Nach dem Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete in Incirlik

Antrag auf Besuchserlaubnis

Von Rüdiger Göbel

Abzug der Bundeswehr vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik? Die Bundesregierung verkündet, man sei dazu „mit der türkischen Seite im Gespräch“ und arbeite „an einer Entscheidung bis Mitte Juni“. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Abzug der rund 250 Soldaten und der deutschen „Tornado“-Flugzeuge für den Fall angekündigt, dass die türkische Regierung einer Gruppe deutscher Parlamentarier den Besuch auf dem NATO-Stützpunkt im Südosten der Türkei weiterhin verwehrt.

Fünf Wochen nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei hat sich Staatschef Recep Tayyip Erdogan wieder zum Vorsitzenden der islamistischen Regierungspartei AKP wählen lassen. Als einziger Kandidat für den Vorsitz hatte er auf einem Sonderparteitag zwar keine 100 Prozent wie Martin Schulz beim Krönungsparteitag der SPD erreicht, die gut 96 Prozent der Delegiertenstimmen verleihen dem starken Mann am Bosporus dennoch Flügel. Rund 100 000 Anhänger aus allen 81 Provinzen der Türkei hat Erdogan nach Ankara bringen lassen. Der AKP-Chef nutzte seine neue Bestätigung für neuerlich markige Worte im Vorfeld seines Treffens mit der Spitze der EU. „Mit welchem Recht fragt ihr uns nach der Aufhebung des Ausnahmezustands“, wetterte der türkische Präsident. „Er wird nicht aufgehoben. Bis wann? Bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir Frieden und Wohlstand erlangt haben.“

Wer glaubte oder ein klein wenig hoffte, nach der Volksabstimmung am 16. April werde Erdogan auf seine Kritiker zugehen und ihnen die Hand reichen, muss spätestens jetzt, zum Jahrestag der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages, erkennen, wie falsch er liegt. Erdogan schaltet auf stur und brüskiert ein ums andere Mal die deutsche Seite. Dass der Bundestag am 2. Juni 2016 fraktionsübergreifend eine Entschließung verabschiedete, in der die Vertreibung der Armenier 1915/1916 und die Massaker des Osmanischen Reiches als Völkermord benannt und verteilt werden, sorgt in Ankara weiter für blanken Hass und Verachtung. Deutsche Abgeordnete, die ihre parlamentarischen Rechte wahrnehmen und Soldaten der Bundeswehr im türkischen Incirlik und Konya besuchen wollen, werden als Bittsteller behandelt und nicht vorgelassen.

Die Bundesregierung – und auch die Regierungsparteien – machten viel zu lange gute Miene zum bösen Spiel, statt endlich die zwingenden Konsequenzen zu ziehen. Erdogan kann sich in seinem goldenen Sessel im Sultanspalast zufrieden zurücklehnen und nur amüsieren, wenn etwa SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in der „Bild am Sonntag“ groß ankündigte: „Wenn Frau Merkel es beim NATO-Gipfel (…) nicht gelingt, die Türkei zur Umkehr zu bewegen, brauchen wir Alternativ-Standorte.“ Ähnlich hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und selbst die Kanzlerin argumentiert – und vor gut einem halben Jahr schon der damalige SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Passiert ist nichts. Wie immer, wenn es um die deutsche Türkei-Politik geht.

Einen gemeinsamen Antrag von der Partei Die Linke und den Grünen im Bundestag haben die Abgeordneten von CDU, CSU und SPD wenige Tage zuvor durchfallen lassen. Uneins sind sich die Regierungsparteien, ob nur der Standort Incirlik als Basis der „Tornado“-Aufklärungsmaschinen in Frage gestellt werden muss oder nicht auch Konya mit den AWACS-Maschinen der NATO.

Erdogan hat das Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete unverhohlen mit dem politischen Asyl verknüpft, das türkische NATO-Soldaten gerade in Deutschland erhalten haben, weil sie im Fall einer Rückkehr in ihr Land mit Inhaftierung wegen angeblicher Teilnahme an dem Putschversuch im Juli 2016 rechnen müssen. Statt angesichts dieser Erpressung erster Güte Rückgrat und Haltung zu zeigen, meinte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) ausgerechnet die US-Regierung unter dem sonst viel gescholtenen Präsidenten Donald Trump um Unterstützung und Vermittlung im Konflikt mit Erdogan anrufen zu müssen. Wolfgang Hellmich, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, hofft in Sachen Truppenbesuch durch deutsche Parlamentarier auf Unterstützung bei der NATO.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg winkte ab und verwies darauf, bei dem „Disput“ handle es sich um eine „bilaterale Angelegenheit“, bei der die beiden NATO-Mitglieder Deutschland und Türkei schon selbst eine Lösung finden müssten

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"Antrag auf Besuchserlaubnis", UZ vom 2. Juni 2017



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