Mehr Urlaub, weniger Tage oder weniger Stunden? Viele Wege führen zur Arbeitszeitverkürzung

Bei vollem Lohnausgleich!

„In Deutschland wird zu wenig gearbeitet“, verkündete der deutsche Finanzminister Christian Lindner auf der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in der vergangenen Woche und machte als eine der Ursachen die Arbeitszeitverkürzungen in Deutschland aus. Sekundiert wurde er am gleichen Tag vom Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Rainer Dulger, welcher den Standort Deutschland durch Arbeitszeitverkürzungen bedroht sieht.

Nun ist das Zusammenspiel von Kapital und Kabinett nichts Neues, jedoch kommt dieses nicht zufällig. In den letzten zehn Jahren haben die Debatten um weitere Arbeitszeitverkürzungen zugenommen. Fast jede Tarifrunde der Gewerkschaften wird von Forderungen zur Arbeitszeitverkürzung begleitet. Jahrzehntelang spielte die Arbeitszeitverkürzung in den Gewerkschaften nur eine untergeordnete Rolle. Hintergründe für den Wandel sind die zunehmenden Arbeitsbelastungen durch Intensivierung der Arbeit, verstärkt durch die zunehmende Digitalisierung. Die Wirkungen für die Unternehmen werden von den Kapitalvertretern gerne unterschlagen. Die deutsche Wirtschaft kann im internationalen Vergleich in der Produktivitätsentwicklung gut mithalten und auch die Lohnstückkosten bewegen sich eher im Mittelfeld. Beides steht im Zusammenhang mit der zunehmenden Intensivierung und damit der Belastung der Erwerbstätigen. Gleichzeitig wird in Deutschland das höchste Arbeitsvolumen (geleistete Arbeitsstunden) seit mehr als fünfzig Jahren verzeichnet.

Auf diese Entwicklung haben die Gewerkschaften reagiert. Allerdings nicht, wie es nach dem Einstieg in den 1980er Jahren nach dem Arbeitskampf der IG Metall für die 35 Stunden-Woche erwartet wurde. Ein Blick auf die Tarifverträge lässt heute eine Vielfalt von verschiedenen Varianten und Modellen erkennen. Eine gemeinsame Marschrichtung auf eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit (35- oder 30-Stunden-Woche in fünf Tagen) gibt es nicht mehr. Arbeitszeitkorridore, 4-Tage-Woche, mehr Urlaub, Sabbaticals (Auszeiten) oder Wahlmodelle verschiedener Varianten finden sich entweder in den Forderungskatalogen der Gewerkschaften oder sind in (meist) großen Unternehmen mittlerweile zum Standard in den Tarifverträgen geworden. Die betriebliche Realität hat sich gewandelt. Die Motivation für die jeweiligen Modelle ist verschieden. Beschäftigte in Schichtbetrieben zum Beispiel spüren wenig von einer Stunde weniger Arbeit am Tag, die Entlastung entsteht eher durch mehr zusammenhängende freie Tage. Bei einer hohen Intensität der Tätigkeit, bei der eine höhere Konzentration erforderlich ist, hilft eher eine geringere Arbeitszeit am Tag, um durchzuhalten. Die unterschiedlichen Tätigkeiten bringen unterschiedliche Forderungen nach Entlastung hervor.

Wichtig ist und bleibt aber bei Arbeitszeitverkürzungen, immer auch die Wirkung auf die Arbeitsbedingungen einzubeziehen, denn sonst gehen die daraus entstandenen Produktivitätsgewinne für die Unternehmen zugunsten des Kapitals. Die Lohnentwicklung hält schon jetzt nicht mit den Produktivitätssteigerungen stand. Eine wesentliche Grundforderung bleibt daher: Die Arbeitszeitverkürzungsmodelle müssen einhergehen mit der Forderung nach vollem Lohn- und Personalausgleich.

Unser Autor ist Betriebsratsvorsitzender und aktiv in der Gewerkschaft EVG. Er kandidiert für die DKP zur EU-Wahl auf Listenplatz 16.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Bei vollem Lohnausgleich!", UZ vom 26. April 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Haus.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit