Währungsabwertung in China, Börsencrash – Sturm im Wasserglas oder tektonisches Knirschen?

Aufgeblasen

Von Klaus Wagener

Der Crash Anfang letzter Woche ließ den Zockern den Atem stocken. Weltweit lagen die großen Indizes massiv im Minus. Noch im Mai dieses Jahres hatte der Dow Jones Industrial bei 18 350 Punkten gelegen. Jetzt war er um fast 3 000 Punkte abgestürzt. Fast 2 000 innerhalb von sieben Handelstagen. Der Dax fiel unter die 10 000er Marke. Aber besonders arg traf es den Shanghai Composit. Vom Hoch im Juli mit 5 178 Punkten verlor er 45 Prozent auf 2 851 Punkte. In sieben Handelstagen 27 Prozent. Erdöl und Industriemetalle gerieten weiter unter Druck. Die Sorte WTI notierte vor einem Monat noch bei über 60 US-Dollar, nun rutschte sie ab auf 37,75. So tief war der Ölpreis zuletzt 2008 abgesackt. Auch der „Baltic Dry“, ein Schifffahrts-Preisindex für Massenfrachtgüter signalisiert: ziemliche Flaute. Die „Märkte“ hatten abrupt in den Panikmodus geschaltet. Es bedurfte massiver Stützungsmaßnahmen der PBC (Peoples Bank of China) und der Ankündigung eines immensen staatlichen Aktien-Aufkaufprogramms um den Absturz zu stoppen. (es gibt Fälle, da finden auch Ordoliberale staatlichen Interventiontionismus ok.) Inwieweit die nun folgende Erholung nachhaltig ist, oder nur ein typischer „Dead-Cat-Bounce“, der Versuch in einem fallenden Markt noch schnell Kasse zu machen, wird sich zeigen.

Als Auslöser des Aktiencrash wurde die mehrfache, deutliche Abwertung des Renminbi gegenüber dem Dollar gehandelt. Interessant war nicht so sehr die gegenüber den vorherigen Aufwertungen (Von 8,27 RMB/USD in 2005 auf 6,10 RMB/USD in Okt. 2014) eher begrenzten Herabstufungen um etwa 3,5 Prozent auf aktuell 6,40 RMB/USD, sondern das Faktum, dass die PBC es überhaupt für erforderlich hielt, die eigene Währung so deutlich abzuwerten. Natürlich war bewusst, dass die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten auch für die nachholende Wirtschaft Chinas zumindest vorerst Geschichte sind und selbst die Sieben vor dem Komma für 2015 schon ambitioniert aussieht. Dennoch, im Vergleich zu der anämischen Performance der kapitalistischen Hauptstaaten, steckt die ökonomische Dynamik der Weltwirtschaft vor allem in der Aufholjagd der sogenannten „Schwellenländer“. Und an deren Spitze eben in der großen Industrialisierung Chinas. Bei der Entwicklung der Währungsparitäten, die – in gewisser Weise – Ausdruck der realökonomischen Prozesse sind, wurde also eine entsprechende parallellaufende Tendenz vermutet. Dass ausgerechnet der Renminbi so deutlich gegen den Dollar abwertet, passte da nicht so ganz ins Bild.

Ganz ungetrübt verläuft die chinesische Erfolgsstory in den Augen der Börsenzocker in der letzten Zeit ohnehin nicht. Mit dem Nachlassen der Wachtumsdynamik schwinden die Profitphantasien. Natürlich sind die Exportmarktanteile der deutschen Wirtschaft in bspw. Frankreich oder USA deutlich höher. Aber die profitablen Zuwächse liegen eher in den Wachstumsmärkten der „aufstrebenden“ Staaten. Und in einer von den Großzockern beherrschten Wirtschaft ist Wachstumsphantasie die entscheidende Kennziffer. Das „Heiße Kapital“ strömt zu den profitversprechenden Hotspots der globalen Ökonomie, bläht diese auf und verschwindet ebenso rasch, wenn die ersten Anzeichen von Problemen auftauchen. Die erkennbar hohe Volatilität (Schwankungsbreite) der Kurse ist ein Indikator für die manifeste Unsicherheit der Zocker in einem liquiditätsgetriebenen Markt. Dem „Quantitative Easing“ (QE) genannten Programmen der wichtigsten Zentralbanken, die drohende Deflation durch eine billionenschwere Expansion der Geldbasis zu begegnen, dürfte so manche Bank und manchen Zocker gerettet haben, die Aktienkurse kletterten in ungeahnte Höhen, es gibt Geld im Überfluss wie nie. (In die Realwirtschaft hat es sich allerdings kaum verirrt.) Nicht wenige machen, wie auch die PBC, die Ankündigung von Fed-Chefin Janet Yellen, die Zinsen anheben zu wollen, als eigentliche Ursache des Crash aus. Alle bisherigen Versuche der US-Zentralbank die „Finanzmärkte“ vom Tropf zu nehmen waren bislang in erheblichen Turbulenzen gescheitert. Insbesondere die Finanzierung der „aufstrebenden Staaten“ geriet unter Druck. Die Weltwirtschaft läuft nun sieben Jahre im Dopingmodus. Ein Kalter Entzug, falls er versucht wird, dürfte nicht ohne Konsequenzen bleiben.

Allein in 2014 machten die US-Unternehmen einen Gewinn von 1,8 Billionen Dollar – nach Steuern. Der Weltökonom Helmut Schmidt glaubte 1974: „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen.“ Nun, das war schon damals falsch. Richtig ist: Der Geldsegen der US-Multis verschwand in Offshore-Verstecken (aktueller Stand etwa 2,1 Billionen Dollar), wandelte sich in Dividenden oder Aktienrückkaufprogrammen (letzteres allein in 2014 fast 1 Billion Dollar). Die US-Multis brauchen weder Kredite noch Investoren, sie wissen selbst nicht wohin mit der Kohle. Die QE-Programme der Fed zielten, zumindest was die Realwirtschaft angeht, komplett an der Realität vorbei. Dafür ist nun derartig viel Liquidität im Markt, dass die Asset-Bewertungen (Vermögenswerte) enorm angezogen haben, und dass schon realwirtschaftlich geringe Veränderungen zu enormen Bewegungen dieses fiktiven Kapitals führen können.

Damit sollen die politökonomischen Probleme der VR Chinas nicht verniedlicht werden. Das extreme exportbasierte Wachstumskonzept als billige Werkstatt der Welt dürfte in der Krise 2007ff an seine Grenzen gestoßen sein. Der Versuch dem Einbruch mit massiven Konjunktur- und Kreditprogrammen zu begegnen, dürfte, bei stagnierenden Exportmärkten, der Gefahr der Blasenbildung nicht entkommen sein. Der Versuch eines Umsteuerns, hin zu einem Ausbau eines binnenmarktorientierten Servicesektor, begonnen mit dem 12. Fünfjahrplan 2011, ist ausgesprochen komplex und ambitioniert. Er geht notwendig einher mit einer Abnahme der Wachstumsraten. Möglicherweise stärker als geplant. Damit dürfte, wenn alles gut läuft, die größte Boomregion der Welt allmählich auf Normalbetrieb umschalten. Was es für die ökonomische Expansion des „Westens“ allerdings nicht einfacher macht. Auch der Weltmarkt ist endlich.

Die der großen Krise 2007ff zugrunde liegenden Widersprüche sind weiterhin ungelöst. Der aktuelle Kurssturz und die hohe Volatilität verweisen wieder einmal darauf. Die Zentralbank-Billionen haben das große Bankensterben und den Sturz in die Depression aufgehalten. Zu einem hohen Preis. Das zentrale Problem der Überakkumulation ist geblieben. Die ungeheure Masse des akkumulierten Kapitals, nun zusätzlich aufgeblasen, findet immer weniger profitable Anlagen. Gleichzeitig sind selbst die stärksten kapitalistischen Staaten nicht mehr in der Lage ihre Infrastruktur, ihre sozialen und kulturellen Standards, sowie ihr Niveau der Gesundheits- und Alterssicherung aufrecht zu erhalten. Von systematischer Verarmung und Perspektivlosigkeit selbst in den globalen Zentren ganz zu schweigen. Die Zentralbanken haben sich um die Probleme der Zocker gekümmert. Das war nicht anders zu erwarten. Alle anderen können sehen, wo sie bleiben. Es rettet uns auch diesmal kein höh’res Wesen.

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"Aufgeblasen", UZ vom 4. September 2015



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