„Normalerweise würde ich an dieser Stelle auf Organisatorisches eingehen“, begrüßt NGG-Sekretär Samir Boudih etwa 60 Lieferando-Rider vor dem „Hub“ des Unternehmens in Dortmund. „Heute brauche ich das nicht. Wir wollen Chaos verursachen!“ Das nämlich habe Lieferando sich verdient. Der Essenslieferservice weigert sich seit über zwei Jahren, mit der Gewerkschaft über einen Tarifvertrag zu verhandeln. Vor zwei Jahren, lobt Boudih seine Kollegen, habe der Standort Dortmund mit dem ersten Warnstreik der Branche Geschichte geschrieben. An diesem Dienstag mache man das wieder, mit dem ersten 72-Stunden-Warnstreik der Branche. Ein Rider aus Dortmund, der anonym bleiben möchte, erzählt im Gespräch mit UZ: „Die Arbeitsbedingungen werden immer schwieriger.“ In Münster plane Lieferando bereits Stellenstreichungen, in Dortmund sei man noch im Unklaren. Lieferando hatte kürzlich angekündigt, 2.000 Beschäftigten zu kündigen und die Auslieferung an betroffenen Standorten künftig von Subunternehmen wie „Fleetlery“ besorgen zu lassen. Union Busting und Outsourcing ganz nach Lehrbuch: Dort beschäftigte Rider sind scheinselbstständig. Keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall also, und das Risiko ausbleibender Bestellungen tragen sie selbst. „Wir streiken für ganz Deutschland, nicht nur für Dortmund“, unterstreicht der Rider. Der angekündigten Stellenstreichungen wegen streiken er und seine Kollegen nicht nur für einen Tarifvertrag, sondern zusätzlich für einen Sozialtarifvertrag. Längere Kündigungsfristen möchte die NGG darin vereinbaren, sagt Mark Baumeister während der Auftaktkundgebung. Baumeister ist Referatsleiter Gastgewerbe bei der Gewerkschaft. Er will auch eine Abfindungsregelung festlegen und fordert, die migrantischen Beschäftigten bei Lieferando müssten über ihre Rechte aufgeklärt werden.
Die Demonstration, die an diesem Mittag durch Dortmund zieht, ist klein, aber gut sichtbar und vor allem: laut. „Hopp, hopp, hopp, Lieferstopp!“ skandieren die Teilnehmer, und „Stoppt die Schattenflotten!“ Ihr Zug erregt Aufsehen. Ungewöhnlich viele Passanten bleiben stehen, skandieren mit, filmen. „Rücken krumm, Taschen leer: Lieferando danke sehr!“ Fühlt sich der lange Kampf für einen Tarifvertrag bei Lieferando wie einer gegen Windmühlen an? „Nee, überhaupt nicht. Sondern wie ein Kampf gegen eine untätige Politik“, sagt Mark Baumeister im Gespräch mit UZ. Die Umstellung auf Schattenflotten sei ein Zeichen dafür, dass die Politik geschlafen habe. Es brauche ein Direktanstellungsgebot wie in der Fleischindustrie. Das Betriebsverfassungsgesetz müsse reformiert werden, damit Beschäftigte überall einen Betriebsrat wählen können. Zudem müsse Deutschland endlich die EU-Plattformrichtlinie umsetzen.