Frank-Walter Steinmeier, der sein Amt der SPD verdankt, hat mit seiner Rede zum 9. November nicht nur das außenpolitische Erbe von Willy Brandt als erstem SPD-Kanzler der Bundesrepublik mit Füßen getreten. Abermals ersetzte er dessen Politik der Aussöhnung mit Russland durch den Aufruf, sich gegen den „Aggressor“ aus dem Osten wehrhaft zu zeigen. Er hat auch gleich dessen innenpolitische Hauptlehre mit in die Tonne getreten. Brandt hatte immerhin die Größe, die von ihm als Eintrittspreis ins Kanzleramt und Legalisierung einer kommunistischen Partei verordnete Praxis der Berufsverbote im Nachhinein als schweren Fehler zu benennen.
Nun feiert diese Praxis eine Wiederauferstehung: „Wehrhaft zu sein, das heißt: Kommunalverwaltungen, die Polizei, die Bundeswehr, Lehrerinnen und Lehrer an Schulen, Hochschullehrer – sie alle müssen für unsere Werte einstehen, unmissverständlich, Tag für Tag.“ Natürlich müssten die Beamtinnen und Beamten in der Ausübung ihres Amtes neutral sein im parteipolitischen Sinn. „Sie dürfen aber nicht neutral sein“, so Steinmeier, „wenn es um den Wertekanon unseres Grundgesetzes geht. Sie müssen sich zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und für sie eintreten.“
So, wie diese Republik gestrickt ist, liegt auf der Hand: Egal gegen wen das nun aktuell ins Feld geführt wird, wenn es zum Schuss kommt, werden diese Berufsverbote alle Linken in diesem Lande treffen, sollten sie von ihrem leisen Aufschwung, in dem sie sich befinden, zu politisch relevanter Stärke finden.
Steinmeiers Amtszeit läuft in sehr gut einem Jahr ab. Von seiner vorletzten Rede zum 9. November wird nicht viel bleiben. Sein Flehen, auf keinen Fall die AfD in eine Regierung zu lassen, wird verpuffen. Bleiben wird sein Durchhalteappell für die Aufrüstung gegen Russland. Bleiben wird seine krude Begründung für die Wiedereinführung der Berufsverbote und allgemein die Anwendung repressiver Mittel gegen jede Art von Extremismus, die er in gewohnter Weise sowohl von rechts als auch von links auf sich und die etablierten politischen Kräfte zumarschieren sieht.
Damit ist sie eine Rede des doppelten Verrats an der Traditionslinie von Willy Brandt geworden, dem Gerhard Schröder wenigstens außenpolitisch noch die Treue gehalten hat.


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