Zu „Raus in 15 Minuten“, UZ vom 8. Mai

Bekannte Masche

Hans Reinhardt, Glashütten

Diese Masche kenne ich aus eigener Erfahrung als Betriebsratsvorsitzender einer oberbayerischen Privatbrauerei. Nachdem die überforderte Chefin dem früheren Schadenssachbearbeiter und Vertriebsleiter für das Depot in Niederbayern Prokura verlieh und ihn mit den Aufgaben Outsourcing und „Personalabbau“ betraute, war dieser karrieregeile Emporkömmling nicht mehr zu bremsen. Umgehend nach „Ernennung“ stellte er vom vertraulichen per „Du“ auf „Sie“ um. Das alleine hätte für mich nicht unbedingt einen Verlust bedeutet, da ich das „Du“ sowieso nur für Freunde und Leute, die ich schätze, verwende. Es war aber die Einleitung seiner sehr fragwürdigen Machenschaften.

Mit Hilfe einer Münchner Anwaltskanzlei, die zur damaligen Zeit – ähnlich wie die berüchtigte um Naujoks – im Internet öffentlich mit dem Slogan „Kündigung von Unkündbaren“ warb – und so auf Betriebsräte abzielte –, erlernte er flugs die gerade noch rechtskonformen Praktiken, die man als „Betriebsdiktator“ eben so braucht, als Grundausstattung sozusagen. Neben dem Fuhrpark, der Abfüllerei, der Leergutsortierung, ließ er auch die Kommissionierung nicht schadlos. In dieser Abteilung, die auch nicht vom wachsenden Leistungsdruck befreit war, kommissionierte ein Mitarbeiter täglich 2.000 bis 2.500 Kästen auf Paletten. Mit einem Gewicht von bis zu 20 Kilogramm pro Kasten bewegten diese Kollegen täglich zwischen 40 und 50 Tonnen. Unterlief einem dieser Schwerarbeiter wöchentlich ein Fehler (es reichte dafür ein falscher Kasten), hatte dieser Oberschikanierer, in Begleitung des praktischen Betriebsleiters, seinen publikumswirksamen Auftritt. Mit Klemmbrett und „Schwarzbuch“ ausgerüstet, rief er in der von allen Abteilungen einsehbaren Verladehalle den „Delinquenten“ zu sich und sprach:

„Uns ist aufgefallen, dass sich bei Ihnen die Fehler häufen. Wir leiten daraus ein mangelndes Interesse an ihrer Aufgabe ab. Diesmal bleibt es bei einer Verwarnung, jedoch beim nächsten Mal müssen (…) wir eine Abmahnung erteilen. Sie wissen ja sicher, dass Sie nach der dritten fristlos gekündigt werden. Wollen Sie dem nicht zuvorkommen und uns mit einer stattlichen Abfindung verlassen? Wir bauen Ihnen hier eine goldene Brücke, ich hoffe, Sie wissen sie zu nutzen.“

Auch ich, als Betriebsratsvorsitzender, war eins seiner „Lieblingsziele“ für seine Hinterfotzigkeiten. So kam es, dass ich in einer einzigen Woche (…) ganze acht Abmahnungen erhielt – allesamt aus recht fadenscheinigen Gründen. Die achte hatte zum Beispiel den Inhalt der Verunglimpfung eines Vorgesetzten. Ich hatte ihn nach der siebten gefragt, ob ihn für so einen Schmarrn das Papier nicht reue.

Ich arbeite schon lange nicht mehr da und verspürte nicht mal anfangs eine Entzugserscheinung.

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"Bekannte Masche", UZ vom 15. Mai 2020



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