Seit 2018 arbeitet B. M. als ausgebildete Krankenschwester in Frankfurt am Main. Die Palästinenserin hat einen jordanischen Pass und zählt zu den in der deutschen Wirtschaft heiß begehrten Fachkräften. Ihre Arbeitskraft ist hier zwar gern gesehen, ihr politisches Engagement dagegen weniger. Das wirkte sich nicht nur auf sie, sondern auf ihre ganze Familie aus.
2022 zog auch ihr Mann, ebenfalls Palästinenser aus Jordanien, in die Bundesrepublik. Im Jahr darauf bekamen sie ein Kind. Im August 2024 besuchte die junge Familie ihre Verwandten in Jordanien. Doch als sie nach zwei Wochen zurück nach Deutschland flogen, erlebten sie eine böse Überraschung: Die Behörden hatten sie nicht darüber informiert, dass ihr in Deutschland geborenes Kind nicht einfach wieder in die BRD einreisen dürfe. Es handle sich aber um eine geringe bürokratische Hürde, die in wenigen Wochen behoben sein werde.
Gefährliches Kind oder gefährliche Mutter?
Im November erhielt die Mutter dann ein Schreiben, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihrem ein Jahr alten Baby die Einreise gemäß Paragraph 54(1) Absatz 2 und 4 verwehrt bleibe. Der erstgenannte Absatz bezeichnet eine Gefährdung für „die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“, der zweite die Gewaltanwendung, den Aufruf oder die Androhung von Gewalt „zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele“.
Die Mutter musste mit ihrem „gefährlichen“ Kleinkind in Jordanien bleiben. Der Vater war bereits ins „gefährdete“ Deutschland zurückgekehrt, um zu arbeiten, in der Annahme, seine Frau und sein Kind würden bald nachkommen. Er sah sie erst ein Jahr später wieder, als er erneut nach Jordanien reiste.
Die Eltern klagten. Es stellte sich bald heraus, dass nicht das Kind, sondern die Mutter als „gefährlich“ eingestuft worden war, und zwar vom „Verfassungsschutz“. Sie habe sich nämlich im Rahmen des im November 2023 vom Bundesinnenministerium verbotenen Gefangenensolidaritätsnetzwerkes Samidoun, der palästinensischen Diaspora-Initiative Masar Badil und dem im Winter 2024 selbst aufgelösten Palästina e. V. in Frankfurt am Main engagiert. Ihre Einstufung als „gefährlich“ wurde auf ihren Ehemann und ihr Kind ausgeweitet. Das Aufenthaltsrecht des Babys war das schwächste Glied in der Kette, an das die Repression ansetzen konnte. Das Kind selbst sei zwar nicht gefährlich, aber seine Einreise stelle womöglich ein Sicherheitsrisiko dar, so die bemerkenswerte „Argumentation“ des Auswärtigen Amts.
Fall landet vor Bundesverfassungsgericht
Das European Legal Support Center (ELSC) schaltete sich ein und brachte die Angelegenheit vor das Bundesverfassungsgericht. Das hat heute im Eilverfahren im Sinne des Beschwerdeführers im Alter „von nicht einmal zwei Jahren“ (formal ist das Kind Kläger) entschieden. Das Gericht warnte vor „schweren Beeinträchtigungen“ des Kindes aufgrund der durch die BRD-Behörden erzeugten Situation. „Auf die gegenüber den Eltern bestehenden, im Einzelnen noch nicht geklärten Sicherheitsbedenken kommt es in diesem Zusammenhang nicht an“, so die zuständige 2. Kammer des Zweiten Senats.
Das ELSC kommentiert den Fall wie folgt: „Dieser schockierende, unmenschliche und politisch motivierte Missbrauch von bürokratischer Macht und Migrationsgesetzen ist kein Einzelfall. Das ELSC hat über 22 Vorfälle dokumentiert, bei denen Bedrohungen des Aufenthaltsstatus oder Einschränkungen der Bewegungsfreiheit als Waffe eingesetzt wurden, um die palästinensische Solidarität in Deutschland zu unterdrücken.“ Das sei aber „nur die Spitze des Eisbergs“. „Die wahre Skala ist viel größer. Hochrangige deutsche Politiker drängen die Migrationsämter routinemäßig dazu auf, die palästinensische Solidarität ins Visier zu nehmen“.