Der Griff nach Afrikas Landwirtschaft schafft die Migranten, die Frontex bekämpft

Bayer CropScience will in Afrika expandieren

Von Jördis Land

Migranten verdoppeln Londons Einwohnerzahl in 30 Jahren!“ Was sich anhört wie eine Horrormeldung aus der Propagandazentrale von Frontex, geschah zwischen 1800 und 1830 und war Teil einer langen Entwicklung: der Adel bemächtige sich staatlicher und kirchlicher Ländereien, enteignete kollektiven Dorfbesitz und überführte abgabepflichtiges Lehen in Privateigentum an Boden. Sein Ziel war nicht mehr die eigene Versorgung durch viele abgabepflichtige Bauern, sondern Bereicherung durch Warenproduktion für die neue Wollindustrie und die wachsende städtische Bevölkerung. Die Einführung des kapitalistischen Pachtsystems in der Landwirtschaft führte zu massenhafter Vertreibung der Bauern, verharmlosend „Landflucht“ genannt. Ihre Zahl überstieg erheblich die der Lohnarbeitsplätze auf dem Land oder in den neuen Fabriken und die Armut wuchs. Da die Grundherren mit Auflösung der Feudalordnung auch die Armenfürsorge auf die Gemeinden des Geburtsortes und Steuergelder abgewälzt hatten, sollten Zwangsgesetze ungewollten Zuzug verhindern: für Vagabunden galten harte Strafen bis zu Versklavung und Hinrichtung, ledige Schwangere wurden vor der Geburt abgeschoben, um dem Kind die Fürsorgeberechtigung vorzuenthalten.

Seither zwingt die Ausweitung der kapitalistischen Produktionsweise weltweit Menschen in die Suche nach Möglichkeiten für den Verkauf ihrer Arbeitskraft, nun verharmlosend „Migration“ genannt. Neue Zwangsgesetze sollen ganze Staaten gegen den Zuzug der Armen abschotten. Die deutsche Regierung führt Regie bei der Flüchtlingsabwehr und fördert gleichzeitig die Unternehmen, deren Profitstrategie ehemalige Kleinbauern in die Migration treibt. Dies gilt besonders für das Agrobusiness. Die Vertreibung durch den Investoren-Griff nach Land fand als „Landgrab“ auch den Weg in Mainstream-Medien, der kapitalistische Griff nach der Landwirtschaft wird dagegen als „Beitrag zur Armutsbekämpfung“ schöngeredet.

Bayer Crop Science …

ist führend daran beteiligt. 2014 machte der Teilkonzern mit 9,5 Mrd. Euro 22 Prozent der Umsätze der Bayer AG, einer Holding, hinter der Kapital aus Streubesitz steht. Nur ca. 20 Prozent der Aktien waren Ende 2014 in deutschem Besitz, ca. ein Drittel wurde in Nordamerika gehalten, z. B. vom Versicherungskonzern „Sun Life“ und dem Investmentunternehmen Black Rock, 39 Prozent kamen aus EU-Ländern. In rund 90 Unternehmen produziert Bayer CropScience Pflanzenschutzmittel und Hochleistungs-Saatgut. Die konventionelle Züchtung kreuzt Pflanzen zu Hybridsorten mit besonders günstigen Eigenschaften, die sich bei Wiederaussaat der Ernte aber wieder verlieren. Mit Gentechnik können weitere Eigenschaften auf das Saatgut übertragen werden, meist eine Resistenz gegen bestimmte Unkrautvernichtungsmittel des gleichen Konzerns. Der gemeinsame Einsatz soll die Erträge erhöhen. Alle diese patentgeschützten Sorten erfordern größere Mengen von Pestiziden, Dünger und normalerweise viel Wasser und rentieren sich nur in größeren Betrieben mit Maschineneinsatz. Diese industrielle Landwirtschaft umfasst in Afrika nur ca. 20 Prozent der Agrarwirtschaft, so dass der Kontinent für Bayer CropScience bisher eine untergeordnete Rolle spielt: er verkauft Pestizide vor allem in Südafrika und nutzt geringe Auflagen für Freilandversuche mit GV-Reis und GV-Baumwolle.

… und die Landwirtschaft in Afrika

Noch lebt die Mehrheit der Bevölkerung von einer traditionellen Landwirtschaft auf sehr kleinen Parzellen, bei der als Saatgut Teile der eigenen Ernte dienen. Gerade sie hungern, wenn Ernte oder Erlös nicht bis zum nächsten Jahr oder für steigende Nahrungsmittelpreise reichen. Eine akute Verschärfung dieser Nahrungsmittelkrise fand 2008 den Weg in die Leitmedien. Dabei wurde oft die geringe Produktivität der Landwirtschaft betont. Ausgeblendet blieb dagegen die ungleiche Verfügung über Boden, nicht erwähnt wurde, dass Weltbank und IWF der Krise den Boden bereitet hatten: als Vorbedingung für Kredite verordneten sie den hoch verschuldeten Entwicklungsländern drastische Kürzungen bei der staatlichen Unterstützung für die Bauern, Öffnung der Märkte für subventionierte Agrarprodukte aus den Industrieländern und den Anbau tropischer Exportprodukte statt lokaler Grundnahrungsmittel. Diese Berichterstattung leistete bereits Schützenhilfe für eine umfassende Strategie.

