Komplizenschaft an ­Israels Völkermord wird weiter verhandelt

BRD auf Anklagebank

„Der Gazastreifen ist zu einem Kinderfriedhof geworden“, sagt Jeremy Stoner, Gesandter der Kinderhilfsorganisation „Save the Children“ in Palästina. Rosalia Bollen, Sprecherin der UNICEF, erläutert den schrecklichen Befund: „Seit Kriegsbeginn wurden fast 18.000 Kinder getötet. Durchschnittlich 28 pro Tag. Es ist, als würde jeden Tag eine ganze Schulklasse sterben“. Getötet durch Kugeln und Granaten israelischer Soldaten, begraben unter dem zerbombten Schutt der Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser.

Als Ende Mai dieses Jahres die UNO den Blutzoll der Angriffe des israelischen Militärs mit 59.200 Toten und 143.000 Verletzten meldete, wurde zur gleichen Zeit der Inhalt der Bundestags-Drucksache 21/284 öffentlich. Seit Oktober 2023 lieferten deutsche Waffenschmieden Rüstungsgüter im Wert von 485.103.796 Euro an Israel. Was konkret geliefert worden ist und weiter geliefert wird, darüber wird der Mantel des Schweigens gehüllt. Entsprechend der bleihaltigen deutschen Staatsräson wird hierzu die „Auskunft aus Gründen des Staatswohls verweigert“. Ein Bekanntwerden der Tatsachen könnte „negative Auswirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland“ haben. Wenn es nur um Verbandspäckchen und Sanitäts-Lkws ginge, hätte es die Öffentlichkeit mit Sicherheit erfahren.

Mit diesen kalkulierten Geheimnissen wird es bald vorbei sein und die Lieferlisten werden auf den Tisch kommen, und zwar auf den Richtertisch des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (IGH). Das Ungemach kündigte sich am 21. Juli aus weiter Ferne an: Das staatliche Fernsehen Nicaraguas „Canal4“ verbreitete in Form einer Eilmeldung die Nachricht, dass der mittelamerikanische Staat das Verfahren gegen Deutschland „wegen Komplizenschaft bei den Kriegsverbrechen Israels in Gaza“ mit einer erweiterten Klageschrift fortsetzen werde. Die Klage – so heißt es in der Presseerklärung – liefere neue Beweise für die jahrzehntelange und bis heute andauernde politische, finanzielle und militärische Unterstützung und weise auf, dass Deutschland die Begehung schwerer Kriegsverbrechen fördere.

Das am 1. April letzten Jahres zunächst eingeleitete Eilverfahren mit dem Ziel eines sofortigen Stopps deutscher Waffenlieferungen führte für Nicaragua nur zu einem Teilerfolg. Das Gericht verfügte letztlich keinen Lieferstopp, da die deutsche Seite vorgeschoben hatte, sie unterscheide zwischen „Kriegswaffen“ und übrigen Rüstungsgütern. Kriegswaffen seien nur in verschwindend geringem Ausmaß an Israel geliefert worden und die weiter im Streit stehenden 500.000 Schuss Munition und 3.000 Panzerabwehreinheiten lediglich „Übungsmunition“. Die deutsche Prozessvertreterin Tania Freiin von Uslar-Gleichen, Ex-Vizepräsidentin des Bundesnachrichtendienstes, konnte jedoch nicht verhindern, dass der IGH die Klage für zulässig hielt und damit Nicaragua den Weg ins Hauptsacheverfahren freimachte. Anders als im Eilverfahren, in dem das Gericht ohne Beweisaufnahme „de jure prima vista“ („rechtlich auf den ersten Anschein“) entscheiden darf, werden im Hauptsacheverfahren sämtliche Beweise erhoben und geprüft. Das Prozessteam aus Managua hat den Text der Hauptsacheklage bereits dem Gericht in Den Haag übergeben, eine in englischer und französischer Gerichtssprache wird in Kürze vorliegen.

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"BRD auf Anklagebank", UZ vom 1. August 2025



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