem Vortrag „Zwischen Karde und Kommunismus“. Die Karde ist die Textilmaschine, mit der der Spinnprozess beginnt. Auch die „Textilerkarriere“ begann als „Kardenmann“. In seinem Vortrag spannte er den Bogen von der Karde zum kommunistischen Urahn und Textiler Friedrich Engels. Eingangs befasste er sich mit der heutigen Struktur der Branche, den Arbeitsbedingungen der (überwiegend) Kolleginnen und ihren Kämpfen. Er blickte zurück auf das beispiellose Fabrikensterben in Ostdeutschland nach 1989. Bis dahin waren in den volkseigenen Textil- und Bekleidungskombinaten rund 300.000 Menschen beschäftigt. Ihre Arbeitsstätten verschwanden mit der DDR nahezu komplett. Ihre Anzahl schrumpfte auf 30.000. Mut machend erinnerte Oechslein aber auch an den Streik der Textilarbeiterinnen 1903 im sächsischen Crimmitschau mit immenser Bedeutung für die gesamte deutsche Arbeiterbewegung.

Marion Baur, Inhaberin der Flaxmill und Leiterin der Textileinheit, erzählte nach dem Abend, dass vor allem die Kombination aus Faktenwissen, Analyse und der stete Bezug auf die marxistischen Klassiker überzeugt habe. „Die daraus folgend einzig richtige Zukunftsperspektive für die Textilindustrie, nämlich die Notwendigkeit, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter das Sagen haben – das kam bei allen hier, speziell bei meinen Berufskolleginnen, ausgezeichnet und sehr logisch an.“

Zu der einzigartigen Atmosphäre des Abends trug – neben der „Kulinarik“, ein Gruß in die Küche – der musikalische „Star“ des Abends bei: Joe McGonigle aus dem Norden Irlands gab sein Deutschland-Debüt. Nach sechs eigenen Liedern – nur auf der akustischen Gitarre begleitet –, darunter das Anti-Regierungs-Kultlied „Take-off your Crowns“, intonierte er „The dawning of the day“, geschrieben von dem irischen Dichter Patrick Kavanagh. Aus dem Publikum kam ganz leise eine Frau mit Akkordeon zu ihm nach vorne: Isabel Neuenfeldt war spontan und unangekündigt aus Berlin angereist. Aus Lauchhammer gesellten sich Karsten und Kerstin (Gesang und akustische Gitarre) hinzu. Die Session ging bis in die Morgenstunden.

Stehenden Applaus hatte es mehrfach gegeben an diesem 2. Juni in Lauchhammer: Als die über 80-jährige Garnspinnerin Brigitte, die ihr Können vorführte, ihr Rad packte und gehen wollte – und als Randolph Oechslein seinen Vortrag endete. „Es ist heute nicht mehr üblich, dass ein Kommunist nach seinem Vortrag stehenden Beifall vor ausverkauftem Haus erhält – genau da müssen wir wieder hin“, resümierte Marion Baur.

Weitere Informationen: flaxmill.eu, E-Mail: flaxmill@gmx.net

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"Zwischen Karde und Kommunismus", UZ vom 16. Juni 2023



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