Das Agrobusiness wittert neue Chancen

Denn für das Agrobusiness bedeuten wachsende Nachfrage und steigende Preise für Agrarprodukte neue Profitmöglichkeiten und unter wachsendem Konkurrenzdruck soll nun auch Afrika ihrem Zugriff erschlossen werden. Gleichzeitig wollten Politiker Hungerkonflikte entschärfen: die G8-Staaten versprachen mehr Entwicklungshilfe für den Agrarbereich, die BRD 1,3 Mrd. Euro im Jahr allein für Afrika. Auch dort beschlossen die Regierungen ein Agrar-Entwicklungsprogramm, unterschreiten jedoch meist die vereinbarte Förderung mit 10 Prozent des Staatshaushaltes und versuchen, Gelder aus Entwicklungshilfe und von Investoren zu mobilisieren. So können Agrarunternehmen dafür sorgen, dass das versprochene politische Engagement in ihrem Sinne umgesetzt wird.

… und PPP dienen als Türöffner

Das Ergebnis sind Public Private Partnerships (PPP), also Kooperationen zwischen Unternehmen, staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen, die für die Expansionsstrategie der Unternehmen wichtig sind: Regierungen aus Industrieländern stellen die Verbindung zu afrikanischen Staaten her und gewähren unter Auflage von Bedingungen Entwicklungshilfe; Bauernverbände sind als Distributoren für Schulung und Vermarktung willkommen; Banken liefern die benötigten Kredite, Nicht-Regierungsorganisationen erleichtern die Umsetzung. An führender Stelle steht seit 2006 die „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika“ der Stiftung „Bill & Melinda Gates Foundation“, deren Gelder den Ein/Absatz von Hochleistungs-Saatgut, Dünger und Pestiziden fördern, obwohl in Asien und Lateinamerika die ökologischen und sozialen Folgeschäden bereits sichtbar werden.

Ein deutscher Ableger ist die „German Food Partnership“ GFP, gegründet nach einem Treffen von Entwicklungsminister Niebel mit Bill Gates und Unternehmen des Agrobusiness und der Ernährungsindustrie. Sie reichen von Bayer CropScience über kleinere Hersteller von Landmaschinen, Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen bis zur Handelskette Metro. Die einen wollen ihren Absatz erhöhen, die anderen die Kontrolle über Produktionsketten erlangen. Sie lassen ihren Beitrag von 40 Mio. Euro mit jeweils 20 Mio. Entwicklungshilfegeldern der BRD und der Bill & Melinda Gates Foundation aufpeppen. Damit betreibt das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) Imageförderung für die Firmen, bietet ihnen Reisen zur Markt­erkundung und Markteinstiegshilfen. Dank Entwicklungshilfe bei „produktneutraler“ Schulung afrikanischer Vertragspartner konnte Bayer in Kenia den Pestizidabsatz über 20 Prozent steigern: „Durch dieses Programm sind wir effektiver geworden. Wir können uns jetzt in einem umkämpften Markt behaupten. Wir bedienen die Bedürfnisse der Kunden und bringen sie dazu, unsere Produkte zu kaufen.“ Darüber hinaus sorgt das BMZ mit Vorbedingungen für Entwicklungsgelder bei den afrikanischen Regierungen für Steuererleichterungen, Senkung von Einfuhrzöllen und vor allem für Saatgutgesetze, welche verbieten, eigenes Saatgut zu tauschen und zu verkaufen, damit kommerzielle Produkte verwendet werden.

Auch Nichtregierungsorganisationen und Bauernverbände sind GFP-Partner, werden aber weder in die Leitung noch in konkrete Planungen einbezogen, weil die Projektvereinbarungen mit den Unternehmen bislang geheim bleiben sollen.

