Goldgräberstimmung und Friedensmüdigkeit: Zivile Forschung wird Teil der Kriegsvorbereitung

Das Militär forscht mit

„Wir sind es, die sich ihre Leben kaum noch leisten können, wir sind es, die für Militär und Rüstung forschen sollen, und wir sind es, die im Zweifel an die Front geholt werden. Aber wir haben dort nichts zu gewinnen“, schreibt der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Uni Hamburg in seinem Aufruf zum Antikriegstag und zu den Protesten gegen die NATO-Kriegsübung „Red Storm Bravo“.

Forschung und Lehre rüsten auf. Die bundeswehreigene Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg ruft zum 20. Bildungskongress der Bundeswehr. Auf der Tagung erklären hochrangige Militärs, umrahmt von friedensmüden Vertretern der bürgerlichen Parteien, das „military design“ von Forschung und Lehre. In den Vorbereitungspapieren springen allerdings die Ängste der Kriegsertüchtiger aus den Texten. Friedensbewegte Gegenöffentlichkeit, kriegsunwillige Forscher und Studierende, die nicht mitmachen wollen bei den neuen Feldzügen, und insbesondere Zivilklauseln verderben das Geschäft. Frieden ist Desinformation, bringt Unruhe und Verwirrung, oder wie es Flecktarnpropagandisten in der Einladung nennen, „flood the zone with shit“ (vornehm übersetzt: „Sie überschütten uns mit Müll.“).

Dorn im Auge einer auf militärische Innovation gerichteten Forschung sind die seit Mitte der 1980er Jahre an inzwischen über 70 Universitäten und Forschungsinstituten verabschiedeten Zivilklauseln. An der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften der Uni Hamburg mit über 8.500 Studierenden lautet sie: Die „Fakultät will allein zu friedlichen Zielen beitragen und nur zivile Zwecke erfüllen. Ihre Mitglieder richten deswegen Forschung und Entwicklung, Studium und Lehre auf zivile Fragestellungen und Anwendungen aus.“

An den 422 bundesdeutschen Hochschulen und Forschungsinstituten ist der Kampf um die Forschungsrichtung in vollem Gange. Gespeist aus den milliardenschweren Fonds des NIF (NATO-Innovation-Fund), des EIF (European Investment Fund) und des EDF (European Defence Fund) schießen in den letzten fünf Jahren Forschungsprojekte wie Pilze aus dem Boden, die unter dem Topos der Kriegsvorbereitung „Synergieeffekte zwischen ziviler und militärischer Forschung“ auf den Weg bringen sollen. Das „alte Modell“, nämlich die direkte Beauftragung einer Forschungseinheit durch militärische Stellen, wird immer weniger verfolgt.

Beispielhaft stehen dafür die im Jahr 2019 aufgedeckte, jahrelang vom Pentagon direkt finanzierte Forschung der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität nach neuen Sprengstoffen oder der Auftrag an die Fraun­hofer-Gesellschaft zur Erforschung von Sprengköpfen durch die US-Armee.

Um bestehende Zivilklauseln zu umgehen und möglichst geräuschlos eine Entrüstung („flood the zone with shit“) zu unterlaufen, liegt der Fokus der militärbezweckten Forschungsaufträge aktuell entweder auf den sogenannten „Spillovers“ (Übernahme zivil erzeugter Forschungsergebnisse durch das Militär) oder den „Dual-Use-Projekten“ (eine bestimmte Technik kann sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden). Koordiniert werden die Aktivitäten unter der Führung des „Verteidigungs“ministeriums, das Anfang August einen detaillierten „Ressortforschungsplan“ zur Militarisierung der Forschung vorgelegt hat. Dort geht es um „die technologische Führerschaft und rasche Adaptionsfähigkeit der deutschen und verbündeten Streitkräfte“, nicht ohne die wirtschaftliche Bedeutung dieser neuen profitablen „Wertschöpfungskette“ zu betonen.

Die strategischen Grundlagen dieser Indienststellung des zivilen Forschungssektors unter das Primat des Militärs wurden bereits im Dezember des vergangenen Jahres unter dem sperrigen Titel „Nationale Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie“ ausformuliert. Besoffen vom Glauben an die Innovationskraft todbringender Waffensysteme spielen sich seit Jahresbeginn der „Cyber Innovation Hub“ der Bundeswehr, die aus dem Hause Pistorius herausgegründete „Cyberagentur“ und die in Kürze ins Leben tretende „Sprind.Mil“ (militärische Innovationsagentur) auf. Die Freisetzung dreistelliger Milliardenbeträge durch die schwarz-rote Koalition löst in der Branche Goldgräberstimmung aus. Der Krieg ist in ihren Augen ein Geschäft, schon lange bevor er begonnen hat.

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"Das Militär forscht mit", UZ vom 5. September 2025



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