Über eine Million Franzosen tragen ihren Protest gegen den Haushaltsentwurf auf die Straße

Demonstration der Stärke

Nur etwa 30 Eisenbahner sind zur Streikversammlung am Gare d’Austerlitz in Paris gekommen an diesem 18. September. Viel mehr müssten es sein, schließlich ist mehr als jeder dritte Eisenbahner dem Aufruf zum Streik anlässlich des landesweiten gewerkschaftlichen Aktionstags gegen den Haushaltsentwurf für 2026 (UZ vom 5. September 2025) gefolgt. „Viele unserer Kollegen konnten nicht kommen“, sagt eine Gewerkschafterin der Tageszeitung „L’Humanité“. „Der starken Mobilisierung der Lehrer wegen müssen sie auf ihre Kinder aufpassen!“

Die Wut über die Austeritätspläne der kürzlich gestürzten Regierung ist immens in Frankreich. 43,8 Milliarden Euro wollte der von der Nationalversammlung abgesetzte Premierminister François Bayrou einsparen, ausschließlich auf Kosten der Beschäftigten, Arbeitssuchenden, Rentner, Schüler und Studenten. Laut dem Gewerkschaftsverband CGT und der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) gingen mehr als eine Million Menschen am 18. September dagegen auf die Straße. Sie beteiligten sich an über 250 Aktionen in ganz Frankreich.

Die gemeinsame Mobilisierung der Gewerkschaftsverbände sei ein „großer Erfolg“, freute sich die CGT. „Sie sendet eine klare Warnung an die Regierung: Die soziale Wut wächst.“ Die Teilnehmerzahl sei die höchste gewesen seit der Bewegung gegen die Rentenreform 2023.

Mehr als 10 Prozent der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes beteiligten sich. Besonders hoch war die Mobilisierung unter Lehrern. Auch die Eisenbahner stechen hervor: Nur jeder zweite InterCity fuhr und drei von fünf Nahverkehrszügen. Etwa 10 Prozent der TGV-Verbindungen fielen aus. In Paris beteiligten sich mehr als 10.000 Beschäftigte der städtischen Verkehrsgesellschaft RATP. Die Elektrizitätsgesellschaft EDF generierte deutlich weniger Strom als normal: Die Minderleistung entsprach schon mittags etwa der Leistung von vier Atomkraftwerken.

Lahm gelegt worden sei Frankreich nicht, behauptete der geschäftsführende Innenminister Bruno Retailleau. Eine Einschätzung, die nur wenige Franzosen teilen dürften. Retailleau zufolge nahmen nur „etwas mehr als 500.000 Personen“ an dem Aktionstag teil. Er ging mit massiver Repression gegen die Demonstranten vor. 80.000 Polizisten waren im Einsatz. Sie lösten Blockaden auf und nahmen mindestens 443 Menschen fest.

Schon am 10. September hatten etwa 250.000 Menschen in ganz Frankreich gegen die Kahlschlagpläne protestiert. Sie waren einem Aufruf der spontan entstandenen Bewegung „Bloquons tout“ gefolgt, der auch von der CGT unterstützt wurde. Auch hier sei die Mobilisierung ein Erfolg gewesen, schätzte der Gewerkschaftsverband ein und hob die Beteiligung junger Menschen hervor. An mehreren Orten griff die Polizei friedliche Demonstranten mit Tränengas an, kesselte sie ein und misshandelte sie. Hunderte Teilnehmer seien in Gewahrsam genommen worden, berichtete die CGT, darunter mindestens fünf ihrer Mitglieder.

Die Mobilisierung gegen den Haushaltsentwurf zeige bereits Wirkung, erklärte die Intersyndicale, der informelle Zusammenschluss von Frankreichs Gewerkschaftsverbänden, in einer Pressemitteilung vom 19. September: Die geplante Streichung zweier Feiertage sei vom Tisch.

Der Kampf muss weitergehen, bekräftigen die Gewerkschaften dennoch. Sie nehmen an, dass der neue Premierminister Sébastien Lecornu grundsätzlich am Kurs seines Vorgängers festhalten wird. Jetzt sei Lecornu am Ball. Antworte der nicht bis zum 24. September auf ihre Forderungen, werde man unverzüglich einen neuen Streik- und Aktionstag ansetzen.

Die Gewerkschaften fordern nicht nur, die Austeritätspläne zu beerdigen. Sie treten auch für die Besteuerung großer Vermögen ein, verlangen, dass Subventionen an soziale und Umweltschutzbedingungen geknüpft werden und wollen die Rentenreform rückgängig machen. Sie fordern einen funktionierenden Öffentlichen Dienst, Investitionen in einen gerechten ökologischen Wandel sowie die Reindustrialisierung Frankreichs.

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"Demonstration der Stärke", UZ vom 26. September 2025



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