Bayer CropScience ist mit Hochleistungs-Hybrid-Reis und den erforderlichen Pflanzenschutzmitteln beteiligt an dem GFP-Projekt „Konkurrenzfähige Reis-Initiative“ für Nigeria, Ghana, Burkina Faso und Tansania sowie der „Kartoffel-Initiative“, die in Kenia und Nigeria Anbau und Verarbeitung von Kartoffeln einführen soll. Da am Anfang der Projekte die Wünsche der Unternehmen stehen und nicht Studien zu ihrem Entwicklungspotential für die afrikanischen Länder, geht es bei der Reisinitiative nicht um eine verbesserte Anbaumethode mit geringem Bedarf an Wasser, Saatgut, Dünger und Pestiziden, mit der in Afrika bereits deutliche Produktionssteigerungen erzielt wurden. Die Entwicklungsgelder fördern den teuren Anbau von patentiertem Saatgut, welches jedes Jahr mit Dünger und Pestiziden neu gekauft werden muss. Marc Reichardt, der Afrika-Verantwortliche von Bayer CropScience, fordert Schutz für geistiges Eigentum: „In Afrika sind immer noch zu viele illegale und nicht zugelassene Produkte im freien Umlauf. Damit wir erfolgreich dagegen vorgehen können, müssen Gesetze und Datenschutzbestimmungen vereinheitlicht werden“.

Mit der Losung „Gegen den Hunger“ gegen die Kleinbauern

Als leicht vermittelbares Ziel solcher Partnerschaften dient die Bekämpfung des Hungers unter dem simplen Motto: „Wenn durch Investitionen in den Einsatz von Hochleistungssaatgut, Düngemitteln und Pestiziden mehr produziert wird, ist genug für alle da“. Nach Hans-Joachim Wegfahrt von Bayer CropScience ist der Beitrag des Agrobusiness zu GFP jedoch „keine Charity-Veranstaltung“, im Gegenteil das Projekt müsse sich auszahlen.

Deshalb geht es nicht um die Bekämpfung von Armut durch erleichterten Zugang von Kleinbauern zu Land, Wasser oder Saatgut. Es geht um verbesserten Zugang der Agrounternehmen zu den Kleinbauern. Bei diesem Griff nach der Landwirtschaft helfen Partnerschaften mit Organisationen, welche die Farmer mit Inputs versorgen. So sind die noch erhaltenen staatlichen Beratungs- und Belieferungsunternehmen für die Baumwollfarmer in Kamerun zum Glücksfall für Bayer CropScience geworden. In anderen Staaten übernehmen private Händlernetze diese Aufgabe.

Der Schwerpunkt der Projekte liegt auch nicht auf der Produktion für lokale oder regionale Märkte, gefördert wird die Einbindung der Bauern in Produktionsketten, in denen die großen Unternehmen des Einzelhandels wie Metro mit ihrer Marktmacht die Bedingungen stellen und den Gewinn abschöpfen: Gemüsebauern in Simbabwe und Kenia erhalten 14 Prozent vom Ladenpreis, die Supermärkte 45 Prozent. Bayer CropScience erweitert seine 240 „Food Chain Partnerships“ auf Afrika: sie bieten den Bauern all-inclusive neben Inputs, Schulungen und Krediten gleich die Anbindung an Lebensmittelverarbeiter und den Handelskonzern Metro.

Oft geschieht dies über Vertragswirtschaft. Dabei gehen formal selbstständige Bauern mit eigenem Land Verträge mit Unternehmen ein, welche sie mit Inputs und Beratung versorgen und ihre Produkte zu bestimmten Mengen, Qualitäten und Preisen abnehmen. So erhalten sie ohne eigene Investitionen und Landkonflikte billig die qualitativ und quantitativ gewünschte Warenmenge und wälzen Risiko und die Einhaltung von Arbeitsbedingungen auf die Bauern ab. Diese müssen oft Vertragsbedingungen zu ihren Ungunsten einhalten und dafür den Anbau für die Eigenversorgung einschränken. Dient ihr Land als Sicherheit für Kredite, verlieren sie die Existenzgrundlage, wenn die Kosten nicht durch den Erlös gedeckt werden. Im Vertragsanbau bleiben nur die ökonomisch Stärkeren.

Landbesitz in Afrika soll konzentriert werden. O-Ton Bayer bei der Vorstellung der GFP-Projekte: „Eine „Grüne Revolution“ ist mit Kleinbauern nicht zu machen.“ Internationale Investoren sollen auf klimatisch günstige Regionen zugreifen und einen kleinen Teil der einheimischen Bevölkerung als Saisonarbeiter oder in Vertragslandwirtschaft beschäftigen, in weniger begünstigten Gebieten kann mit staatlicher Hilfe dann auch ökologisch nachhaltigere Landwirtschaft zum Einsatz kommen. Auf jeden Fall konzen­trieren sich alle Fördermaßnahmen auf etwa 10 bis 25 Prozent der Bauern mit besseren Chancen, die anderen sollen sich andere Arbeitsplätze suchen. In Europa sind jedoch nur diejenigen erwünscht, die auf dem Arbeitsmarkt gerade gebraucht werden.

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"Bayer CropScience will in Afrika expandieren", UZ vom 26. Juni 2015



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