Auf dem 26. Parteitag der DKP, der vom 20. bis 22. Juni in Frankfurt am Main stattfand, tauschten sich die Delegierten in drei Blöcken über ihre Erfahrungen in den Bereichen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Kommunalpolitik und Friedens- und Bündnispolitik aus. Die Beiträge, oft kollektiv in den Grundorganisationen erarbeitet, warfen einen Blick auf die Umsetzung des Beschlusses „Heizung, Brot und Frieden – In der Klasse wirken“ des 25. Parteitages. Wir dokumentieren auch aus aktuellem Anlass im Folgenden den Beitrag von Shabnam Shariatpanahi aus Duisburg, den sie im Block zur Kommunalpolitik hielt:
Ich will euch über Armutsverdrängung und Wohnraumverknappung in armen migrantisch geprägten Stadtteilen berichten. Ich arbeite und lebe im Duisburger Norden und wir sind dort in einer Stadtteilinitiative in Duisburg-Marxloh der Initiative Duisburger Nachbarn aktiv. Warum sind unsere Erfahrungen für die Partei wichtig?
Wenn man Milliarden für Rüstung und Reiche umverteilt, braucht man einen Schuldigen für Kürzungen im Sozialbereich, kaputte Schulen und Kindergärten und knappe kommunale Finanzen. Dafür müssen, wie aktuell in den USA, arme migrantische Teile der Arbeiterklasse herhalten. Wir in Duisburg scheinen das Experimentierfeld für entsprechende Politik zu sein. Die Arbeitsministerin Bärbel Bas und unser Oberbürgermeister Sören Link, beide SPD und übrigens beide aus Duisburg-Walsum, einem Nachbarstadtteil von Marxloh, sind aktuell in den Schlagzeilen mit der Forderung gegen Sozialbetrug und Armutszuwanderung in arme Städte des Ruhrgebietes. Gemeint sind besonders Duisburg und Gelsenkirchen. In den Fokus werden häufig Arbeitsmigranten aus Bulgarien und Rumänien genommen. Diese würden mit mafiösen Strukturen Sozialbetrug begehen. Kaum arbeiten, aber Kindergeld und Sozialleistungen beziehen. Außerdem würden sie in sogenannten Problemimmobilen wohnen und den Stadtteil abwerten.
Ich arbeite und engagiere mich seit Jahren in diesem Stadtteil. Ja, er ist arm. Direkt daneben liegt das größte Stahlwerk Deutschlands. Marxloh ist nicht groß, es hat etwas über 20.000 Einwohner, über 80 Prozent haben Migrationshintergrund, um die 60 Prozent keine deutsche Staatsbürgerschaft. Die Erwachsenen der Familien, die wir begleiten, arbeiten fast alle bei Thyssen, meist über Subunternehmen in der Industriereinigung, auf dem Bau, bei Amazon in Rheinberg, bei Paketdiensten oder bei der städtischen Reinigungs- und Sicherheitsgesellschaft Octeo.
Seit 2017 sind in Duisburg über 130 Häuser mit mehreren Wohnungen geräumt worden. Betroffen sind fast ausschließlich Häuser in armen Stadtteilen mit migrantischer Bevölkerungsstruktur. Besonders betroffen ist Marxloh – mit kompletten Wohnkomplexen. Inzwischen wurden tausende Menschen teilweise mehrmals geräumt. Ein Interesse an Instandsetzung gibt es seitens der Stadt nicht, es wird sogar blockiert. Die meisten Häuser stehen seit Jahren leer.
In der Sondereinheit „Task-Force Problemimmobilien“ sind verschiedene städtische Behörden gebündelt, aber auch das Jobcenter und die Familienkasse. Die Häuser aber werden meist unter dem Vorwand „Brandschutz“ geräumt. Warum ist denn bei einer Räumung, bei der es um Brandschutz geht, die Kindergeldkasse dabei? Zum Beispiel, weil mit dem Verlust des Wohnsitzes direkt der Bezug von Kindergeld abgemeldet wird.
Falls die Stadt überhaupt alternativen Wohnraum anbietet, dies macht sie meist nur, wenn wir dabei sind und es fordern, muss dieser von den Betroffenen selbst bezahlt werden. Man muss die Wohnung dann in drei Stunden räumen. Die Familien und Vermieter werden nie vorher informiert.
Wir versuchen, Öffentlichkeit zu schaffen, die Räumungen zu erschweren, zu skandalisieren und die Betroffenen zu unterstützen. In der Initiative arbeiten Betroffene aktiv mit. Wir organisieren mit ihnen Demonstrationen, Protestaktionen, Stadtteilfrühstücke, alternative Stadteilspaziergänge, anwaltliche Hilfen, Begleitung nach den Räumungen, Infoveranstaltungen. Unser Fokus liegt darauf, die Räumungen zu erschweren. Dabei arbeiten wir eng mit einer lokalen Initiative, die Arbeitsmigranten aus Südosteuropa betreut, zusammen. Sie heißt Stolipinovo in Europa.
Eine Verdrängungsmaßnahme ist das Abstellen von Wasser, um das Leben in den Häusern unmöglich zu machen. In einem großen Wohnkomplex mit 57 Häusern und bis zu 800 Menschen konnte bisher die Wasserabstellung und in der Folge die drohende Räumung verhindert werden. Unseren Slogan „Wir bleiben“ kennt in Marxloh jedes Kind.
Warum ist das so wichtig für die Partei? Wir müssen wieder in die von Armut betroffenen Stadtteile hinein, wenn wir Widerstand entwickeln und die Arbeiterklasse für ihre und unsere Interessen organisieren wollen. Arbeitsmigranten sind unsere Klassenbrüder und -schwestern. Sie werden – und das meist erfolgreich – als Ursache für die Probleme des Kapitalismus dargestellt. Dies wirkt bei großen Teilen der deutschen Bevölkerung. Aber keiner würde mit einem von ihnen in Marxloh tauschen wollen.
Unsere Partei kann gut analysieren und ist auch in vielen Bereichen aktiv. Im Bereich der häufig migrantischen geprägten armen Arbeits- und Wohnviertel in den Großstädten taucht sie aber kaum auf. Es gibt viel zu wenig Genossinnen und Genossen migrantischer Herkunft. Wir müssen aber wieder vor Ort sichtbar sein und orientierend wirken, sonst wird das nichts mit dem Einfluss in der Klasse. Traut euch raus und kommt mit den Menschen ins Gespräch!